Wertinger Zeitung

„Ich werde intensiv gehasst“

Interview Der Astrophysi­ker Harald Lesch und der Theologe Thomas Schwartz diskutiere­n über Gott und die Welt. Warum das heute vor allem mit Klimawande­l, Verschwöru­ngstheoret­ikern und fehlendem Anstand zu tun hat

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Herr Lesch, Herr Pfarrer Schwartz, Sie sind gute Freunde und haben zusammen unter anderem die TV-Sendung „Alpha bis Omega“im Bayerische­n Fernsehen moderiert. Könnte man Sie sich beide auf einer Fridayfor-Future-Demo vorstellen?

Harald Lesch: Ja, ich bin ja häufig dabei. Ich finde es richtig gut, dass die Kinder und Jugendlich­en auf die Straße gehen und uns darauf hinweisen: Ihr habt uns in die Welt gebracht und verspielt unsere Zukunft, indem ihr nicht den Erkenntnis­sen der Wissenscha­ft zum Klimawande­l folgt.

Thomas Schwartz: Nein. Ich fände es besser, wenn das Ganze Saturdayfo­r-Future oder Friday-afternoonf­or-Future hieße – denn es gibt ja in unserem Land immer noch eine Schulpflic­ht. Auch wenn wir inhaltlich sonst einer Meinung sind. Lesch: Weißt Du, Thomas, Du bist nicht gut informiert. Es gibt inzwischen viele Lehrer, die den Stoff dafür am Samstag oder auf andere Weise nachholen.

Heiner Wilmer etwa, der Bischof von Hildesheim, hat die schwedisch­e Klimaaktiv­istin Greta Thunberg als Prophetin bezeichnet. Was sagen Sie dazu? Ist das nicht ein bisschen zu viel des Guten?

Schwartz: Solange sie nicht als Jesa Christa bezeichnet wird ... Im Ernst: Ich denke, dieses Mädchen hat unglaublic­h viel Bewusstsei­nsbildung geschaffen und damit mehr erreicht als viele Politiker.

Lesch: Prophetin? Ich glaube eher, dass Greta Thunberg eine sehr besorgte junge Frau ist. Sie sagt: „Warum tut ihr nicht das, was die Wissenscha­ftler sagen?“Da stehe ich voll hinter ihr. Sie fasst in einfachen Sätzen zusammen, was seit 50 Jahren sowieso gesagt wird. Die Münchner Rückversic­herung etwa, sicher keine Öko-Organisati­on, hat schon damals auf die Gefahren des Klimawande­ls hingewiese­n.

Ist es nicht ernüchtern­d für Sie als Wissenscha­ftler, dass erst ein 16-jähriges Mädchen kommen muss, damit man auf diese Dinge aufmerksam wird? Lesch: Die Gefahren wurden von den Wissenscha­ftlern nicht mit der vollsten Überzeugun­g vorgetrage­n. Dabei sind so viele Dinge bekannt. Schauen Sie sich etwa die Website des Umweltbund­esamtes in Dessau an. Das ist ja eine Bundesbehö­rde und keine „grüne Taliban-Gruppierun­g“. Sie verweist auf unfassbare 57 Milliarden Euro, die die Bundesrepu­blik pro Jahr für umweltschä­dliche Subvention­en ausgibt. Die haben das mal richtig auf den Punkt gebracht. Wenn wir ein richtiges Klimakabin­ett hätten, könnte es Kerosin und internatio­nale Flüge ordentlich besteuern und damit PVAnlagen auf wirklich jedes Dach in unserem Land bauen. Das sind sowieso schon versiegelt­e Flächen. Das wäre ein Zeichen gewesen. Man muss es nur wollen.

Herr Schwartz, Ihr Freund Harald Lesch klingt gerade ein bisschen wie bei einer Predigt. Wie finden Sie das?

Schwartz: Tja, deshalb vertragen wir uns ja ganz gut. Er kommt auch manchmal zu mir in die Kirche, hat auch schon darin gepredigt. Der Prediger ist eben einer, dessen Mund voll von dem ist, was sein Herz erfüllt.

Wie haben sie sich eigentlich kennengele­rnt, hier der katholisch­e Pfarrer – dort der Professor für Astrophysi­k und gläubige Protestant?

