Der SchwarzMaler
Pierre Soulages wird an Heiligabend 100
Wohl keine Epoche außer der unseren kann wenigstens drei Maler von Rang aufbieten, die 100 Jahre und älter wurden: den abstrakten Rupprecht Geiger aus München (1908 – 2009), Karl Otto Götz, diesen Hauptvertreter des deutschen Informel (1914 – 2017) und – mit dem Heiligen Abend 2019 – den französischen Schwarz-, Jenseits-vonSchwarzund Überschwarz-Maler Pierre Soulages, 100 Jahre: Das ist noch mal eine andere Kategorie als Tizian, der im 16. Jahrhundert ein damals schier unglaubliches Alter von rund 87 Jahren erreichte.
Und Pierre Soulages malt weiterhin täglich in seinem Atelier in der südfranzösischen Hafenstadt Sète beziehungsweise in Paris – während seine Frau die geschäftlichen Dinge regelt. Es gibt für Soulages keinen Grund, aufzuhören mit der Schwarz-Malerei, die ihn in gewisser Weise seit Kindheitstagen begleitet, als er mit schwarzer Tinte eine Schneelandschaft malte. Die schwarze Tinte ließ das ausgesparte Weiß umso stärker leuchten, während er heute – und dies seit rund 40 Jahren – rein schwarze Gemälde malt, deren pastose Texturen und Strukturen – glatt, faserig, furchig, schrundig – das Licht modulieren, brechen und reflektieren, je nach Einfall und Umgebung sogar dezent farbig. Da leuchtet dann besagtes Jenseits-von-Schwarz oder Überschwarz, das Soulages mit seiner Größe von 1,90 Metern sucht.
In den 1940er Jahren, als Pierre und seine Frau Colette in frühexistenzialistischem Schwarz heirateten, hatte er mit Walnussbeize begonnen, sich von Hans Hartung und Francis Picabia in Paris anregen lassen und später mit Teer materialhaft weiterexperimentiert – was noch heute im matten oder seidigen Glanz von opulentem (Acryl-)Farbauftrag nachhallt.
Wenn der indisch-britische Kollege Anish Kapoor sein (für die Kunst patentiertes) Schwarz als lichtschlu- ckende „Tarnfarbe“nutzt, so macht Soulages das Schwarz absichtsvoll dienstbar für Lichtreflexionen. Und damit vollenden sich seine Gemälde auch erst auf der Netzhaut des Betrachters.
Hochrespektiert wird Soulages’ Wirken seit langem: Er war Teilnehmer der ersten drei (!) Documenta-Weltkunstausstellungen in Kassel, als gleichzeitig noch aufgearbeitet wurde, was die Nazis gebrandmarkt hatten, und 1994 dann erhielt er jenen japanischen Praemium Imperiale, den nur die weltweit Besten der wichtigsten Kunstsparten erhalten.
100 Jahre Pierre Soulages: Paris lässt sich nicht lumpen. Zweimal erst hat der Louvre, keine Anlaufstelle in Sachen Gegenwart, Räume für Künstler der Moderne geöffnet: zum 90. Geburtstag von Pablo Picasso und von Marc Chagall. Der dritte im Bunde ist nun Pierre Soulages, dessen Entwicklung seit Mitte der 1940er Jahre in neunzehn Bildern nachvollzogen wird – im „Salon carré“, wo ansonsten keine Geringeren als Cimabue und Giotto residieren. Parallel dazu – ebenfalls bis 9. März 2020 – wird Soulages vom Centre Pompidou geehrt, das die meisten Gemälde des Jubilars besitzt – nach dem Soulages-Museum im südfranzösischen Rodez (um die 500 Arbeiten!), wo der Meister heute vor 100 Jahren als Sohn eines Kutschenmachers geboren worden war. 40 Kilometer entfernt davon steht in Conques die Klosterkirche SainteFoy mit ihren 104 von Soulages gestalteten Glasfenstern. Auch bei ihnen geht es um Schwärze (Blei) und Licht (milchweißes Glas).