Galeristin wird Detektivin
Graphic Novel aus Londons Kunstszene
Spätestens, wenn der Revolver auftaucht, muss man an Miss Marple denken. Cassandra Darke trägt statt Dauerwelle zwar einen Bob und drüber meistens eine Fliegerpelzmütze, aber in ihrer Schrulligkeit und Fülle erinnert die Londoner Galeristin an Agatha Christies alte Amateur-Detektivin. Und am Ende löst Darke ja auch einen verzwickten Fall. Die Kunstexpertin kommt allerdings selbst in Konflikt mit dem Gesetz. Es ist ja auch zu verlockend, wenn Sammler nach dem Tod eines angesagten Bildhauers gleich noch gieriger werden und bereit sind, beträchtliche Summen für dessen Objekte hinzulegen. Ein, zwei Abgüsse mehr, wen kratzt das schon? Doch die ausgebuffte Händlerin fliegt auf, und was ihr tatsächlich schwer zu schaffen macht, ist die Angst, im Knast zu landen.
Cassandra bringt das aber keineswegs dazu, ihren luxuriösen Lebensstil zu ändern. Sie residiert nach wie vor in einer Villa im noblen Chelsea, süffelt erlesenen Rotwein und lässt sich von ihrer Köchin verwöhnen. Eine misanthrope Egoistin ist da am Wursteln und Tricksen, wobei Cassandras Alltag dann doch durcheinandergerät, als Nicki einzieht, die Tochter ihrer Schwester und ihres Ex-Gatten. Die ziemlich erfolglose Aktionskünstlerin lässt sich indes gut für allerlei Botengänge einsetzen, blöd ist nur, dass sie an einen dubiosen Kerl gerät.
Es dauert nicht lange und Tante Cassandra muss sich zum ersten Mal aus ihrem bequemen UpperclassKokon hinausbewegen, denn sie entdeckt in Nickis Mülleimer den eingangs erwähnten Revolver. Das problematische Fundstück führt sie dann auch in die düstersten Ecken des vom Brexit gebeutelten London. Und das ausgerechnet in der rührseligen Weihnachtszeit.
Posy Simmonds (74), die langjährige Cartoonistin der britischen Tageszeitung The Guardian, hat all das in eine herrlich trockene, zwischendurch auch sehr bissige Graphic Novel gepackt, die die Regeln des klassischen Krimis nonchalant ignoriert. Die satirischen Momente sind Simmonds in diesem Mix aus Comic und ungewöhnlich langen Fließtexten wichtiger. Gerade das macht aber den Reiz ihres jüngsten Buches aus.
Posy Simmonds: Cassandra Darke. Reprodukt, 96 S., 24 ¤