Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (32)
AEine Verbindung des preußischen Rittmeisters Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg Sechszehntes Kapitel Frau von Carayon und der alte Köckritz
h, bah! Was ist es denn mit beiden? Schach ist ein blauer Rock mit einem roten Kragen, und Wuthenow ist eine Lehmkate.“
„Mama, glaube mir, du tust ihm unrecht. Ich such es nach einer andern Seite hin. Und da find ich es auch.“
Frau von Carayon beugte sich zu Victoire nieder und küßte sie leidenschaftlich.
„Ach, wie gut du bist, viel, viel besser als deine Mama. Und nur eines ist gut an ihr, daß sie dich liebt. Er aber sollte dich auch lieben! Schon um deiner Demut willen.“Victoire lächelte.
„Nein, nicht so. Der Glaube, daß du verarmt und ausgeschieden seiest, beherrscht dich mit der Macht einer fixen Idee. Du bist nicht so verarmt. Und auch er ...“
Sie stockte.
„Sieh, du warst ein schönes Kind, und Alvensleben hat mir erzählt, in welch enthusiastischen Worten der Prinz erst neulich wieder von deiner Schönheit auf dem Massowschen
Balle gesprochen habe. Das ist nicht hin, davon blieb dir, und jeder muß es finden, der ihm liebevoll in deinen Zügen nachzugehen den Sinn und das Herz hat. Und wenn wer dazu verpflichtet ist, so ist er’s! Aber er sträubt sich, denn so hautain er ist, so konventionell ist er. Ein kleiner ängstlicher Aufmerker. Er hört auf das, was die Leute sagen, und wenn das ein Mann tut (wir müssen’s), so heiß ich das Feigheit und lâchete. Aber er soll mir Rede stehen. Ich habe meinen Plan jetzt fertig und will ihn demütigen, so gewiß er uns demütigen wollte.“
Frau von Carayon kehrte nach diesem Zwiegespräch in das Eckzimmer zurück, setzte sich an Victoirens kleinen Schreibtisch und schrieb:
„Einer Mitteilung Herrn von Alvenslebens entnahm ich, daß Sie, mein Herr von Schach, heute, Sonnabend abend, Berlin verlassen und sich für einen Landaufenthalt in Wuthenow entschieden haben. Ich habe keine Veranlassung, Ihnen diesen Landaufenthalt zu mißgönnen oder Ihre Berechtigung dazu zu bestreiten, muß aber Ihrem Rechte das meiner Tochter gegenüberstellen. Und so gestatten Sie mir denn, Ihnen in Erinnerung zu bringen, daß die Veröffentlichung des Verlöbnisses für morgen, Sonntag, zwischen uns verabredet worden ist. Auf dieser Veröffentlichung besteh ich auch heute noch. Ist sie bis Mittwoch früh nicht erfolgt, erfolgen meinerseits andre, durchaus selbständige Schritte. So sehr dies meiner Natur widerspricht (Victoirens ganz zu geschweigen, die von diesem meinem Schreiben nichts weiß und nur bemüht sein würde, mich daran zu hindern), so lassen mir doch die Verhältnisse, die Sie, das mindeste zu sagen, nur zu gut kennen, keine Wahl. Also bis auf Mittwoch! Josephine von Carayon.“
Sie siegelte den Brief und übergab ihn persönlich einem Boten mit der Weisung, sich bei Tagesanbruch nach Wuthenow hin auf den Weg zu machen.
Auf Antwort zu warten war ihm eigens untersagt worden.
