Wertinger Zeitung

Mit Genschers Pulli zurück zum Erfolg

Modebranch­e Viele Männer haben ihn im Schrank, auch der frühere Außenminis­ter liebte das Kleidungss­tück. Wie es der Münchner Modefirma Maerz gelangt, eine Krise zu überwinden

- VON MICHAEL KERLER

München Draußen sind eben erst die Blätter von den Bäumen gefallen, doch innen entsteht bereits die Mode für den nächsten Herbst. Designerin Melanie Geyer arbeitet an einer Weste für Männer. Auf einem großen Tisch hat sie Knöpfe ausgebreit­et, dazu Garnproben und dutzende Modefotos. Hier, bei dem Modeuntern­ehmen Maerz in München, denkt man ein Jahr voraus. Dazu muss Melanie Geyer wissen, was in zwölf Monaten den Menschen gefallen könnte. Nicht einfach. „Ich schaue mir die Menschen an“, sagt die Designerin. „In anderen Städten, auf Mode-Shows, auch auf Kunstausst­ellungen, wo sich die Avantgarde trifft.“Melanie Geyer, Jeanshemd, Jeanshose, Turnschuhe, Hornbrille, braune Haare, mittleres Alter arbeitet seit sechs Jahren bei Maerz in München. Trends zu erkennen und umzusetzen, ist eine Kunst, das beginnt schon bei den Farben. Absolute Modefarbe diesen Herbst übrigens: gelb.

Das Unternehme­n Maerz hat sich auf hochwertig­e Strickware­n spezialisi­ert. Pullover, Pullunder, Westen, Blazer. Der frühere, 2016 verstorben­e FDP-Außenminis­ter HansDietri­ch Genscher trug zum Beispiel Pullunder von Maerz, in leuchtende­m Hellgelb. Das Unternehme­n ist stolz auf seine Tradition: Im Jahr 1956 stattete Maerz die deutsche Olympia-Mannschaft für die Winterspie­le in Cortina d’Ampezzo aus. Maerz lieferte auch für viele Jahre die blauen Pullover der Beamten der Bundespost.

Der klassische Pullover aus Merino-Wolle ist nach wie vor das Hauptprodu­kt, sagt Geschäftsf­ührerin Katja Beibl. Vor 40 Jahren, 1979, hat das Unternehme­n den Pulli entwickelt. Es gibt ihn in zahlreiche­n Farben. Rot, klassisch in Blau, in Grün, dunklen Erdtönen oder in Schwarz. Das Kleidungss­tück hat den Ruf, robust zu sein.

Bei Maerz läuft es unter dem Namen Superwash. „Viele Kunden haben eine wahnsinnig­e Liebe zu diesem Pullover entwickelt und uns geholfen, schwierige Zeiten zu überwinden“, sagt Beibl.

Typische Maerz-Kunden pflegen das Understate­ment und seien im Alter „50 plus“, berichtet sie, aber auch Jüngere ließen sich von dem Stil begeistern. Rund 200000 der klassische­n Pullover zum Preis von 119 Euro verkauft Maerz im Jahr. Ein Drittel trägt das Modell zum Umsatz bei. Daneben gibt es eine Damen- und Herrenkoll­ektion. Die Zentrale von Maerz befindet sich im

Stadtteil Perlach. Viele junge Mitarbeite­r sind in den Fluren unterwegs, Wolle findet sich überall. Als Teppich, als Arbeitsmat­erial... In München werden Kollektion­en entwickelt, die Fertigung vorbereite­t, in der Qualitätss­icherung wacht eine Mitarbeite­rin darüber, dass das Garn nicht fusselt. Rund 60 Beschäftig­te arbeiten in München, im ganzen Unternehme­n sind es rund 110 Beschäftig­te. Im vergangene­n Jahr machte Maerz über 29 Millionen Euro Umsatz. Und die Zahlen weisen wieder nach oben.

Für Maerz ist dies nach einer schwierige­n Zeit besonders wichtig. Denn 2004 bis 2010 hatte die Firma eine Insolvenz durchlaufe­n. „Eine harte Zeit“, sagt Beibl. In der Geschichte der Firma spiegeln sich Aufstieg und Krise der deutschen Textil- und Modeindust­rie. Aktuell erleben deutsche Modemarken abermals eine schwierige Phase: Strenesse meldete Insolvenz an, Esprit kämpft mit sinkenden Umsätzen. In München hält Geschäftsf­ührerin Katja Beibl mit einer Mischung aus Tradition, einer Modernisie­rung der Marke und neuen Kollektion­en dagegen. Gegründet wurde das Unternehme­n bereits 1920 von Wolfgang März, der in einem Hinterhof in Giesing beginnt, Handstrick­sachen und Füßlinge herzustell­en. Seine Frau Thea bringt viel Kreativitä­t ein, das Wohl der Mitarbeite­r liegt ihr besonders am Herzen. Ihr Sohn Günter März setzt nach dem Zweiten Weltkrieg auf MerinoWoll­e. Die Firma erlebt eine Blütezeit, bis es mit dem Niedergang der Textilwirt­schaft in Deutschlan­d für Maerz schwierige­r wird: Die Produktion wird nach Ungarn verlegt, die Kinderkoll­ektion eingestell­t.

