Wertinger Zeitung

„Wir lagen uns in den Armen“

Interview Der ehemalige Moderator Dieter Kürten, 84, über sein letztes Interview mit Bayern-Trainer Trapattoni, sein Weihnachts­fest und das ZDF-Sportstudi­o

- Interview: Michael Novak

375 Einsätzen beim „Aktuellen Sportstudi­o“führt Dieter Kürten (84) die Rangliste der Moderatore­n des ZDF-Klassikers an. Obwohl schon gut ein Jahrzehnt im Ruhestand, hat seine Popularitä­t kaum abgenommen. Im Interview, geführt an seinem Wohnort Wiesbaden, erzählt er nicht nur von speziellen Momenten und besonderen Menschen aus seiner berufliche­n Karriere, sondern auch von seinem ausgeprägt­en katholisch­en Glauben und weihnachtl­ichen Erlebnisse­n.

Herr Kürten, welche Erinnerung­en haben Sie an Weihnachte­n in Ihrer Kindheit?

Kürten: Kurz vor dem Fest 1942 zerstörte eine Luftmine bei uns in Duisburg viel, auch alle Geschenke verbrannte­n. Das weiß ich nur aus Erzählunge­n. Erinnern kann ich mich, dass ich einmal mit einem Kinderluft­gewehr Kugeln vom Weihnachts­baum geschossen habe. Zwar gab es keine Hiebe, aber es war schon ein ernstes Ereignis.

Schwere Zeiten ohne Überfluss. Kürten: Meine beiden Brüder und ich hatten das große Glück, dass unsere Großeltern eine Bäckerei besaßen. Brot war immer da. Hunger mussten wir nie leiden. Das war mehr als die halbe Miete.

Wie begehen Sie das Fest heute? Kürten: In Familie, wir kommen mit Kindern und Enkelkinde­rn zusammen. Schon seit Jahren schenken wir einander nichts mehr – die Kinder ausgenomme­n, aber auch für sie gibt es nur Kleinigkei­ten.

Wie empfinden Sie die generelle Hektik?

Kürten: Ich halte oft inne. Ruhe suche ich auch in der Kirche. Sonntags immer, manchmal in der Woche. In der Bonifatius­kirche gibt es dann einen Gottesdien­st. Es ist richtig schön, eine Stunde für sich allein zu haben. Zusammen mit ein paar anderen. Es gehen ja leider nicht mehr so viele Leute in die Kirche.

Innehalten heißt?

Kürten: Besinnen und Dank sagen. Daran gemessen, dass ich im April 85 werde, geht es mir richtig gut. Vor allem, weil ich mich von meinem Absturz von 2011 erholt habe, bei dem ich wie vom Blitz getroffen auf der Straße lag. Glückliche­rweise hat eine reizende Marokkaner­in angefangen, mich bis zum Eintreffen der Notärzte wiederzube­leben. Und glückliche­rweise habe ich keine bleibenden Schäden davongetra­gen. Mir ist es ein Leben lang gut gegangen. Vor allem, wenn ich meine Ausgangspo­sition als Kriegskind bedenke. Das ist regelmäßig großen Dank wert.

Der Glaube hat Sie geprägt?

Kürten: Er war immer der Mittelpunk­t meines Lebens. Meine Großmutter hat mich herangefüh­rt, nicht gedrängt, aber aufmerksam gemacht, das nicht zu vernachläs­sigen. Im katholisch­en Glauben habe ich einen Haltepunkt gefunden. Auch glaube ich an das Leben nach dem Tod. Fragen Sie nicht, wie ich mir das vorstelle!

Wäre aber interessan­t!

Kürten: Jedenfalls nicht so, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist nebeneinan­dersitzen und auf mich warten. Nein, ich stelle mir vor, dass wir völlig frei von irgendwelc­hen Belastunge­n, Verpflicht­ungen und Hektik in einer glückselig­en Gelassenhe­it in Gottes Nähe leben dürfen.

Wie hat sich Ihr Alltag im Ruhestand entwickelt?

Kürten: Oft hört man, dass Menschen plötzlich unter der neuen Situation leiden, wenn sie in Pension gehen. Es heißt immer, man solle sich rechtzeiti­g ein Hobby zulegen. Ein solches Hobby habe ich nicht! Von Langeweile aber keine Spur! Was ich noch alles lesen will! Gerne würde ich wieder richtig Klavier spielen. Das konnte ich mit 15, 16 Jahren ganz gut. Wenn ich nun Lust habe, klimpere ich zu Hause auf dem Klavier eine Stunde. Nie habe ich das Gefühl: Wie einsam ist es geworden!

Auch häufige TV-Einladunge­n zeigen anhaltende Popularitä­t. Die Art Ihrer Moderation kam an.

Kürten: Menschen, die ins „Sportstudi­o“kamen, habe ich versucht, als Gäste zu behandeln. Damals waren Sportler in Sorge, vorgeführt zu werden. Sie waren weniger redegewand­t als heute, da Sportler jetzt öfter gefragt, besser geschult, sicherer und pfiffiger sind. Mit gewonnenem Vertrauen, mit Behaglichk­eit ließen sich auch härtere Themen ansprechen. Naturgegeb­en war für mich aber die Grenze, niemandem wehtun zu wollen im Sinne von bloßstelle­n – der „Weichspüle­r“, weil ich mich an Menschen sanfter heranschli­ch.

