„An Weihnachten wird viel gestritten“
Interview Vor allem zu Geld, Sex und der Kindererziehung gehen die Meinungen von Paaren an den Feiertagen auseinander. Professor Philipp Yorck Herzberg weiß, wie man sich wieder versöhnt
Herr Herzberg, an Weihnachten scheinen sich viele Menschen besonders häufig zu streiten.
Philipp Yorck Herzberg: Das scheint nicht nur so, es ist ein empirischer Fakt und schon seit den 50er Jahren bekannt. In der Stressforschung gibt es eine Skala, mit der man den Stress eines Ereignisses messen kann. Damals landete der Tod eines Angehörigen ganz oben, relativ kurz darauf folgte Weihnachten und die Hochzeit. An Weihnachten wird also besonders viel gestritten.
Und woran liegt das?
Herzberg: Der Stress kommt aus zwei Richtungen: Es ist Jahresende. Das heißt, viele Dinge müssen noch erledigt werden. Es herrscht Jahresendstress. Und dann muss man umschalten, um die hohen Weihnachtserwartungen zu erfüllen. Es muss harmonisch sein, die Kinder sollen sich freuen, man bekommt in der Regel für mehrere Tage Besuch. Es kommen Familienmitglieder zusammen, die sich nicht so häufig sehen. Und dann kann es sein, dass sich dieser Druck schon bei Nichtigkeiten entlädt. Oder es kommen Familienkonstellationen zusammen, in denen es um verdeckte Konflikte geht. Etwa: Wer hat das Sagen?
Haben Sie Erkenntnisse dazu, an was sich solche Streits entzünden?
Herzberg: Streits an Weihnachten sind nicht unser Kernforschungsthema, aber es geht oft um Kompetenzen, um Konflikte mit den Eltern und Schwiegereltern, um Geschenke und um Konflikte, die unbearbeitet waren und die das Aufeinandertreffen wieder hervorbringt. Aus unserer Forschung zu Streits bei Paaren wissen wir sehr genau, was die klassischen Streitthemen sind: Geld, Sex und Kindererziehung.
Wenn man Ratgebertexte liest, wie man Streits an Weihnachten vermeiden kann, heißt es oft: Vermeiden Sie Reizthemen, sprechen Sie nicht über Politik oder das Klima. Ist es sinnvoll, sich ein Themenverbot aufzuerlegen?
Herzberg: Wenn man die Erfahrung gemacht hat, dass es in den letzten Jahren immer wieder an denselben Punkten eskaliert ist, ist es natürlich klug. Allerdings sollte man das in einer Metakommunikation ansprechen. Der Gastgeber könnte sagen: „Erinnert ihr euch, im vorherigen Jahr und in dem Jahr davor haben wir uns immer wieder über dieselben Dinge gestritten. Fand das irgendjemand gut?“Das wird nicht der Fall sein. Und dann kann man gemeinsam überlegen, wie man es besser machen kann. Man kann etwa vereinbaren, dass einer aus der Runde Stopp sagt, wenn die Sprache doch auf eines der Themen kommt. Gibt der Gastgeber vor, wie es gemacht werden soll, hat das etwas Diktatorisches. Dann könnte einer der Gäste sagen: „Wir lassen uns doch nicht die Gesprächsthemen vorschreiben.“Daran könnte sich schon der erste Streit entzünden. Daher besser alle ins Boot holen…
Der Streit hat einen ziemlich schlechten Ruf. Zu Recht?
Herzberg: In der Psychologie sprechen wir nicht von Streits, sondern von Konflikten. Gibt es einen Konflikt, dann heißt das, es bestehen irgendwo Unterschiede. In Meinungen, in Beurteilungen, in Ansichten. Ich und mein Team untersuchen die Konflikte in Partnerschaften. Und wenn ein Paar sich nicht streitet, kann es sich nicht entwickeln. Die Partner müssen ihre unterschiedlichen Ansichten zusammenbringen. Die Unterschiede kann man vielleicht eine Zeit lang unter den Teppich kehren, aber das geht nicht auf Dauer gut. Irgendwann muss das bearbeitet und der dahinterstehende Konflikt gelöst werden. Paarentwicklung und Paarzufriedenheit finden Sie nur, wenn Sie streiten und Konflikte lösen. Streiten an sich ist also nicht schlimm. Es kommt auf die Häufigkeit des Streits und vor allem auch auf das Wie an.
Welche Unterschiede gibt es bei der Art zu streiten?
Herzberg: Streiten Paare konstruktiv, liegt ihnen etwas daran, eine Lösung zu finden. Andere Paare machen aus einem Streit einen Machtkampf. Dann gibt es Sieger und Verlierer. Der Sieger hat sich durchgesetzt, der Verlierer musste nachgeben. Da haben beide nichts davon. Nicht mal der Sieger, zumindest langfristig nicht.
Sollte man einen unterschwelligen Konflikt denn thematisieren?
Herzberg: Weihnachten ist vermutlich nicht die ideale Gelegenheit Konflikte zu lösen. Vermeidung oder Vertagung wäre besser. Um des
Friedens Willen. Aber manchmal ist es eben so. Der Streit eskaliert gerade an Weihnachten. Vielleicht weil alle zusammenkommen, oder weil die Emotionalität da ist. Manchmal lässt sich die Dynamik der Situation nutzen. Dann sagt man: Jetzt packen wir mal alle Sachen auf den Tisch. Aber dazu braucht man Mut, weil man auch genauer gucken muss, was eigentlich hinter dem Streit steckt.
Lohnt es sich, diesen Mut aufzubringen?
Herzberg: Vielleicht nicht zu Weihnachten und wenn Kinder da sind. Ansonsten, ja. Denn Konflikte arbeiten auch in einem, wenn sie nicht besprochen werden. Dann ärgert man sich schneller und geht wegen anderer Sachen an die Decke. Zudem kosten Konflikte Energie und sie binden Gedanken. Oft schlafen Leute nicht, weil sie die Konflikte im Schlaf oder vor dem Einschlafen wälzen. Es ist also für die psychische Hygiene besser, die Konflikte, die man im Leben hat, anzugehen. Das muss man nicht alleine machen, man kann sich Hilfe holen. Da gibt es sehr viele Möglichkeiten: Coaching, Therapie, Paartherapie, Freunde.
Und was hilft, um sich zu versöhnen?
Herzberg: Ansonsten hilft es, Kompromisse zu machen. Wenn ein Teils-teils-Kompromiss nicht funktioniert, kann man sagen: Diesmal entscheidest du, nächstes Mal entscheide ich. Wenn sich Paare gestritten haben, helfen ihnen Rituale beim Versöhnen. Es gibt Paare, die haben eine Schiefertafel und wenn der Streit abgekühlt ist und man auf einander zugehen will, dann malt jeder auf der Schiefertafel einen Smiley. Oder man schreibt eine Uhrzeit auf, zu der man sich wieder trifft. Ein anderer geht joggen und sagt: Wenn ich vom Joggen wieder komme und geduscht habe, dann ist das vergessen, dann gucken wir wieder nach vorne. Paare müssen gucken, was jeder anbieten, wie jeder einen kleinen Schritt über sich hinaus machen kann. Und Rituale helfen dabei. Denn dann muss nicht jedes Mal neu verhandelt werden, wer den ersten Schritt macht.