SPD will das Tempolimit doch noch durchsetzen
Verkehr Parteichefin nimmt neuen Anlauf und wirft der CSU ein „unbegreifliches Bohei“vor
Augsburg Wer geglaubt hatte, die Debatte um das Tempolimit sei erledigt, hat die Rechnung ohne die neue SPD-Spitze gemacht. Zehn Wochen nachdem der Bundestag eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen mit großer Mehrheit (und den Stimmen der SPD) ausgebremst hat, holt Saskia Esken das Thema zurück auf die Tagesordnung. Das Tempolimit sei „gut für den Klimaschutz, dient der Sicherheit und schont die Nerven der Autofahrer“, sagt die Parteichefin – und bringt den Koalitionspartner damit in Fahrt.
Mit besonderem Herzblut kämpft Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer gegen eine feste Höchstgeschwindigkeit. Der CSU-Politiker ist der Meinung, so etwas verstoße
„gegen jeden Menschenverstand“. Dementsprechend genervt kommentiert er den neuen Anlauf. „Wir haben weit herausragendere Aufgaben, als dieses hoch emotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenster zu stellen – für das es gar keine Mehrheiten gibt“, sagt Scheuer. Esken kontert, außerhalb Deutschlands sei ein Tempolimit der Normalfall. „Nur die CSU macht noch so einen unbegreiflichen Bohei draus.“
Unterstützung bekommt die SPD-Vorsitzende von den Grünen, die im Oktober mit ihrem Antrag für ein Tempolimit im Bundestag gescheitert waren. Übrigens auch deshalb, weil die sozialdemokratischen Abgeordneten im Sinne des Koalitionsfriedens dagegen gestimmt hatten. „Die Blockhaltung der Union ist echt nicht mehr nachvollziehbar. Ich höre von der Union nur ideologische und keine sachlichen Argumente“, sagte die bayerische Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze unserer Redaktion. „Deutschland ist das einzige westliche Industrieland, in dem man auf dem Großteil der Autobahnen unbeschränkt rasen kann. Es braucht dringend ein Sicherheitstempo von 130 Stundenkilometern“, fordert sie. Zum einen sei das eine der schnellsten und kostengünstigen Maßnahmen für den Klimaschutz und zum anderen mache es die Straßen sicherer. „Dagegen kann man doch nichts haben“, findet Schulze.
Bayerns Verkehrsminister Hans Reichhart hat sehr wohl etwas dagegen. „Ich halte nichts von pauschalen Tempolimits. Was wir brauchen, ist eine intelligente Verkehrssteuerung“, springt der CSU-Politiker seinem Parteifreund Scheuer auf Nachfrage zur Seite. Reichhart setzt auf Digitalanzeigen, die bei Bedarf die Geschwindigkeit regulieren oder auch Überholverbote aussprechen. Das Problem an der Sache sind der hohe Aufwand und die Kosten, denn die müsste der Bund übernehmen. Gerade in unserer Region wird das Thema seit Jahren heftig diskutiert. Mit dem dreispurigen Ausbau ist die Zahl der Unfälle zum Beispiel auf der A8 zwischen Ulm und München deutlich gestiegen.
Bislang gilt auf mehr als zwei Dritteln der deutschen Autobahnstrecken freie Fahrt. Die meisten anderen europäischen Länder haben ein Tempolimit. Erst im November hatten die Niederlande eine Begrenzung von 100 Stundenkilometern beschlossen – vor allem aus Gründen des Klimaschutzes. Gerade dieses Argument wollen viele Gegner aber nicht gelten lassen. Wie etwa Christian Lindner. „Der Beitrag eines generellen Tempolimits zur globalen CO2-Einsparung wäre marginal“, sagt der FDP-Chef.
Im Kommentar ordnet Christian Grimm den Streit ein. In der Politik schreibt Stefan Lange über die komplizierte Beziehung von Union und SPD in der GroKo.
