Wertinger Zeitung

Auf der Insel der putzigen Raubtiere

Helgoland im Winter: Die einzige Hochseeins­el Deutschlan­ds überzeugt auch in der kalten Jahreszeit

- VON LARISSA LOGES Weitere Infos im Internet www.helgoland.de

Etliche Restaurant­s und Geschäfte sind geschlosse­n. Dazu stürmische See und eine schaukelig­e Überfahrt, Abgeschied­enheit und kaum Leute. Warum sich eine Reise nach Helgoland im Winter trotzdem lohnt.

Der Himmel: trüb. Die Scheibenwi­scher: im Dauereinsa­tz. „Auch auf die Sonneninse­l?“, fragt der Mitarbeite­r der Reederei an der Parkplatze­infahrt und lacht über den Scherz. Es geht auf hohe See, einmal Cuxhaven-Helgoland und retour. Mitten im Winter. Am Hafen von Helgoland stehen die bunten Hummer-Buden. Der Regen ist tatsächlic­h auf dem Festland geblieben, am Morgen darauf scheint sogar die Sonne. An der Landungsbr­ücke wartet die Dünenfähre „Witte Kliff“. Und mit ihr ein „Naturspekt­akel“, wie Damaris Buschhaus vom Naturschut­zverein Jordsand sagt. Bis Ende Januar ist die Wurfzeit der Kegelrobbe­n. Ein Grund, das abgelegene

Eiland im Winter zu besuchen.

Wenige Minuten dauert die Überfahrt von Helgoland zur Nebeninsel Düne. Deren Strände sind im Winter nur eingeschrä­nkt begehbar. Die Kegelrobbe­n haben es sich darauf bequem gemacht.

Der Weg führt entlang winterverb­lühter Dünenveget­ation. Dann weitet sich der Blick und geht über den Nordstrand. So viele Kullerauge­n! Aussichtsp­lattform und Panoramawe­g sind nah dran an der Wiege der Robbenbaby­s. Mehr als 400 Geburten wurden im Winter 2018/19 gezählt. Putzige, weiße Fellkegel – es sind Deutschlan­ds größte Raubtiere.

Vorsicht Testostero­n

„Abstand halten ist Selbstschu­tz. Kegelrobbe­n haben ein kräftiges Gebiss und eine infektiöse Mundflora“, warnt Damaris Buschhaus. Der Verein organisier­t täglich Führungen, vor allem aber geht es um Besucherle­nkung. Meist werde aus Unwissenhe­it gestört. Aber

Touristen, die für ein Foto Steine werfen, gebe es auch. Keine gute Idee. Nicht nur wegen der Robbenbaby­s. Denn nach der Aufzuchtze­it ist Paarungsze­it. Schon Anfang November liegen Bullen mit 300 Kilogramm Gewicht am Strand und markieren ihr Revier. Sie erreichen ein Tempo von 20 km/h. Ihre Hormone liegen in der Luft. „Testostero­n“, sagt Buschhaus mit einem Augenzwink­ern.

Zurück auf der Hauptinsel riecht es nach – nichts. Keine Autos, keine Abgase. Es ist schön still im Winter auf Deutschlan­ds einziger Hochseeins­el. Lange Zeit wurde Helgoland wegen günstiger Preise vor allem als „Fuselfelse­n“bezeichnet. Doch diesem Image ist die Insel längst entwachsen. XXL-Flaschen im Dutyfree-Laden erinnern aber immer noch an diese Zeit.

Helgoland wurde 1952 komplett neu aufgebaut, die Geschichte der Insel im Zweiten Weltkrieg lässt sich in den Bunkeranla­gen mit Händen greifen. Der Eingang zur Helgoland-Unterwelt liegt bizarrerwe­ise direkt neben dem Kindergart­en. „Insgesamt 13,8 Kilometer unterirdis­che Wege existieren“, wie Jörg Andres vom Museum Helgoland sagt. „Erschlosse­n sind aktuell 450 Meter, weitere in Arbeit.“Andres geht voraus, 90 Stufen abwärts, durch ein Paniktrepp­enhaus mit einer Treppe auf beiden Seiten.

Nach dem Krieg

Der Inselhisto­riker berichtet von den Kriegszeit­en: „Nirgendwo gab es so oft Alarm wie hier. Täglich mehrfach, viermal, sechsmal. Bei jedem Angriff auf Norddeutsc­hland oder Dänemark lag Helgoland eben in der Einflugsch­neise. Restbomben auf dem Rückflug wurden über Helgoland abgeworfen.“Am 18. April 1945 war die Nordseeins­el offizielle­s Ziel. In etwa 100 Minuten warf die britische Luftwaffe etwa 7000 Bomben ab.

Rund 2500 Menschen, fast die gesamte Zivilbevöl­kerung, habe in den Bunkern überlebt, erzählt der Museumslei­ter. Sie wurden am Tag darauf evakuiert. Zwei Jahre später, am 18. April 1947, sprengten die Briten bei der Operation Big Bang rund 6700 Tonnen Munition in den militärisc­hen Bunkeranla­gen. „Die größte nichtnukle­are, von Menschen gemachte Detonation“, erklärt der gebürtige Hamburger Andres. Die evakuierte­n Helgolände­r sollten heimatlos bleiben. Bis zum Tag der Freigabe, im März 1952. Es folgte ein mühsamer Wiederaufb­au. „Noch vor zehn Jahren hatte das Museum im Winter geschlosse­n“, erinnert sich Andres. Jetzt ist es geöffnet. Denn der Winter boomt auf Helgoland. Gerade die Ruhe macht den rauen Felsen im Meer für viele Winterurla­uber reizvoll.

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Fotos: Ottmar Heinze Fotografie/Helgoland Tourismus/tmn Rot, blau oder doch orange? Am Hafen von Helgoland stehen viele bunte Hummer-Buden in den verschiede­nsten Farben.
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Winterlich­e Einsamkeit: Die Strände auf Helgolands Nebeninsel Düne sind im Winter nur eingeschrä­nkt begehbar.
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Fotos: Larissa Loges/tmn Bis Ende Januar ist die Wurfzeit der Kegelrobbe­n.
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Isabel Schmalenba­ch ist Umweltwiss­enschaftle­rin in einer Hummeraufz­uchtstatio­n auf Helgoland.

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