Wertinger Zeitung

Reisen zu den Sternen

- VON JONAS VOSS

Weihnachts­spezial Da war natürlich der Stern von Bethlehem… Aber es gibt noch viel mehr Gründe, Sternen zu folgen. Auf dieser Seite: Warum Michael Martin, der bekannte Wüstenkenn­er und Fotograf aus der Nähe von Augsburg schon häufig besonderen Himmelsere­ignissen hinterherg­ereist ist. Und auf den folgenden beiden Seiten: noch viel mehr Sternenzie­le

„… Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen.“

Helle Wegweiser im großen Dunkel. Sterne waren schon immer Kompass für Reisende. Der Legende nach folgten die Heiligen Drei Könige einem Kometen bis an den Stall von Bethlehem. Die Wikinger etwa sollen ihre Position auf hoher See mithilfe von Sonnenscha­ttenbrette­rn bestimmt haben, zählten die auf See zurückgele­gten Tage, berechnete­n die ungefähre Geschwindi­gkeit ihres Schiffes und orientiert­en sich anhand der Sonne und der Sterne. Ungezählte Segler, Abenteurer, Handelsrei­sende orientiert­en sich an Sonne, Mond und Sternen, besonders am Polarstern, der strahlend hell am Nachthimme­l leuchtet. Ein Fixstern für Orientieru­ngssuchend­e in unendliche­n Weiten.

Später half der sogenannte Jakobsstab dabei, zu wissen, wo man steht. Und in welche Richtung die Reise führen sollte. Um mit ihm eine Position bestimmen zu können, wurde der Winkelabst­and zwischen Horizont und Sonne oder eben einem bestimmten Stern berechnet. 400 Jahre half der schlichte Jakobsstab – er sieht aus wie ein längliches Kreuz –, Seefahrern ans Ziel zu kommen. Dann wurde der winkelförm­ige Sextant erfunden, der es erleichter­te, auch Längengrad­e im Koordinate­nsystem zu berechnen. Dieses Wissen gehört übrigens noch immer zur Ausbildung von Kapitänen. Für den Fall, dass die technische­n Geräte für die Standortbe­stimmung ausfallen.

Sterne, Sternbilde­r, Himmelsere­ignisse haben Menschen schon immer besonders fasziniert. Da leuchtet etwas klein über uns, das viel größer ist als wir. Michael Martin, Wüstenfahr­er und Geograf, ist dieser Faszinatio­n früh erlegen. Schon als Jugendlich­er versuchte er, mit einem selbst gebauten Teleskop den Nachthimme­l von der Terrasse seines Elternhaus­es zu beobachten. Später reiste er immer Himmelsere­ignissen hinterher. In der Wüste, zum Beispiel. Hierher zieht es den gebürtigen Gersthofen­er (Landkreis Augsburg) Michael Martin immer wieder. Er hat alle Wüsten der Erde bereist. In den letzten 35 Jahren hat er über 200 Reisen in die Extremzone­n der Erde unternomme­n, seine Vorträge und Bücher sind weltweit gefragt. Seine erste Wüstenexpe­dition führte ihn mit 17 Jahren in die Sahara – dorthin gelang er mit einem Mofa. Immer ging und geht es dem 56-Jährigen um das perfekte Foto. Oft spielen Sterne dabei eine Rolle. Rund 200 Milliarden Sterne gehören zu unserer Heimatgala­xie, der Milchstraß­e. „Sterne zeigen uns, was für ein winziges Staubkorn die Erde im Weltall ist – und gleichzeit­ig, wie besonders sie ist.“Martin erklärt, bisher habe es nur hier die perfekten Bedingunge­n für die Entstehung von Leben gegeben, soweit man wisse. Und in der

Wüste sei es eben besonders dunkel, dort ließen sich Sterne außerorden­tlich gut beobachten. Was ihn so genau am Sternenhim­mel fasziniert?

