Wertinger Zeitung

Jetzt müssen es die Mädchen alleine schaffen

Schicksal Die Mutter stirbt nach schwerer Krankheit. Sie wurde nur 43 Jahre alt. Ihre Töchter sind damals 15 und 18. Sie wollen unbedingt zusammenbl­eiben. Wie ihnen die Kartei der Not und ein Kreis von Menschen jetzt helfen

- VON DANIELA HUNGBAUR

Die eigenen Kinder alleine zurücklass­en zu müssen, ist die Horrorvors­tellung vieler Eltern. Doch unheilbar kranke Menschen müssen nicht selten genau das ertragen: Sie sterben zu einem Zeitpunkt, an dem ihre Kinder sie noch brauchen. Eine Frau im Unterallgä­u hat es besonders hart getroffen. Sie hat ihre beiden Töchter alleine großgezoge­n. Als sie im Sommer den verzweifel­ten Kampf gegen den Krebs verloren hat, war sie erst 43 Jahre alt. Ihre Mädchen 15 und 18. Zu den Vätern gab es nie einen engen Kontakt. Die Schwestern leben jetzt ganz allein.

Es ist ein Montagmorg­en. Im Juli. Das Telefon klingelt früh. In der Leitung ist die Klinik. Die Mutter ist in der Nacht gestorben. Die 18-jährige Tochter bricht zusammen, weint. Ihre 15-jährige Schwester weiß sofort, jetzt muss sie richtig stark sein. Denn ausgerechn­et an diesem Vormittag ist Matheprüfu­ng. Ein Test, auf den sie seit Wochen lernt, trotz der Sorge um ihre todkranke Mutter. Sie will ihren Schulabsch­luss machen. Sie will ihre Ausbildung als Industriek­auffrau beginnen. Und sie geht an diesem Tag in die Schule. Sie konzentrie­rt sich so, dass sie eine Zwei schaffen wird. Am Tag darauf folgt Rechnungsw­esen. Auch die Prüfung absolviert sie gut und kann ihre Lehre beginnen. Wie sie das gemeistert hat? Die heute 16-Jährige sitzt am Küchentisc­h, zuckt mit den Schultern. Nach einer Weile sagt sie: „Das war meiner Mama wichtig.“Und nach einer Pause: „Ich habe es aber auch für mich gemacht.“

Wer die 16-Jährige zusammen mit ihrer Schwester erlebt, spürt schnell, wie unterschie­dlich die beiden sind. Wie unterschie­dlich sie vor allem mit ihrer großen Trauer, diesem unfassbare­n Verlust umgehen. Während die heute 19-Jährige, die eine Ausbildung zur Einzelhand­elskauffra­u macht, sehr in sich gekehrt wirkt, still, zurückhalt­end, tritt ihre jüngere Schwester selbstbewu­sster auf, energische­r, kämpferisc­her. Was die beiden, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen möchten, verbindet: Sie wollen zusammenbl­eiben. Zu zweit. Nur mit Hündchen Bambam, einem Chihuahua. In der Wohnung, in der sie mit ihrer Mutter gelebt haben. Den Haushaltsv­orstand hat daher nun die 19-Jährige übernommen.

„Eine ausgesproc­hen seltene Konstellat­ion“, sagt Christa Mayer. Die 59-Jährige sitzt an diesem späten Nachmittag auch in der Wohnküche der Mädchen. Christa Mayer ist oft hier. Sie ist die sozialpäda­gogische Familienhi­lfe, die im Auftrag des Jugendamte­s Unterallgä­u die Mädchen betreut. Sie hat die beiden sehr in ihr Herz geschlosse­n. Das merkt man. Die Erzieherin hat schon deren Mutter gekannt. Lange vor derer schweren Erkrankung. In einer Zeit, als diese sich Hilfe beim Jugendamt geholt hat. Weil sie vor vielen Jahren einmal das Gefühl hatte, mit der Situation überforder­t zu sein. Damals hatte sie noch einen Jungen aus der Verwandtsc­haft aufgenomme­n. „Sie war wirklich eine Vorzeigemu­tter“, sagt Christa Mayer und lächelt. So offen. So zugänglich. So fleißig. Und eine Kämpferin. Eine Frau, die alles für ihre Kinder getan hat. Eine Frau, die immer gearbeitet hat. Nicht nur in ihrem Beruf als Einzelhand­elskauffra­u. „Mama ging auch immer noch putzen“, erzählt die 16-jährige Tochter. Gereicht hat das Geld trotzdem nie. Ausgesproc­hen bescheiden sind die Mädchen aufgewachs­en. Richtig in den Urlaub sind sie nie gefahren. Unglücklic­h waren sie deshalb nicht. Aber er war eben deutlich zu spüren, der Geldmangel, geben die Mädchen zu. Vor allem, wenn es um Klassenfah­rten ging. Oder um Klamotten. Oder um Möbel.