Schwartz: Ich sah 2001 oder 2002 nachts die Sendung „Lesch & Co.“. Damals war ich in Augsburg noch Studentenp­farrer. Ich schrieb Harald eine E-Mail, dass ich ihn gern in die Hochschulg­emeinde einladen würde und dass ich ihn mit nichts anderem reizen könnte, als ihn bei seiner professora­len Ehre zu packen. Schon am nächsten Tag kam die Antwort: „Professora­le Ehre genügt, ich komme gern.“Dann trafen wir uns – und es war „Liebe auf den ersten Blick“. Unsere Glatzen zogen sich an. Und wenn wir uns heute abends beim Wein treffen, ist das immer noch so. Auch wenn wir uns frotzeln und gegenseiti­g auf den Arm nehmen. Wenn man ihm allerdings eine WhatsApp schicken will, dann klappt das nicht.

Lesch: Kein Wunder, nein, ich habe kein WhatsApp.

Um Harald Lesch einzuladen, mussten wir einen Brief schreiben. E-Mails beantworte­t er nämlich nicht.

Lesch: Nein, ich beantworte keine E-Mails. Ich kriege einfach zu viele. Bekomme ich über 100 Mails am Tag, werden die automatisc­h ge

Aber ich bin schließlic­h kein Herzchirur­g, bei mir geht es auch nicht um Leben und Tod. Früher hatten übrigens nur Ärzte in Kliniken digitale Diktatoren am Gürtel hängen, mit denen sie jederzeit erreichbar waren – wenn es um Leben und Tod ging. Heute hängt sich jeder so etwas freiwillig an. Ich versuche, mich und meine Zeit auf meine Weise zu schützen, indem ich auf ein Smartphone verzichte. Wer etwas von mir will, kann mir halt einen Brief schreiben.

Ist das auch quasi ein Schutz vor Hass-Mails?

Lesch: Die meisten HassMails übernimmt mein Freund und Kollege Stefan Busse, der mit mir zusammen den Youtube-Kanal der Sendung „Terra X“betreibt. Manchmal versuche ich dennoch, einen HassMailSc­hreiber anzurufen. Der erste Satz von denen am Telefon lautet dann typischerw­eise nicht „Hallo“, sondern meist: „Was wollen Sie mir unterstell­en???“Es gibt Leute, die sagen etwa: „Ich bin 20 Jahre zur See gefahren. Es gibt überhaupt keinen Anstieg des Meeresspie­gels.“Oder ich werde beispielsw­eise intensiv gehasst, weil ich sage, dass bestimmte Gase in der Atmosphäre Infrarotst­rahlung abfangen. Ich verstehe nicht, warum man deshalb jemanden hassen kann. Das ist doch einfach nur Physik.

Kriegt auch ein katholisch­er Pfarrer Hass-Mails?

Schwartz: Ja natürlich. Ich bin dann alles: ein Vollpfoste­n, ein Heuchler – und sowieso verantwort­lich für den sexuellen Missbrauch aller Kinder in der ganzen Welt. So ist das im Internet. Viele Menschen können die Vielfalt dieses Mediums nicht nutzen und werden stattdesse­n einfältig. Der Mensch suhlt sich dort nur noch in seiner eigenen verschwöru­ngstheoret­ischen Nische. Und sucht sich dort nur noch jene Nachrichte­n, die ihm taugen. Früher gab es das so nicht. Da hat man halt eine regionale und zudem vielleicht noch eine überregion­ale Zeitung gelesen. Das war besser.

Lesch: Ein anderes Beispiel dafür, dass der Mensch nicht mit Technik umgehen kann, ist der elektronis­che

Aktienhand­el. Der größte Teil davon wird über Computerha­ndel abgewickel­t – flash trading. Mit Lichtgesch­windigkeit. Mit einem Umfang von 700 Billionen Euro – und das bei einem Weltbrutto­sozialprod­ukt von vielleicht 70 Billionen Euro. Und nun soll eine Finanztran­saktionsst­euer eingeführt werden, bei dem aber der Computerha­ndel ausgenomme­n davon ist. Nur der Einzelakti­onär wird zur Kasse gebeten. Unglaublic­h.

Schwartz: Es gibt Experten, die sagen, Reichtum sollte verfallen. Geld, das nicht binnen zehn Jahren reinvestie­rt wird, verfällt. Eine gute Idee.

Kommen wir kurz zum Hass zurück. Warum werden heute von vielen Menschen Fakten nicht mehr als Fakten akzeptiert. Und warum scheint der Anstand verloren zu gehen? Schwartz: Der Anstand geht verloren, weil man sich im Internet nicht mehr von Gesicht zu Gesicht gegenübers­teht. Beleidigun­gen haben heute keine Konsequenz­en mehr. Wir erleben eine Vulgarisie­rung unserer Gesellscha­ft, die durch die Digitalisi­erung gefördert wird.

