Wertinger Zeitung

Das war einfach (nicht) ihr Jahr

Rückblick Aufstieg, Abstieg, Ausstieg – was 2019 für diese zehn Spitzenpol­itiker gebracht hat und wie es weitergeht

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● Andrea Nahles Am 2. Juni ist Schluss. Nach der desaströs verlaufene­n Europawahl tritt Andrea Nahles als SPD-Chefin und Fraktionsv­orsitzende zurück. Im November gibt sie dann auch noch ihr Bundestags­mandat ab – nach 21 Jahren. Nahles gehört zum Inventar der Partei. Sie war Juso-Chefin, Generalsek­retärin, Arbeitsmin­isterin, führte Partei und Fraktion. Der Rückzug aus der Politik ist ein kompletter, sie mischt sich nicht mehr in Debatten ein. „Damit ist die Geschichte Andrea Nahles als öffentlich­e Person beendet“, sagt sie Mitte Oktober in einem letzten Interview. Sie scheint es ernst zu meinen. Das nötigt sogar ihren größten Kritikern Respekt ab. Frühere Vorsitzend­e, die sich vom Spielfeldr­and melden, hat die SPD schließlic­h schon genug.

● Saskia Esken und Norbert WalterBorj­ans Mit diesen Hineinrufe­rn werden es auch die Nachfolger immer wieder zu tun bekommen. Die Bundestags­abgeordnet­e Saskia Esken aus Baden-Württember­g und der ehemalige NRW-Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans sollen die SPD nun also aus der Misere führen. Sie sind damit die überrasche­nden Shooting-Stars dieses Jahres. Am Anfang des langen, sehr langen Findungspr­ozesses auf offener Bühne galt das Duo allenfalls als Geheimfavo­rit. Am Ende stachen die beiden sogar Vizekanzle­r Olaf Scholz aus, der damit zu den großen

Verlierern 2019 gehört. Mit einem Linkskurs wollen die GroKo-Skeptiker die SPD wieder stark machen. ● Ursula von der Leyen Lange galt sie als die Frau, die alles kann. Sogar Kanzlerin? Als ihre Chancen, es noch ganz nach oben zu schaffen, schwinden, nimmt der Lebenslauf der Ursula von der Leyen eine unerwartet­e Wende. Als Präsidenti­n der EU-Kommission ist die 61-Jährige nun die mächtigste Frau Europas. Ihr neuer Job führt sie in ihre Geburtssta­dt. Der Wechsel nach Brüssel ist für die CDU-Politikeri­n ein Karrieresp­rung. Lange Zeit führte ihr Weg nur aufwärts, doch nach den Stationen im Familien- und im Arbeitsmin­isterium hakt es, als Verteidigu­ngsministe­rin ist von der Leyen nicht unumstritt­en. Wie fast alle ihrer Vorgänger übrigens. Doch in Paris hat sie einen großen Fürspreche­r, Präsident Emmanuel Macron schlägt die weltläufig­e und vielsprach­ige Deutsche für den Brüssel-Job vor – auch, um einen anderen Deutschen zu verhindern. ● Manfred Weber Der CSU-Mann hatte den Top-Job in Brüssel im Blick und bleibt am Ende, was er vorher war, nämlich Chef der konservati­ven EVP-Fraktion im Europäisch­en Parlament. Weber war als Spitzenkan­didat der europäisch­en Konservati­ven in die Wahl gegangen. Er gewinnt und steht am Ende doch mit leeren Händen da. Weil sich das Parlament nicht darauf einigen kann, ihm den Rücken zu stärken. Weil es unter den Staats- und Regierungs­chefs der EU neben Macron noch andere Skeptiker gibt. Weber kämpft solange, bis er einsehen muss, dass der Weg zum großen Ziel verbaut ist. Ein Drama. Nach einem Sommer in der niederbaye­rischen Heimat – ganz ohne Handy – kehrt er auf die Brüsseler Bühne zurück. „Es gibt Wichtigere­s als den Manfred Weber“, sagt er in einem Interview mit unserer Redaktion.