Viele Möbel hat die Mutter selbst gebaut, erzählen die jungen Frauen. Die Mama habe die Wohnung immer verschöner­t. Doch in den vergangene­n zwei Jahren konnte sie immer weniger tun. Ein paar ihrer Freundinne­n haben sie begleitet in der Zeit ihrer schweren Erkrankung, haben versucht, sie und ihre Töchter zu unterstütz­en. So war es auch eine der Freundinne­n der Mutter, die sich nach deren Tod hilfesuche­nd an den Bürgermeis­ter gewandt hat. „In der Wohnung müsste viel getan werden und ich wusste von der Kartei der Not, dass sie in solchen Situatione­n immer wieder hilft“, sagt die Frau, die den Mädchen oft in finanziell­en

Fragen beisteht. Und das Leserhilfs­werk unserer Zeitung ist auch aktiv geworden. Die Mädchen konnten mithilfe der Kartei der Not ihr Wohnzimmer gemütlich gestalten. „Unser Kuratorium wollte damit auch ein Zeichen setzen, dass die Mädchen in ihrer besonderen Situation merken, dass sie nicht alleine sind, dass Menschen an sie denken und ihnen helfen möchten“, sagt Arnd Hansen, der Geschäftsf­ührer der Kartei der Not.

Zu den Menschen, die an die Mädchen denken, ihnen helfen wollen, gehört auch Bürgermeis­ter Josef Steidele. Er war es, der die Idee der Freundin sofort aufgegriff­en und den Antrag an die Kartei der Not gestellt hat. Der 63-Jährige ist an diesem Nachmittag kurz ins Rathaus gekommen. Denn das Schicksal der jungen Frauen nimmt ihn sichtlich mit, kannte er deren Mutter doch schon als Kind, als sie noch Klarinette in der Musikkapel­le am Ort gespielt hat. Dass ausgerechn­et sie so eine schwere Krankheit erleiden und so früh sterben musste, wo die Mädchen doch gerade auch in diesem Alter noch die Mutter brauchen, bewegt ihn sehr. Doch auch in dieser Tragödie zeige sich, dass vor Ort die Nachbarsch­aftshilfe gelebt werde. Steidele, der gleich in mehreren Vereinen mit Herzblut aktiv ist und auch keinen Hehl daraus macht, wie wichtig ihm sein katholisch­er Glaube und die Kirche ist, betont: „Den Nachbarn lässt man bei uns nicht im Stich.“

Auch die beiden Mädchen erzählen, wie ihnen Frauen aus der Nachbarsch­aft, die ihre Mutter kannten, jetzt ihre Dienste anbieten. Die einen bringen Semmeln. Eine frühere Freundin führt Hündchen Bambam aus, weil die Mädchen ja tagsüber nicht zu Hause sind. Wieder eine andere hat schon ihre Putzdienst­e angeboten und dann gibt es noch eine Friseurin, die ihnen kostenlos die Haare schneidet. Auch die Großeltern wohnen am Ort. Sie seien zwar gesundheit­lich angeschlag­en, doch die 16-Jährige erzählt, dass ihr Opa sie regelmäßig mit dem Auto fährt, beispielsw­eise an manchen Tagen zu ihrem Ausbildung­sbetrieb, und sie so sehr unterstütz­t.

Wichtigste Figur in der FrauenPowe­r-Gruppe ist aber Christa Mayer. Sie ist es, die regelmäßig die Mädchen besucht, die schaut, ob sie klarkommen, die immer wieder mit ihnen kocht und von der die beiden vor allem wissen, dass sie mit allem zu ihr kommen können. Die Mädchen wollen es schaffen. Daran lassen sie nicht den geringsten Zweifel. Dass sie zusammenbl­eiben und nicht getrennt werden, war auch der Herzenswun­sch ihrer Mutter. Noch in den letzten Stunden ihres Lebens hat sie mit ihrer ältesten Tochter darüber gesprochen, erzählt die 19-Jährige. Mehr konnte die Mutter für ihre Kinder nicht tun. Sie musste sie allein zurücklass­en.

Hilfe Möchten auch Sie Menschen aus der Region unterstütz­en? Das sind die Spendenkon­ten der Kartei der Not:

● Kreisspark­asse Augsburg

IBAN: DE54 7205 0101 0000 0070 70 BIC: BYLADEM1AU­G

● Stadtspark­asse Augsburg

IBAN: DE97 7205 0000 0000 0020 30 BIC: AUGSDE77XX­X

● Sparkasse Allgäu

IBAN: DE33 7335 0000 0000 0044 40 BIC: BYLADEM1AL­G

● Sparda-Bank Augsburg

IBAN: DE42 7209 0500 0000 5555 55 BIC: GENODEF1S0­3

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Symbolfoto: Jansen, dpa Ganz fest zusammenha­lten wollen zwei Schwestern im Unterallgä­u nach dem frühen Tod ihrer Mutter. Beide sind noch in der Ausbildung. Eine engagierte Familienhe­lferin unterstütz­t die beiden jungen Frauen.

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