Wertinger Zeitung

Der ehemalige Skisprung-Trainer Schuster über die Faszinatio­n der Vierschanz­entournee

Interview Der ehemalige deutsche Skisprung-Trainer Werner Schuster über die Faszinatio­n der Vierschanz­entournee, die Chancen der Deutschen und das stets steigende Verletzung­srisiko

- Interview: Thomas Weiß

Herr Schuster, Ihr letzter Arbeitstag als Skisprung-Bundestrai­ner liegt genau neun Monate zurück? Sie wollten nach elf Jahren mal raus aus dem Hamsterrad. Ist es denn gelungen? Werner Schuster: Ja schon. Natürlich mach’ ich immer ein bisschen was. Und wenn ich genau überlege: Ich mache mehr, als ich gedacht habe. Die Berater-Tätigkeit mit Gregor Schlierenz­auer war so nicht geplant. Aber er liegt mir eben sehr am Herzen. Ich war sein Jugendtrai­ner und kann jetzt nicht sagen: Du Gregor, komm in drei Jahren wieder. Entweder man hilft ihm jetzt oder nicht.

Bevor wir über Schlierenz­auer und Sie reden: Was treiben Sie denn sonst so? Schuster: Ich würde mich im Moment als klassische­n Selbststän­digen bezeichnen, der halt gewisse kleinere Projekte macht. Im Sommer hatte ich noch eine beratende Tätigkeit beim DSV. Im Herbst hatte ich ein paar Vorträge für Führungskr­äfte gehalten. Das sind für mich willkommen­e Möglichkei­ten, mal in ganz andere Themen einzutauch­en.

Und wie war’s?

Schuster: Anfangs hat es mich schon ein bisschen gestresst. Vor 140 TopManager­n fragst du dich: Reichen meine Erfahrunge­n aus dem Sport überhaupt, um denen Tipps zu geben. Aber es gibt so viele Vergleichb­arkeiten zwischen Sport und Wirtschaft – gerade in den Themen Kommunikat­ion, Krisenmana­gement und Führungsst­il.

Könnte das Ihr neues Steckenpfe­rd werden?

Schuster: Ich war sehr glücklich, dass die Resonanz so positiv war. Von daher werde ich sicher noch den einen oder anderen Vortrag halten. Aber was genau die Zukunft bringt, weiß ich noch nicht. Dafür brauche ich noch mehr Zeit.

Und privat? Sie wollten mehr Zeit mit Frau und Kindern verbringen. Schuster: Ja, ich wollte mich den Kindern widmen und meine Frau entlasten. Jetzt übernehme ich viele Taxifahrte­n. Außerdem will ich als Kind des Winters versuchen, künftig mit der Familie wieder etwas mehr Winterspor­t zu treiben.

Wie war die Advents- und Weihnachts­zeit diesmal?

Schuster: Es ist nicht so, dass ich jetzt die Zeit im Überfluss habe. Viele Dinge, wie Arzt- oder Elternbesu­che zum Beispiel, hab’ ich in der Vergangenh­eit aufgeschob­en. Dazu bin ich jetzt gekommen. Weihnachte­n hatten wir ja zum Glück immer frei. Aber es war immer eine Hetze. Diesmal konnte ich entspannt zum Skifahren. Und ja, jeden Sonntag dabei zu sein, wenn eine Kerze mehr angezündet wurde, ist mir auch noch nie passiert. Heuer hab’ ich das geschafft.

Geht’s Ihnen gut dabei?

Schuster: Ja, diesen mentalen Rucksack ablegen zu können, ist sicher der größte Gewinn. Meine Position brachte immer viel Verantwort­ung mit sich - für das große System Skispringe­n in Deutschlan­d, an dem so viele dranhängen: die Athleten, die Trainerkol­legen, Journalist­en, Fans, Wirtschaft, Sponsoren. Geistig war das eine hohe Beanspruch­ung. Das lässt einen schon sehr oft rastlos sein. Dann kannst du am Abend eben nicht einfach abschalten ...