Der Mittwoch kam und ging, ohne daß ein Brief Schachs oder gar die geforderte Verlobungsankündigung erschienen wäre. Frau von Carayon hatte dies nicht anders erwartet und ihre Vorbereitungen daraufhin getroffen. Am Donnerstag früh hielt ein Wagen vor ihrem Hause, der sie nach Potsdam hinüber führen sollte, wo sich der König seit einigen Wochen aufhielt. Sie hatte vor, einen Fußfall zu tun, ihm den ihr widerfahrenen Affront vorzustellen und seinen Beistand anzurufen. Daß es in des Königs Macht stehen werde, diesen Beistand zu gewähren und einen Ausgleich herbeizuführen, war ihr außer Zweifel. Auch über die Mittel und Wege, sich Sr. Majestät zu nähern, hatte sie nachgedacht und mit gutem Erfolge. Sie kannte den Generaladjutanten von Köckritz, der vor dreißig Jahren und länger als ein junger Leutnant oder Stabskapitän in ihrem elterlichen Hause verkehrt und der ,kleinen Josephine‘, dem allgemeinen Verzuge, manche Bonbonniere geschenkt hatte. Der war jetzt Liebling des Königs, einflußreichste Person seiner nächsten Umgebung, und durch ihn, zu dem sie wenigstens in oberflächlichen Beziehungen geblieben war, hoffte sie sich einer Audienz versichert halten zu dürfen.
Um die Mittagsstunde war Frau von Carayon drüben, stieg im ,Einsiedler‘ ab, ordnete ihre Toilette und begab sich sofort ins Schloß.
Aber hier mußte sie von einem zufällig die Freitreppe herabkommenden Kammerherrn in Erfahrung bringen, daß Seine Majestät Potsdam bereits wieder verlassen und sich zur Begrüßung Ihrer Majestät der Königin, die tags darauf aus Bad Pyrmont zurückzukehren gedenke, nach Paretz begeben habe, wo man, frei vom Zwange des Hofes, eine Woche lang in glücklicher Zurückgezogenheit zu verleben gedenke.
Das war nun freilich eine böse Nachricht. Wer sich zu einem peinlichen Gange (und wenn es der ,hochnotpeinlichste‘ wäre) anschickt und mit Sehnsucht auf das Schreckensende wartet, für den ist nichts härter als Vertagung. Nur rasch, rasch! Eine kurze Strecke geht es, aber dann versagen die Nerven. Schweren Herzens und geängstigt durch die Vorstellung, daß ihr dieser Fehlschlag vielleicht einen Fehlschlag überhaupt bedeute, kehrte Frau von Carayon in das Gasthaus zurück. An eine Fahrt nach Paretz hinaus war für heute nicht mehr zu denken, um so weniger, als zu so später Nachmittagszeit unmöglich noch eine Audienz erbeten werden konnte. So denn also warten bis morgen! Sie nahm ein kleines Diner, setzte sich wenigstens zu Tisch und schien entschlossen, die langen, langen Stunden in Einsamkeit auf ihrem Zimmer zu verbringen. Aber die Gedanken und Bilder, die vor ihr aufstiegen, und vor allem die feierlichen Ansprachen, die sie sich zum hundertsten Male wiederholte, so lange wiederholte, bis sie zuletzt fühlte, sie werde, wenn der Augenblick da sei, kein einziges Wort hervorbringen können –, alles das gab ihr zuletzt den gesunden Entschluß ein, sich gewaltsam aus ihren Grübeleien herauszureißen und in den Straßen und Umgebungen der Stadt umherzufahren. Ein Lohndiener erschien denn auch, um ihr seine Dienste zur Verfügung zu stellen, und um die sechste Stunde hielt eine mittelelegante Mietschaise vor dem Gasthause, da sich das von Berlin her benutzte Gefährt, nach seiner halbtägigen Anstrengung im Sommersand, als durchaus ruhebedürftig herausgestellt hatte.
„Wohin befehlen gnädige Frau?“„Ich überlass’ es Ihnen. Nur keine Schlösser oder doch so wenig wie möglich; aber Park und Garten und Wasser und Wiese.“
„Ah, je comprends“, radebrechte der Lohndiener, der sich daran gewöhnt hatte, seine Fremden ein für allemal als Halbfranzosen zu nehmen oder vielleicht auch dem französischen Namen der Frau von Carayon einige Berücksichtigung schuldig zu sein glaubte.