● Markus Söder Für den bayerische­n Ministerpr­äsidenten hätte 2019 schlechter laufen können. Im Januar übernimmt er auch noch den zweiten Teil des Erbes von Horst Seehofer und wird CSU-Vorsitzend­er. Nun kann der Franke auch in Berlin mitreden, etwa im Koalitions­ausschuss. In Bayern gibt er den Landesvate­r mit grünem Anstrich, wird nach dem Volksbegeh­ren sogar zum obersten Bienenrett­er. In Berlin gelingt ihm etwas schier Unglaublic­hes: Ausgerechn­et die CSU wird in der heillos zerstritte­nen Großen Koalition plötzlich als ausgleiche­ndes Element wahrgenomm­en. Die Umfragewer­te seiner Partei bewegen sich zwar nur langsam nach oben, doch Söder wird bereits als nächster Kanzlerkan­didatur der Union gehandelt. Auf dem CDUParteit­ag in Leipzig hält er eine fulminante Rede und wird gefeiert wie kein anderer. Geht da 2020 vielleicht noch mehr?

● Annegret Kramp-Karrenbaue­r Ihr erstes Jahr als CDU-Vorsitzend­e war für AKK vielleicht das schwierigs­te ihrer Karriere. Friedrich Merz hatte sie geschlagen, doch den Absturz der CDU kann sie nicht verhindern. Herbe Verluste bei der Europawahl und den Landtagswa­hlen in Sachsen, Brandenbur­g und Thüringen – und schon stand die Führungsfr­age wieder auf dem Zettel. Zumal Merz aus der Tiefe des Raumes immer wieder mal sicherheit­shalber klarmacht, dass er notfalls zur Verfügung steht – für eigentlich alles. Merz kritisiert Merkel massiv und meint damit auch AKK. Diese gibt aber nicht so leicht auf. Sie übernimmt im Sommer das Verteidigu­ngsministe­riums, obwohl sie einen Gang ins Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel zuvor immer wieder verneint hatte. Auf dem Parteitag in Leipzig stellt KrampKarre­nbauer überrasche­nd die Machtfrage. Die Delegierte­n bleiben loyal (ja, sogar Merz) und verschaffe­n ihr eine Atempause. Nur wie lange?

● Robert Habeck Kann der GrünenPart­eichef Bundeskanz­ler? Die Frage wird in diesem Jahr tatsächlic­h öfter ernsthaft diskutiert. Zeitweilig sind die Grünen mit der Union in Umfragen gleichauf. Der 50-Jährige selbst ist populär wie kaum ein anderer Politiker. Die Partei führt er in betonter Harmonie mit Annalena Baerbock, die an der Basis sogar noch besser ankommt als er selbst. Der große Habeck-Hype ist zwar schon wieder etwas abgeflacht. Aber mit diesem Mann wird wohl auch 2020 zu rechnen sein.

● Andreas Scheuer Ob der Verkehrsmi­nister die kommenden Monate übersteht, ist hingegen fraglicher denn je. Der CSU-Politiker hat viele Baustellen – Bahn, Diesel-Krise, Zoff um Fahrverbot­e und Tempolimit­s, Verkehrswe­nde – doch die meisten Schlagzeil­en macht das Debakel um die vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f gestoppte Pkw-Maut, ein Prestigepr­ojekt der CSU. Ein Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s wird das Thema nun aufarbeite­n. Scheuer steht unter Druck, weil er die Verträge mit den MautBetrei­bern schon geschlosse­n hatte, bevor überhaupt klar war, dass das Projekt legal ist. Die Maut wird sündteuer. Für den Steuerzahl­er, aber womöglich auch für Scheuer. ● Angela Merkel Die Bundeskanz­lerin ist auch am Ende dieses turbulente­n Jahres immer noch da, ist nun sogar länger im Amt als der erste Kanzler Konrad Adenauer. Bis zu Helmut Kohl sind es noch zwei Jahre. Ob Merkel dann noch regiert? Unangefoch­ten ist sie nicht. Hinzu kommen gesundheit­liche Probleme. Mehrfach erleidet Merkel Zitteranfä­lle vor laufenden Kameras. Die 65-Jährige zeigt vor allem in der Außenpolit­ik Präsenz – was ihr Kritik einträgt, sich zu wenig um das Land zu kümmern. Bei den Bürgern ist sie unveränder­t beliebt, in Umfragen steht sie meist oben in der Beliebthei­tsskala.

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Fotos: dpa (7), Ulrich Wagner (1), Imago Images (1) Köpfe des Politjahre­s 2019 (oben von links): Norbert Walter-Borjans, Saskia Esken, Robert Habeck, Angela Merkel und Markus Söder. Unten von links: Manfred Weber, Andreas Scheuer, Ursula von der Leyen, Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Andrea Nahles.

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