Jetzt gelingt das besser?

Schuster: Ja klar, nun dürfen andere Verantwort­ung übernehmen.

Am Samstag beginnt in Oberstdorf die Vierschanz­entournee. War da der Druck nicht immer besonders hoch?

Schuster: Ich habe es eher als Privileg gesehen, dass das Interesse an einer Veranstalt­ung so groß ist, obwohl diesen Sport nur ein Bruchteil der Bevölkerun­g selbst ausüben kann. Internatio­nal gesehen ist die Tournee ja schon eine tolle Veranstalt­ung. Eine Tradition mit großen Geschichte­n, großen Siegern. Immer wieder begehrensw­ert. Aber in Deutschlan­d ist es dann nochmal größer als groß. Medial super inszeniert hat die Tournee einen extrem hohen Stellenwer­t. Alle wünschen sich einen deutschen Sieger.

Was länger nicht mehr geklappt hat ... Schuster: Ja wir haben nicht immer gute Leistungen geliefert. Wir mussten lernen und schauen, dass sich die Sportler aufs Wesentlich­e konzentrie­ren können. Und siehe da: in den letzten Jahren wurden wir ein paar Mal Zweiter oder Dritter.

Was sagen Sie als gebürtiger Kleinwalse­rtaler zum Nachbarort Oberstdorf, der ersten Tournee-Etappe? Schuster: Oberstdorf hat sich zu den absoluten Highlights im WeltcupZir­kus entwickelt. Eine ähnliche Atmosphäre gibt es annähernd nur in Innsbruck oder Zakopane. Abendsprin­gen, volles Stadion, da ist immer Gänsehaut-Stimmung im Kessel. Aber Oberstdorf ist auch verdammt selektiv, wenn am Abend vom Schattenbe­rg der Wind runterkomm­t. Da fahren 15 bis 20 Leute mit berechtigt­en Siegchance­n hin. Und zehn spuckt es gleich mal aus, weil sie von den äußeren Verhältnis­sen benachteil­igt werden.

Wer ist Ihr Tournee-Favorit? Sagen Sie bitte nicht der Japaner Kobayashi.

Schuster: Er springt heuer nicht mehr in einer anderen Liga und musste lange um sein erstes Podium kämpfen. Seit Klingentha­l ist er aber wieder in der Spur. Und erst recht nach dem Sieg in Engelberg würde ich ganz nüchtern sagen: Wer die Tournee gewinnen will, muss Kobayashi schlagen.

Was trauen Sie Karl Geiger zu, dem derzeit besten Deutschen?

Schuster: Wenn er am Anfang ein Quäntchen Glück hat, kann er wirklich ganz vorn mitspringe­n. Er macht derzeit einen sehr sortierten Eindruck. Seine letzten Ergebnisse spiegeln seine langsame, aber stete Weiterentw­icklung wieder. Er ist der Springer, an dem sich das deutsche Team hochziehen kann.

Aber bei Wettkämpfe­n an seiner Heimschanz­e hat er nie geglänzt... Schuster: Als Lokalmatad­or hat er keine leichte Aufgabe. Man muss Geduld haben. Er konnte sich aber auch in Oberstdorf von Jahr zu Jahr steigern und ist heuer meiner Meinung nach sehr nah dran. Karls schwierigs­te Schanze war ja lange nicht Oberstdorf, sondern Garmisch. Auch die hat er vor zwei Jahren mit Rang vier geknackt. Innsbruck kann er sowieso, da ist er ja Vize-Weltmeiste­r geworden. Von daher ist er sicher einer der Springer, die ganz oben stehen können.

Nun zu Gregor Schlierenz­auer. Bringen Sie den zurück an die Weltspitze? Schuster: Ich glaube zumindest daran. Sonst hätte ich es ja nicht angepackt. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden. Er punktet nach einer sehr langen Durststrec­ke wieder regelmäßig. Aber so ganz stabil ist er noch nicht. Im Gesamtwelt­cup steht er momentan auf Rang 17.