„Ich höre von der Union nur ideologische und keine sachlichen Argumente.“
Katharina Schulze (Grüne)
Berlin Die wohl häufigste Schlagzeile in der Politik in diesem Jahr? Die Antwort darauf ist nicht so schwer, sie lautet: „GroKo vor dem Aus“. Seit die Ministerinnen und Minister im Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel im März 2018 ihre Ernennungsurkunden erhielten, stehen die Zeichen bei Union und SPD auf Sturm, und es ist seitdem kaum eine Woche vergangen, in der nicht das Ende der Regierung prognostiziert wurde. In diesem Jahr waren GroKo-Unkenrufe besonders häufig zu vernehmen. In 2020 wird das kaum besser werden. Dennoch spricht mehr dafür, dass sich CDU, CSU und SPD weiterschleppen. Das liegt vor allem daran, dass den Rebellen bei den Sozialdemokraten die Zeit davonläuft.
In diesen Tagen wirkt der Weihnachtsfrieden in der Großen Koalition noch nach. Auch aus rein menschlichen Gründen, denn im politischen Berlin gab es vor den Feiertagen tatsächlich parteiübergreifend den dringenden Wunsch nach Ruhe. Ein anstrengendes Jahr liegt hinter den Akteuren auf der politischen Bühne, niemand wollte über den Jahreswechsel die Scherben einer geplatzten Polit-Ehe zwischen Schwarz und Rot aufkehren.
„Geschichte wiederholt sich nicht, und wenn, dann als Farce“, ist eines der Lieblingszitate von Kanzlerin Merkel, und es steht mit Blick auf die GroKo zur Überprüfung an. Denn bei der hat sich das Drama um die Besetzung der Parteispitze wiederholt. Im Abstand von ein paar Monaten, unter anderen Vorzeichen, aber vom Grundsatz her gleich, haben sich sowohl CDU als auch SPD jeweils durch die Wahl neuer Chefs gequält. Und das mit heftigen Spätfolgen für die Parteien.
Bei den Christdemokraten setzte sich Annegret-Kramp Karrenbauer vor einem Jahr nur knapp gegen ihren Rivalen Friedrich Merz durch. Merkel hatte zuvor unter dem Druck schwacher Wahlergebnisse auf den Vorsitz verzichtet. Sie wurde zu einem Schritt gezwungen, den sie stets abgelehnt hatte. Doch ihre Wunsch-Nachfolgerin hat Mühe, sich im Sattel zu halten. „Der Machtkampf an der Parteispitze ist nur vertagt, nicht beigelegt“, sagt ein CDU-Präsidialer. Auf dem letzten CDU-Parteitag hielt die Vorsitzende eine nur mäßige Rede, viele Beobachter kamen zu dem Schluss, dass Kramp-Karrenbauer nicht Kanzlerkandidatin der CDU werden wird. Friedrich Merz hat seine Ambitionen noch nicht begraben, genauso wenig wie der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Armin Laschet.
Die Entscheidung über die neue Spitzenkandidatin wird auf dem CDU-Parteitag 2020 fallen. Die Christdemokraten müssen dann ein neues Grundsatzprogramm beschließen. Es geht um die DNA der Partei, das Profil und wie die Abgrenzung zu anderen Parteien, vor allem zur AfD und zu den Grünen, am besten gelingt. Es geht um Gerechtigkeitsfragen, um die Altersvorsorge, um die Pflege. Kurz: um
die jede Menge Konfliktstoff in sich tragen. Für KrampKarrenbauer wird es deshalb ein hartes Jahr. Sie muss neben ihrem Job als Verteidigungsministerin bei einer maroden Truppe auch diesen Entscheidungsprozess moderieren, unter anderem im Rahmen einer „Antwort-Tour“durch die Vereinigungen vor Ort.
Vom Ausgang dieses Prozesses wird entscheidend abhängen, ob Kramp-Karrenbauer erneut Vorsitzende der CDU wird. Denn der CDU-Parteitag 2020 ist auch ein Wahlparteitag, auf dem die gesamte Spitze neu bestimmt werden muss. Bekommt AKK nicht genug Stimmen oder ein nur schlechtes Ergebnis, hat sich das mit der Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl im Herbst 2021 erledigt. Eben weil die Saarländerin alles andere als unangefochten ist, wird sie der SPD nicht bei allen strittigen Themen entgegenkommen können.