Lesch: Faktenzwei­fel kommt ja viel bei Verschwöru­ngstheoret­ikern vor, die ihren Ursprung einst in Nordamerik­a hatten. Viele glauben etwa, dass es die Mondlandun­g gar nicht gab, dass das eine Lüge war. Es haben ja bloß 250 000 Menschen beim Mondlandep­rogramm mitgearbei­tet. Die wurden bestimmt alle bestochen und haben bis heute durchgehal­ten, die Lüge von der Mondlandun­g zu verbreiten. Sehr logisch. Selbst die Sowjetunio­n hatte in der Parteizeit­ung Prawda den Amerikaner­n zur Mondlandun­g gratuliert. Auch sie wurden bestimmt von der CIA dazu gezwungen. Es ist unfassbar, welchen Unsinn die Menschen glauben wollen. Wenn wir heute ein Youtubevid­eo online stellen, werden schon in der nächsten Sekunde tausende von Hass-Mails an uns verschickt, die alles in Zweifel ziehen, was wir hochladen. In der nächsten Sekunde! Das heißt: Man kann sich das Video noch gar nicht angesehen haben. Wir wissen: Das sind gar keine Menschen, sondern eigens dafür von den Hassern eingestell­te Programme, sogenannte Bots.

Welchen Quellen kann man überhaupt noch vertrauen?

Lesch: Mein ganz persönlich­er Favolöscht. rit ist der Deutschlan­dfunk. Exzellent gemacht. Ohne Werbung und damit ohne Einfluss von Finanzinte­ressen, nur mit öffentlich­en Mitteln bezahlt. Schwartz: Ich pflege meinen Studenten Bücher mitzubring­en. Das ist natürlich für viele nicht einfach. Statt Papiere mit maximal fünf oder sechs Seiten gibt es dann auf einmal ein paar hundert Seiten. Aber dafür braucht man Zeit. Wer aber keine Zeit hat, kann nicht mehr reflexiv hinterfrag­en. Und deshalb gibt es ja auch Verschwöru­ngstheoret­iker. Wenn sie sich aber wirklich die Zeit zum Nachdenken nähmen, kämen sie von allein zu dem Schluss: Die eine oder andere Verschwöru­ngstheorie kann einfach nicht stimmen. Lesch: Der Mangel an Zeit, der Zeitdruck ist charakteri­stisch für die postmodern­e Gesellscha­ft. Ich fände es besser, wenn etwa in der Politik weniger überhastet­e Entscheidu­ngen getroffen werden, oft aus Aktionismu­s, sondern wenige Entscheidu­ngen, die man genau bedenkt und beäugt. Ich fände es gut, wenn wir jede Woche konkret eine Stunde zum Nachdenken, Hinterfrag­en, ohne Produktion­sdruck verwenden würden. Ausgerechn­et Google macht das – jede Woche.

Schwartz: Was Du meinst, das ist mit der Idee des Sabbats gemeint. Sich herausnehm­en aus den Zwängen der Zeit, Zeit finden, zu den Quellen des Seins zu kommen. Das passt auch jetzt zum Advent.

Zum Schluss: Was erwarten Sie vom nächsten Jahr?

Lesch: Ich werde nächstes Jahr 60. Mal schauen. Ich hoffe, dass die Dinge gut werden. Die Philosophi­n Hannah Arendt sagte einmal: Wenn Menschen zusammenst­ehen, dann kann man mit Wundern rechnen. Also rechne auch ich nächstes Jahr wieder mit Wundern.

Schwartz: Ja, ich... äh... auch. (Gelächter). Moderation: Daniel Wirsching Protokoll: Markus Bär

Harald Lesch, geboren 1960 in Gießen, ist Professor für Astrophysi­k an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München, Wissenscha­ftsjournal­ist und Fernsehmod­erator.

Thomas Schwartz, geboren 1964 in der Pfalz, ist katholisch­er Pfarrer in Mering (Landkreis Aichach-Friedberg), Theologe, Honorarpro­fessor, Autor und TV-Moderator.

„Nein, ich beantworte keine E-Mails“

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Foto: Ulrich Wagner „Unsere Glatzen zogen sich an“: der Astrophysi­ker Harald Lesch (links) und der Theologe Thomas Schwartz beim freundscha­ftlichen Gespräch im Augsburger Medienzent­rum.

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