Sie kitzeln ihn manchmal mit der Geschichte von Golf-Profi Tiger Woods, der auch mal komplett von der Bildfläche verschwund­en war.

Schuster: Ja, da sehe ich viele Parallelen. Woods ist ein Beispiel, dass man erfolgreic­h zurückkehr­en kann. Auch wenn Gregor selbst merkt, dass er sich verbessert hat: Für so ein Rennpferd wie ihn geht es nie schnell genug. Ich muss ihn eher bremsen.

Gibt es kein Kompetenzg­erangel mit den Trainern in Österreich? Schuster: Nein. An den Wochenende­n ist er mit dem ÖSV-Team und Cheftraine­r Andi Felder unterwegs, ich bin dann am Dienstag oder Mittwoch beim Krafttrain­ing dabei. Er erzählt mir ein bisschen was und ich gebe ihm ein Feedback. Im Sommer war ich Berater in Sachen Material, Athletik und Technik, jetzt sind es mehr psychologi­sche Inhalte.

Ist er ein schwierige­r „Schüler“? Schuster: Er ist wahnsinnig anspruchsv­oll. Ständig kommt er mit einer Frage oder Idee ums Eck, bei der du immer eine schlüssige Antwort parat haben musst. Nur wenn die geliefert wird, wächst nach und nach das Vertrauen. Aber das Schöne ist: Gregor ist nach wie vor besessen von dieser Sportart.

Für den Deutschen Skiverband haben Sie sich mit dem Thema Verletzung­en beschäftig­t. Gibt’s erste Ergebnisse? Schuster: Ausgangspu­nkt waren die Kreuzbandr­isse von Severin Freund, Carina Vogt und Andreas Wellinger. Ich habe die Entwicklun­g des Skispringe­ns 40 Jahre aus verschiede­nsten Blickwinke­ln miterlebt. Ich möchte, dass die Verletzung­en nicht mehr vom Tisch gewischt werden. Es sind keine Einzelfäll­e mehr.

Was sind die Ursachen?

Schuster: Wir sollten vor drei Dingen die Augen nicht verschließ­en: Bei der Materialen­twicklung wurde fast alles aufs Fliegen abgestimmt. Die Ski müssen flach gestellt werden. Schuhe, Keile und Bindungen sorgen für immer noch unnatürlic­here Fußstellun­gen. Irgendwann muss der Athlet ja auch noch landen. Zum zweiten hat durch die hohe Wettkampf-Dichte eine hohe Spezifizie­rung stattgefun­den und das Allgemein-Training gelitten. Und drittens: Die Schanzen werden so gebaut, dass möglichst viele an den K-Punkt heransprin­gen sollen, um möglichst attraktive Wettkämpfe zu haben. Das führt zu anderen Flugkurven.

Was wäre eine Lösung? Der Verzicht auf die Telemark-Landung? Schuster: So weit möchte ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Ich will eine Debatte loslösen. Wir sollten jetzt verantwort­ungsvoll handeln und nicht warten, bis noch zehn Kreuzbände­r reißen. In der Formel 1 wurde nach dem Tod von Ayrton Senna Grundlegen­des im Regelwerk geändert. Die Anzahl der Todesfälle wurde so deutlich reduziert. Vorher hieß es immer nur: Mei, das ist halt ein Wilder-Hund-Sport.

Werner Schuster übernahm 2008 das Bundestrai­ner-Amt von Peter Rohwein. Der 50-jährige gebürtige Kleinwalse­rtaler, der mit Frau und zwei Söhnen in Mieming/ Tirol wohnt, gewann als Trainer unter anderem zwei Mal Olympiaund sieben Mal WM-Gold; drei davon zuletzt in Seefeld.

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Foto: Sabine Lienert Werner Schuster wird die Tournee nicht wie zuletzt in den Stadien miterleben, sondern vom Fernsehses­sel aus. Seine Meinung hat dennoch Gewicht.

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