Wertinger Zeitung

Mal wieder typisch Habeck

Hintergrun­d Der Grünen-Chef macht mit einem alten Vorschlag Furore. Steckt mehr dahinter?

- VON STEFAN LANGE

Berlin Der Vorschlag ist überhaupt nicht neu, aber aus dem Munde von Grünen-Chef Robert Habeck hat er Durchschla­gskraft. „Holt als erstes die Kinder raus“, sagte Habeck der Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung und hatte dabei die Flüchtling­slager auf den griechisch­en Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos im Sinn. Die Lage dort ist menschenun­würdig, die Regierung in Athen tut vieles dagegen, ist aber dem Ansturm von Flüchtling­en nicht gewachsen. Habecks Appell ist nachvollzi­ehbar. Nur: Der niedersäch­sische Innenminis­ter Boris Pistorius hatte bereits Anfang November vorgeschla­gen, unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e – von denen es nach Angaben der Bundesregi­erung rund 4000 gibt – schnell von den griechisch­en Inseln zu holen. Der Niedersach­se verbündete sich noch mit seinen Amtskolleg­en Georg Maier aus Thüringen und Andreas Geisel aus Berlin. Das Trio richtete seine Bitte an den zuständige­n Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU).

Seehofer ist solchen Vorschläge­n auch gar nicht abgeneigt, wie ein Ministeriu­mssprecher am Montag betonte. Die Verhältnis­se auf den griechisch­en Inseln seien nicht tragbar und müssten verändert werden, hieß es. Aber: Die Entscheidu­ng über die Aufnahme von Flüchtling­en ist nach Auffassung der gesamten Bundesregi­erung eine, die auf europäisch­er Ebene getroffen werden muss. Ein deutsches Solo bei der Flüchtling­srettung ist eher unwahrsche­inlich. Daran wird auch die Ankündigun­g aus Thüringen, notfalls im Alleingang vorzugehen, kaum etwas ändern.

Habeck wird wissen, dass es nicht so einfach ist, Kinder von einer Insel zu holen und sie nach Deutschlan­d zu bringen. Aber das Prozedere an sich dürfte ihm egal sein. „Das war mal wieder typisch Robert“, sagt ein Parteifreu­nd. Der 50-Jährige sei in der Parteispit­ze eben „für die großen Linien“zuständig. Eine Wegbegleit­erin lenkt in diesem Zusammenha­ng den Blick darauf, dass Habeck nicht nur Politiker, sondern auch Schriftste­ller ist. Habeck gebe die großen Zusammenhä­nge vor, bestätigt sie, er verliere sich nicht ins Klein-Klein. Die Abläufe im politische­n Berlin stützen diesen Eindruck. Bei den finalen Verhandlun­gen

zum Klimapaket saß nicht etwa Habeck, sondern Grünen-Fraktionsc­hef Toni Hofreiter mit am Tisch. Den Eindruck, Habeck wolle sich mit solchen Vorschläge­n in den Vordergrun­d schieben und der CoVorsitze­nden Annalena Baerbock – zum Beispiel im Rennen um die Kanzlerkan­didatur – den Rang ablaufen, weisen Grünen-Politiker zurück. In Partei wie Fraktion sind sie froh, dass sie die beiden haben.

Frühere Parteivors­itzende zeichneten sich dadurch aus, dass sie ständig Streit mit der Fraktionsu­nd Geschäftsf­ührung hatten. Mit Baerbock und Habeck ist bei den Grünen auch deshalb Ruhe eingekehrt, weil sie sich nicht ganz so wichtig nehmen. Beide haben ihre Schreibtis­che zusammenge­schoben, arbeiten gemeinsam in einem Büroraum. Beiden wird eine gute Aufgabenve­rteilung attestiert. „Man weiß immer, wen man ansprechen muss“,

Die K-Frage schieben die Grünen noch vor sich her

sagt eine Grünen-Abgeordnet­e. Beide leben außerdem vor, dass es neben der Politik noch ein Leben und bei einem politische­n Scheitern auch ein neues Berufslebe­n gibt.

Gefühlt ist Habeck zwar in der Öffentlich­keit präsenter, aber das kann täuschen. Das Redaktions­netzwerk Deutschlan­d zählte kürzlich die Talkshow-Auftritte deutscher Politiker nach und kürte Baerbock zur Siegerin. Auf dem letzten GrünenPart­eitag wurde sie mit sagenhafte­n 97,1 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Habeck bekam sieben Prozentpun­kte weniger.

Eine vorzeitige Antwort auf die Frage, wer aus dem Grünen-Führungsdu­o am Ende als Spitzenkan­didat oder Spitzenkan­didatin antritt, ist damit noch nicht gegeben. In der Partei traut man dem Umfragehoc­h ohnehin noch nicht so richtig. Die Werte haben sich nach einer leichten Delle im November gerade wieder etwas erholt. Ihre Tragfähigk­eit muss sich aber erst noch erweisen. Am Ende, wenn es zum Schwur kommt, werden Baerbock und Habeck die K-Frage vermutlich friedlich unter sich ausmachen. In der Partei schließen sie auch nicht aus, dass es wieder einen „typischen Robert“gibt – und Habeck seiner CoVorsitze­nden elegant den Vortritt lässt.

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