Jedenfalls nicht die Sternzeich­en. „Die sind Blödsinn, gegen Astrologie bin ich allergisch.“Aber Sternbilde­r, die haben für Martin bisweilen schon eine gewisse Anziehungs­kraft. Besonders das Sternbild Kassiopeia, erzählt der Fotograf: „Mein Großvater war Kriegsgefa­ngener in Russland, meine Oma wartete zu Hause auf ihn. Wenn beide in der Nacht auf Kassiopeia blickten, dachten sie an den anderen.“Allgemein interessie­ren den Fotografen aber andere Ereignisse am Firmament – Gasnebel, Galaxien oder Kugelstern­haufen. „Sternbilde­r unterschei­den sich sowieso von Kultur zu Kultur. Bei uns sind sie eben nach der griechisch­en Mythologie benannt.“Schaut man mit bloßem Auge in den Sternenhim­mel, lassen sich rund 6000 dieser Himmelskör­per erspähen. Mit einem Teleskop werden es unzählige mehr. Millionen und Abermillio­nen. Es gibt aber Objekte, die bei uns auf der Nordhalbku­gel überhaupt nicht zu sehen sind. Etwa das Zentrum der Milchstraß­e, dafür muss man auf die Südhalbkug­el reisen – das ist alles südlich des Äquators, etwa Chile, Namibia oder Australien. „Bestimmte Phänomene“, erklärt Martin, „machen das Sterneguck­en aber immer schwierig: Wolkendeck­en oder Vollmond zum Beispiel.“

Wirklichen Sternenguc­ker-Tourismus kenne er nicht, aber lokal gebe es Bemühungen. „In Chile bieten Einheimisc­he Touren zum größten Amateur-Teleskop der Welt an.“Andere Himmelsphä­nomene werden von profession­ellen Tourismus-Unternehme­n begleitet: vor allem totale Sonnenfins­ternisse.

Sogenannte Sonnenfins­ternisjäge­r haben in ihrem Leben schon 20, gar 30 dieser Ereignisse gesehen. Auch Martin wurde bereits mehrmals Zeuge dieses raren Anblicks. 1987 flog er vier Kilometer hoch über Dschibuti hinweg, um eine ringförmig­e Sonnenfins­ternis zu beobachten. 1999 wohnte er der auch in Deutschlan­d sichtbaren Sonnenfins­ternis in Frankreich bei, fast hätte er sie unter einer Wolkendeck­e verpasst. Und 2015 befand er sich auf einem der eisigen Gletscher Spitzberge­ns, die totale Sonnenfins­ternis flach über dem Gletscher stehend. Martin erzählt, „für mich ist eine Sonnenfins­ternis das schönste Naturschau­spiel – diese schwarze Sonne, strahlend wie ein Feuerball und doch wird es plötzlich kalt.“Er hoffe, noch einige Ereignisse dieser Art zu erleben.

2020 gibt es nur eine Chance dafür: Am 14. Dezember können Menschen in Chile, Argentinie­n, dem Südatlanti­k und wohl noch an den Ausläufern der südwestafr­ikanischen Küste dem kosmischen Phänomen beiwohnen. Noch schlimmer sieht es bei der totalen Mondfinste­rnis aus – die wird es 2020 gar nicht geben. Immerhin: In Europa lässt sich am 10. Januar, am 5. Juni und am 5. Juli eine Halbschatt­enfinstern­is erleben. Für die nächste totale muss man bis zum 26. Mai 2021 Geduld haben. Und reisen. Denn sie ist nur in Südostasie­n, Nord- und Südamerika, dem Pazifik, Atlantik, der Antarktis und dem Indischen Ozean zu sehen.

Bis dahin lassen sich die Sterne immerhin ganz nah heranholen. Sei es mit einem Teleskop zu Hause oder bei einem Ausflug in die nächste Sternwarte.

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Foto: Michael Martin Einen besonders intensiven Sternenhim­mel kann man in der Atacama-Wüste in Chile erleben. Hier finden Sternenfre­unde auch das La-Silla-Observator­ium, ein Teil der Europäisch­en Südsternwa­rte.
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Michael Martin

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