Der Eis-Keller und der Frust des Kaisers
Erhard Keller ist einer der besten deutschen Eisschnellläufer aller Zeiten. Geboren wurde er in Günzburg – als Christkind
Bis April dieses Jahres stand er noch jeden Tag auf dem Eis, das für ihn einst die Welt bedeutete. Heute blickt er zufrieden zurück. „Ich habe Inzell alles zu verdanken“, hat Erhard Keller einmal gesagt. „Alles“bedeutet in seinem Fall deutsche Bestzeiten und Titel en masse, mehrere Weltrekorde über 500 und 1000 Meter sowie im Sprint-Vierkampf, zusätzlich eine Traum-Basis für seine überragenden internationalen Erfolge, die beiden Olympiasiege über 500 Meter in Grenoble 1968 und in Sapporo 1972. An diesem Heiligabend feiert Erhard Keller, einer der größten deutschen Eisschnellläufer aller Zeiten, seinen 75. Geburtstag.
Geboren wurde der spätere „Windhund von Inzell“in Günzburg, konkret: in einem Behelfsbau, der unmittelbar neben dem kriegsverwundeten Krankenhaus errichtet worden war. „Abends um fünf war das, an einem Sonntag, mitten in der Weihnachtsfeier. Da werden die meisten eine Freude gehabt haben“, erzählt er scherzend.
Seine ersten Ausflüge aufs Eis führten ihn als Fünfjährigen auf einen Weiher, der sich nur wenige Meter abseits seines Elternhauses im Günzburger Vorort Nornheim ausbreitete. Die Schlittschuhe hatte seine Mutter Else im Tausch mit Butter bezahlt – eine harte Währung in der Nachkriegszeit. Ernsthaft zum Eisschnelllauf kam Keller aber erst als 16-Jähriger. Die Familie lebte längst in München, als der Jugendliche einen Schauwettkampf verfolgte und für sich selbst das Urteil fällte: „So schnell kann ich auch laufen.“
Er war schneller. Von Beginn an. Innerhalb kürzester Zeit wechselte Keller aufs Gymnasium nach Bad Reichenhall und auf die Eisbahn nach Inzell. 1965 wurde dort die erste Kunsteisbahn gebaut, drei Jahre später lief Erhard Keller an gleicher Stelle seinen ersten Weltrekord über 500 Meter und ein paar Wochen danach war er Olympiasieger. Nervosität habe er nie verspürt im Messen mit anderen WeltklasseAthleten, erzählt er; der Spitzname Eis-Keller belegt es. Selbstbewusstsein und Wettkampfhärte halfen ihm durch seine dunkelsten Tage. Kurz nach Olympia in Grenoble zog sich Keller bei einem Ski-Unfall in St. Moritz übelste Beinbrüche zu; wer ihn gehen sieht, erkennt noch heute ein leichtes Hinken. Den
Sportler Keller stoppte der HorrorCrash nicht. 1972 lief er in Sapporo noch schneller als vier Jahre zuvor und wiederholte als erster bundesdeutscher Wintersportler einen Olympiasieg. Es war übrigens der einzige Wettkampf der gesamten Spiele, den der japanische Kaiser Hirohito von der Tribüne aus verfolgte. Er wollte natürlich einen Landsmann siegen sehen. „Aber nachdem ich gelaufen bin, ist er aufgestanden und gegangen“, erinnert sich Keller mit einem Grinsen.
Seine gute Laune verliert Erhard Keller eigentlich nur, wenn er auf die Zukunft des deutschen Eisschnelllaufs angesprochen wird. Er sieht noch einige Jahre Durststrecke vor den heimischen Sportlern und plädiert nachhaltig dafür, die nationale Leistungsspitze dauerhaft am Olympia-Stützpunkt in Inzell zu konzentrieren.