Bei den Sozialdemokraten ist die neue Doppelspitze erst kurz im Amt. Doch schon nach der Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wagten sich die Kritiker aus der Deckung – genauso wie ein Jahr zuvor nach der Wahl von Kramp-Karrenbauer.
Esken und Walter-Borjans müssen hart arbeiten, um sich an der Spitze zu halten. Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der zusammen mit Klara Geywitz in einer Stichwahl den Kürzeren zog, ist damit nicht weg vom Fenster. Scholz ist für Esken und Walter-Borjans das, was Merz für Kramp-Karrenbauer ist: der dunkle Schatten, der das Licht am Ende des Tunnels verdunkelt, der zum Sturz bereite Habicht, der sich blitzschnell seine Beute holt. Spitzenpolitiker der SPD kritisieren hinter vorgehaltener Hand, bei der Vorsitzenden-Wahl sei es in Wahrheit gar nicht um die Person Scholz gegangen. Sondern darum, „denen da oben“eins auszuwischen. Fakt ist, dass Scholz in der Rubrik „Politikerzufriedenheit“des ARDDeutschlandtrends nach seiner Niederlage um sieben Punkte zulegte und damit zur ewigen Beliebtheitskönigin Merkel aufschloss, während Walter-Borjans und Esken in dieser Liste gar nicht erst auftauchen.
Andererseits hat Scholz – wie übrigens auch Merz – alle Zeit der Welt, die neue SPD-Spitze erst mal machen zu lassen. Der Vizekanzler und Finanzminister kann sich zurücklehnen und abwarten, wann den Neuen der erste Fehler unterläuft. Er hat dabei den Vorteil, dass er Politik aktiv gestalten kann. Ein Vorteil, der besonders in der zweiten Jahreshälfte zum Tragen kommt, denn dann übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft, die der Kanzlerin und ihren Ministern erheblichen Gestaltungsspielraum bietet. Im Prinzip gilt das auch für AKK. Allerdings sitzt sie auf dem Chefsessel eines Ministeriums, das als Schleudersitz gilt. Die Pannenliste bei großen Rüstungsprojekten ist endlos. Die Unlust der Wähler auf Auslandeinsätze deutscher Soldaten groß.
Lachender Dritter im Bunde ist die CSU. Die Christsozialen sind wild entschlossen, sich vom UnterThemen, suchungsausschuss zur Pkw-Maut nicht beeindrucken zu lassen. Verkehrsminister Andreas Scheuer genießt Rückhalt und über allem thront Markus Söder – der als CSUVorsitzender die Partei und als Ministerpräsident das Land im Griff hat. Jüngst knackten die Christsozialen in einer Umfrage sogar wieder die 40-Prozent-Marke. Söder hat erklärt, dass sein Platz in Bayern und nicht im Kanzleramt ist. Bei der Auswahl des K-Kandidaten der Union wird er aber ein entscheidendes Wort mitreden.
Unterm Strich wird es im neuen Jahr zwar weiterhin heftige GroKoDebatten geben. Die Zeichen stehen dennoch eher auf Weitermachen. Die erste Probe darauf wird die Ausgestaltung der Grundrente. Es gibt wegen der Modalitäten noch Differenzen zwischen Union und SPD, aber hier hat mit Arbeitsminister Hubertus Heil ein SPD-Politiker das Heft in der Hand, der für die Fortsetzung der Koalition steht: Heil will im Januar den Gesetzentwurf zur Grundrente vorlegen, er kennt die Bedenken der Union und kann darauf entsprechend reagieren. Danach werden Esken und Walter-Borjans ihre Forderungen vorlegen: Ende der schwarzen Null und Anhebung des Mindestlohnes Richtung zwölf Euro. CDU und CSU können die Gespräche darüber strecken. Die Zeit ist ihr Verbündeter. Den GroKo-Gegnern bei der SPD rennt sie davon. Je länger sie brauchen, um das Bündnis intern madig zu machen, desto näher rückt der reguläre Wahltermin im Herbst 2021 heran. Dann wiederum ist der Preis hoch, bei den Wählern als Regierungsbrecher zu gelten.
Der Machtkampf in der CDU schwelt weiter
Scholz kann abwarten, wie sich das Spitzenduo schlägt