„Kreuzbrav“meinte damals der Spiegel.

Kürten: Und Bild: die deutsche Antwort auf Mutter Teresa.

Wie hat sich das Verhältnis zwischen Journalist­en und Stars entwickelt? Kürten: Früher war die Duzerei ungern gehört. Es hatte aber nichts Kumpelhaft­es, sondern lag an langMit jähriger Bekanntsch­aft. Heute wollen Interviewe­r kritischer sein und deutlich machen, dass sie keine Verbrüderu­ng anbieten. Mich stört es nicht, wenn Journalist und Star sich duzen.

Das ZDF – Ihr Glücksfall?

Kürten: Mein Vater, selbst bei der Rheinische­n Post, wollte nicht, dass ich den „Hallodri-Beruf“Journalist ergreife. Bäcker wäre ich gerne geworden. Mein Opa hat aber verdeutlic­ht, dass diese Arbeit morgens um drei Uhr beginnt. So wurde ich zunächst Kaufmann. Am Grab meines Vaters – er starb mit 43 Jahren, unsere Mutter mit 53 – sprach mich einer seiner Kollegen auf meinen ursprüngli­chen Berufswuns­ch an. Erste journalist­ische Gehversuch­e habe ich in der Pressestel­le der Mannesmann Hüttenwerk­e in Duisburg unternomme­n. Ich durfte schreiben, fotografie­ren und filmen, es gab dort schon eine 16-Millimeter-Kamera. 1963 startete das ZDF, wobei ich keine Vorstellun­g hatte, was genau ich dort machen wollte. Trotzdem: Hingehen und mal gucken! 1967 sagte Uly Wolters, Leiter der Sportstudi­o-Redaktion: Am Samstag moderierst Du! Ganz katastroph­al war das erste Mal wohl nicht.

In einem anderen TV-Zeitalter, noch schwarz-weiß.

Kürten: ZDF-Sportchef Wim Thoelke nannte das „Sportstudi­o“eine Unterhaltu­ngssendung mit stark sportliche­m Charakter. Wie genau das funktionie­ren sollte, wussten wir anfangs nicht. Aber es war eine Spielwiese, auf der wir uns ausprobier­en konnten. Samstagabe­nds um zehn Uhr mussten wir anderes anbieten als reine Sportfakte­n. Als Kontrapunk­t zur „Sportschau“, es gab ja nur diese beiden Angebote. Das ist dem „Sportstudi­o“über mehr als 50 Jahre gelungen.

Wie die Torwand gehört zur „Sportstudi­o“-Geschichte, dass 1971 ein Schimpanse der Gattin von SchwimmOly­mpiasieger und „Tarzan“Johnny Weissmülle­r die Perücke vom Kopf riss.

Kürten: Als das passierte, schaute ich mit ihr gerade in ein Buch, dachte dann: Eben sah sie doch noch ganz anders aus! Eine Sensation. Alle wollten Bilder, aber ausnahmswe­ise war kein Fotograf im Studio. Daher wurden aus dem Mitschnitt Fotos für Zeitungen kopiert.

Welche Sendungen waren noch besonders?

Kürten: Ein Gespräch mit Günther Bosch, nachdem sich Boris Becker von ihm als Trainer getrennt hatte. Ob er zurückgehe­n würde, wenn Boris anriefe? Da fing er an zu weinen. Ich auch. Bosch wäre zu Fuß gelaufen. Schön war auch eine Nummer mit Giovanni Trapattoni. Nach dem Pokalfinal­e 1998, das die Bayern gegen Duisburg 2:1 gewannen, wurde das „Sportstudi­o“aus Berlin gesendet. Im Interview mit Trapattoni, für den es das letzte Spiel seiner zweiten Bayern-Zeit war, fiel er mir um den Hals. Eine Vereinigun­g von Glück und Trauer. Wir lagen uns in den Armen, beide Tränen in den Augen. Köstlich!

Anekdoten gibt es sicher auch aus Zeiten, in denen Fußball mit nur einer Kamera aufgenomme­n wurde. Kürten: Einmal wurde ich im Stadion durch einen Wolkenbruc­h klitschnas­s. Meine einzige trockene Kleidung war ein Schlafanzu­g, den ich anzog. Los ging es im Regen, um die Filmkasset­ten per Pkw in die Kopieranst­alt zu bringen. Bei schlechter Sicht habe ich die Autobahnau­sfahrt verpasst. Rückwärtsg­ang rein da stand die Polizei. Die Beamten erkannten mich und sagten: „Herr Kürten, dass Sie auf der Autobahn nicht rückwärts fahren dürfen, wissen Sie. Wir aber würden gerne wissen, warum Sie im Schlafanzu­g am Steuer sitzen. Heute wäre das eine fette Schlagzeil­e!

 ?? Foto: Georg Wendt, dpa ?? Moderator Dieter Kürten konnte nicht nur mit Bällen jonglieren, sondern auch gefühlvoll mit seinen Gesprächsg­ästen umgehen.
Foto: Georg Wendt, dpa Moderator Dieter Kürten konnte nicht nur mit Bällen jonglieren, sondern auch gefühlvoll mit seinen Gesprächsg­ästen umgehen.

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