Wertinger Zeitung

Weiß erklingt in allen Facetten

Premiere Hans Abrahamsen vertont Hans Christian Andersen: „Die Schneeköni­gin“an der Bayerische­n Staatsoper

- VON ULRICH OSTERMEIR

München Eine Lichtinsta­llation lässt derzeit die Fassade des Nationalth­eaters einfrieren: Gewiss ein Augenmerk, der das Publikum auf die nordische Welt der Oper „Die Schneeköni­gin“nach Hans Christian Andersens gleichnami­gem Märchen einstimmt. Eigenwilli­g und minimalist­isch durchwirkt kreiert hier der dänische Komponist Hans Abrahamsen (*1952) jene „soundscape“des Schnees, die ambivalent aufklingt: von der Ästhetik des Kristalls über nahezu lautlosen Flockentan­z bis hin zu Schneetrei­ben und mächtigem Blizzard. All diese Facetten erklingen in einem speziellen Klangfluid­um, einem modifizier­ten C-Dur-Weiß. Als wäre der Lyriker Tranströme­r mit seinem Poem „C-Dur“Pate gestanden, schreitet die Musik im stiebenden Schnee aus, „ein bebender Kompass aufs C gerichtet“. Akribisch laufen dabei mikrorhyth­mische Prozesse ab, die einzelnen Szenen der Oper öffnen so streng kalkuliert­e Zeitfenste­r. Gewiss nicht einfach zu realisiere­n, aber unter der versierten Leitung von Cornelius Meister brillierte das auch perkussiv reich besetzte Bayerische Staatsorch­ester.

Regisseur Andreas Kriegenbur­g spielt in seiner Inszenieru­ng gewitzt die surreale Karte: „Vergiss die Welt, wie sie war“– der Regisseur nimmt die Schneeköni­gin beim Wort –, aber nicht der märchenhaf­te Eispalast öffnet sich, die Pforten der Psychiatri­e stehen sperrangel­weit offen. Auch hier herrscht Weiß vor, die trapezförm­igen Hauben der Schwestern beleben die Szene, von Kay und Gerda als Protagonis­ten in helles Licht gerückt. Hier verstummt Kay, von Spiegelspl­ittern posttrauma­tisch belastet kommt er der Welt abhanden. Dort Gerda, die ihr Herz daran setzt, ihn zu finden, ihn zurückzufü­hren. Der krude Boden der Realität wird aufgebroch­en, dreifach gespiegelt treten Kay und Gerda auf: als Kinder, als Alter ego und realiter. Ein kluger Schachzug, der ihren Reifungs- und Entwicklun­gsprozess vor Augen führt.

Als hingebungs­voll ausgelebte Gerda geht Barbara Hannigan auf dieser Suche zusehends in ihrer Rolle auf, entfaltet ihren Sopran immer eindringli­cher. Die Szene mit der alten Dame – Katarina Dalayman ist die ideale Besetzung – glückt atmosphäri­sch. Skurril rücken zwei Krähen nahe: Als Charaktert­enor verleiht Kevin Conners der Waldkrähe individuel­le Kauzigkeit, genuin lässt er Lautmalere­i einfließen, während Gerda im Duett mit der Schlosskrä­he (Owen Willetts) feine Töne anschlägt. Prinz und Prinzessin sind jetzt nicht weit: Als Koloraturs­opran überhöht Caroline Wettergree­n das Geschehen, als lyrischer Tenor verströmt Dean Power edle Anmutung. Peter Rose setzt als surreales Rentier der Inszenieru­ng bizarr die Krone auf: Ganz begnadeter Bass und treffliche­r Schauspiel­er spitzt er die Rolle zu und stellt sie zugleich groß heraus. Nicht zuletzt glänzt Rachael Wilson in der Hosenrolle des Kay mit lyrisch-dramatisch­em Mezzo. Zuvor wird Kay von Thomas Gräßle profiliert gedoubelt.

Am Ende der Premiere heftige Buhs für Regisseur und Komponist. Doch was die einen ausbuhten, goutierten die anderen, letztlich obsiegten die Bravos. Keinen ließ diese „Schneeköni­gin“kalt zurück.

ⓘ Wieder am 26., 28., 30. Dezember

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Foto: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper Barbara Hannigan als Gerda (stehend) und Thomas Gräßle als Double des Kay.

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