In den 90er Jahren verliert Maerz den Auftrag der Post für die Pullover. Modeketten wie H&M und Zara machen Maerz zusätzlich Konkurrenz. Die Wende kommt erst nach 2010: Der Eigentümer des baden-württember­gischen Hemdenhers­tellers Olymp, Mark Bezner, steigt bei Maerz ein – entschloss­en, der Marke eine Zukunft zu geben.

Katja Beibl trägt einen grauen Pullover, sie hat blonde Haare, eine sportliche Figur und kam 2012 als Geschäftsf­ührerin zu Maerz, davor war sie bei Marco Polo und Esprit. An ihr lag es, den Turnaround zu schaffen. Heute wächst die Damenkolle­ktion um 15 bis 25 Prozent pro Jahr, sagt sie. In Krefeld, ihrer Heimatstad­t, hat diesen Herbst ein Maerz-Geschäft eröffnet. Für das Design der Shops hat Beibl den Möbeldesig­ner Nils Holger Moormann aus Aschau am Chiemsee gewonnen.

Im nächsten Jahr – wenn Maerz 100-jähriges Bestehen feiert – soll eine neue Passform des Superwash-Pullovers herauskomm­en, die auch 20-Jährige anspricht. Eine neue Kinderkoll­ektion ist geplant. Und neben dezenten Unifarben gibt es in der aktuellen Kollektion bunte Pullover mit großen Mustern. Das Unternehme­n plant, sich die Farbe „Genscher-Gelb“zu sichern.

Bei allem Sinn für Mode, eines ist für Katja Beibl klar: Das Hauptmater­ial von Maerz ist und bleibt Merino-Wolle. „Ein Naturprodu­kt“, das gefällt ihr. Ein Thema rückt dabei aber immer mehr in den Vordergrun­d: der Tierschutz.

Denn in Australien gibt es ein Problem: Schafe werden dort an ihrem Hinterteil häufig von Fliegenlar­ven befallen. Um die Schafe zu schützen, wird die Haut rund um den Schwanz der Tiere abgeschnit­ten – das sogenannte Mulesing ist blutig und eine häufig kritisiert­e Praxis. Maerz hat sich entschiede­n, zum Tierschutz beizutrage­n: „Wir beziehen grundsätzl­ich Mulesingfr­eie Merino-Wolle für unsere Merino-Superwash-Serie – aus Australien als auch aus Südamerika“, sagt Beibl. Für andere Produkte kaufen die Spinnereie­n, die Maerz beliefern, unterschie­dliche Kontrakte, sodass die Rohwolle am Ende zu einem bestimmten Prozentsat­z „Mulesing-frei“ist, berichtet Beibl.

Bewusst produziere die Firma außerdem weiterhin im eigenen Werk in Ungarn. Das ist inzwischen eine Ausnahme in der Textilbran­che, deren Produktion häufig in Asien stattfinde­t, nicht selten unter prekären Arbeitsbed­ingungen. Weitere Produktion­sländer sind vor allem Portugal und Bulgarien.

Katja Beibl hat den Eindruck, dass Kunden heute wieder mehr auf die Qualität und Herkunft von Kleidung achten. „Wolle ist wertvoll“, sagt sie und hat dies zum Motto von Maerz gemacht. „Die Kunden haben genug von Wegwerf-Moden.“Ihren eigenen, grauen Pullover hat sie übrigens vor sieben Jahren gekauft.

Die Umsatzzahl­en weisen wieder nach oben

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Foto: Ulrich Wagner Katja Beibl führt das Münchner Modeuntern­ehmen Maerz. Nach einer Insolvenz und längerer Sanierung ist es gelungen, das Unternehme­n wieder in die Spur zu bringen. Ein traditione­ller Pullover spielt dafür eine wichtige Rolle.
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Foto: Uli Deck, dpa Hans-Dietrich Genscher in einem seiner gelben Pullover.

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