Beim Yoga schütten ihm Häftlinge ihr Herz aus
Interview Der evangelische Pfarrer Peter Trapp arbeitet als Seelsorger im Gablinger Gefängnis. Besonders an Weihnachten spricht er mit vielen Häftlingen über Einsamkeit. Wie das Fest im Knast abläuft
Gablingen Weihnachten, das ist für die allermeisten von uns das Fest der Familie. Ganz anders sieht das Fest allerdings in der JVA Gablingen aus. Für die Häftlinge ist Weihnachten auch ein Fest der Einsamkeit. Im Interview spricht Gefängnispfarrer Peter Trapp über seine Arbeit mit den Häftlingen.
Während die meisten von uns Weihnachten im Kreise der Familie verbringen, sind die Häftlinge in der JVA Gablingen eingesperrt. Wie sieht Weihnachten im Gefängnis aus?
Peter Trapp: Weihnachten läuft im Gefängnis ohne große Besonderheiten ab. Es sind drei Gottesdienste geplant, natürlich mit Weihnachtsmusik. So kann jeder Häftling einen Weihnachtsgottesdienst besuchen. An einem normalen Wochenende wäre das nicht möglich. Denn es braucht dafür auch mehr Personal. Auch an Heiligabend müssen deshalb viele Beamte arbeiten.
Gibt es an Weihnachten besondere Besuchszeiten?
Trapp: Nein. Es gelten die normalen Besuchszeiten. Eine Stunde im Monat. Auch an Weihnachten gibt es für die Häftlinge kaum Kontakt nach außen. In dieser Zeit ist das besonders schmerzlich. Gerade weil die Häftlinge die meiste Zeit allein sind, ist die Gemeinschaft im Gottesdienst für viele wichtig. Einige der Gefangenen bekommen nicht einmal in dieser einen Stunde im Monat Besuch. Sie haben niemanden.
Beschäftigt diese Einsamkeit die Häftlinge in der Adventszeit besonders? Trapp: Offen spricht darüber kaum einer. Nach außen hin sind die meisten Häftlinge sehr„cool“. Mein Eindruck ist aber, dass im Gefängnis sehr viel gegrübelt, gebetet und geweint wird - und das von gestandenen Männern.
Kommen Sie bei ihren Gesprächen nicht an den weichen Kern der harten Jungs?
Trapp: Doch, das passiert eigentlich täglich. Darin sehe ich auch meine Aufgabe als Seelsorger im Gefängnis. Ich kann mir die Zeit nehmen, wenn sich Gefangene öffnen wollen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Die Türen öffnen sich. Das ist im Gefängnis auch sinnbildlich zu verstehen. Es gibt ein schönes Adventslied, da geht es um die Herzenstür. Die lässt sich nur von innen aufschließen. Auch innerhalb von Gefängnismauern kann ein Mensch seine Herzenstür öffnen. Es gibt aber auch viele Momente im Gefängnis, da geht mir das Herz auf.
Zum Beispiel?
Trapp: Wenn zum Beispiel ein Häftling kein Deutsch kann, kommt ein anderer und übersetzt für ihn. Wenn es zu einem Streit kommen könnte, gehen erfahrene Häftlinge dazwischen und verhindern Schlimmeres. Es sind menschliche Gesten wie diese, die mich berühren. Aber auch Kleinigkeiten wie ein Christbaum, der für die Häftlinge aufgestellt wurde. Das ist nichts Besonderes, aber im tristen Gefängnis haben diese Dinge eine riesige Wirkung.
Sie sprechen täglich mit vielen Häftlingen. Was liegt den Insassen auf dem Herzen?
Trapp: Es geht oft um die Frage: „Wie bin ich hierhergekommen?“Gerade am Anfang der Haftstrafe beschäftigt diese Frage natürlich. In Gablingen sind vor allem Ersttäter. Sie fragen sich: „Warum bekomme ich eine Strafe und viele andere nicht?“Das Thema Gerechtigkeit spielt da eine große Rolle. Wenn ich von der höchsten weltlichen Instanz, dem Gericht, verurteilt werde, stelle ich mir vielleicht auch die Frage nach einer noch höheren Instanz.
Ich glaube, deshalb kommen viele Häftlinge zu mir.
Ist das Gefängnis ein Ort des Glaubens?
Trapp: Es ist auf jeden Fall ein Ort der Bibeln. Danach werde ich sehr häufig gefragt. Ich habe eine Sammlung von Bibeln in etwa 40 Sprachen. Die verschenke ich gerne an die Häftlinge. Und sie werden auch gelesen. Das ist auch etwas, das verbindet. Im Gefängnis werden die verschiedensten Sprachen gesprochen. Die Bibelgeschichten aus dem Gottesdienst kann jeder in seiner Sprache nachlesen.
Viele der Gefangenen haben schlimme Straftaten begangen. Sie hören sicher immer wieder schreckliche Erzählungen. Was macht das mit Ihnen? Trapp: Ich nehme das nicht mit nach Hause. Ich fahre mit dem Fahrrad etwa eine halbe Stunde von der Arbeit bis nach Hause, in dieser Zeit lasse ich die schlimmen Dinge hinter mir. Dann ist Feierabend.
Wie machen Sie das?
Trapp: Es kann vorkommen, dass ich in einem Moment ein gutes, persönliches Gespräch mit einem Häftling führe. Später sehe ich nach, welche Straftat er begangen haben soll und stelle fest: Ich habe gerade mit einem Mörder oder Sexualstraftäter gesprochen. Das ist nicht einfach. Aber ich versuche mich nicht über die Häftlinge zu erheben. Ich bin nicht ihr Richter. Außerdem denke ich, dass es keine Straftat gibt, zu der nicht auch ich unter gewissen Umständen fähig wäre.
Wirklich?
Trapp: Natürlich habe ich nicht vor, eine Straftat zu begehen. Ich möchte aber nicht mit dem Finger auf die Häftlinge zeigen. Das ist nicht meine Aufgabe. Als Seelsorger geht es darum, einen menschlichen Draht zu seinen Mitmenschen aufzubauen. Auch der Verbrecher ist mein Bruder. Aber natürlich gibt es auch Straftaten, die so furchtbar sind, dass ich mich erschrecke.
Gibt es Gespräche, die Sie nachts nicht schlafen lassen?
Trapp: Auch das gab es schon. Es gab zum Beispiel mal einen Fall, da hatte jemand Millionen von Euro hinterzogen. Das hat mich lange beschäftigt.
Als Seelsorger haben Sie etwas Neues mit in die JVA Gablingen gebracht. Sie machen dort nun gemeinsam mit dem Gefangenen Yoga. Wie kommt das an?
Trapp: Ich bin seit anderthalb Jahren auch Yogalehrer. Ich finde, das passt aus vielen Gründen sehr gut in die JVA und zu den schweren Jungs. Und es passt auch wunderbar in die Adventszeit.
Wieso das denn?
Trapp: Beim Yoga geht es viel um die Körperhaltung. Bei bestimmten Übungen öffnet man sich ganz automatisch erst körperlich und dann auch seelisch. Da sind wir wieder beim Herzöffnen in der Adventszeit. Es ist wunderbar zu sehen, was Yoga mit den Häftlingen macht. Während unserer Yogastunde können sie in gewisser Weise aus dem Gefängnis fliehen und sind ganz woanders.