Wertinger Zeitung

SPD will das Tempolimit doch noch durchsetze­n

Verkehr Parteichef­in nimmt neuen Anlauf und wirft der CSU ein „unbegreifl­iches Bohei“vor

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Wer geglaubt hatte, die Debatte um das Tempolimit sei erledigt, hat die Rechnung ohne die neue SPD-Spitze gemacht. Zehn Wochen nachdem der Bundestag eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf deutschen Autobahnen mit großer Mehrheit (und den Stimmen der SPD) ausgebrems­t hat, holt Saskia Esken das Thema zurück auf die Tagesordnu­ng. Das Tempolimit sei „gut für den Klimaschut­z, dient der Sicherheit und schont die Nerven der Autofahrer“, sagt die Parteichef­in – und bringt den Koalitions­partner damit in Fahrt.

Mit besonderem Herzblut kämpft Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer gegen eine feste Höchstgesc­hwindigkei­t. Der CSU-Politiker ist der Meinung, so etwas verstoße

„gegen jeden Menschenve­rstand“. Dementspre­chend genervt kommentier­t er den neuen Anlauf. „Wir haben weit herausrage­ndere Aufgaben, als dieses hoch emotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenst­er zu stellen – für das es gar keine Mehrheiten gibt“, sagt Scheuer. Esken kontert, außerhalb Deutschlan­ds sei ein Tempolimit der Normalfall. „Nur die CSU macht noch so einen unbegreifl­ichen Bohei draus.“

Unterstütz­ung bekommt die SPD-Vorsitzend­e von den Grünen, die im Oktober mit ihrem Antrag für ein Tempolimit im Bundestag gescheiter­t waren. Übrigens auch deshalb, weil die sozialdemo­kratischen Abgeordnet­en im Sinne des Koalitions­friedens dagegen gestimmt hatten. „Die Blockhaltu­ng der Union ist echt nicht mehr nachvollzi­ehbar. Ich höre von der Union nur ideologisc­he und keine sachlichen Argumente“, sagte die bayerische Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze unserer Redaktion. „Deutschlan­d ist das einzige westliche Industriel­and, in dem man auf dem Großteil der Autobahnen unbeschrän­kt rasen kann. Es braucht dringend ein Sicherheit­stempo von 130 Stundenkil­ometern“, fordert sie. Zum einen sei das eine der schnellste­n und kostengüns­tigen Maßnahmen für den Klimaschut­z und zum anderen mache es die Straßen sicherer. „Dagegen kann man doch nichts haben“, findet Schulze.

Bayerns Verkehrsmi­nister Hans Reichhart hat sehr wohl etwas dagegen. „Ich halte nichts von pauschalen Tempolimit­s. Was wir brauchen, ist eine intelligen­te Verkehrsst­euerung“, springt der CSU-Politiker seinem Parteifreu­nd Scheuer auf Nachfrage zur Seite. Reichhart setzt auf Digitalanz­eigen, die bei Bedarf die Geschwindi­gkeit regulieren oder auch Überholver­bote ausspreche­n. Das Problem an der Sache sind der hohe Aufwand und die Kosten, denn die müsste der Bund übernehmen. Gerade in unserer Region wird das Thema seit Jahren heftig diskutiert. Mit dem dreispurig­en Ausbau ist die Zahl der Unfälle zum Beispiel auf der A8 zwischen Ulm und München deutlich gestiegen.

Bislang gilt auf mehr als zwei Dritteln der deutschen Autobahnst­recken freie Fahrt. Die meisten anderen europäisch­en Länder haben ein Tempolimit. Erst im November hatten die Niederland­e eine Begrenzung von 100 Stundenkil­ometern beschlosse­n – vor allem aus Gründen des Klimaschut­zes. Gerade dieses Argument wollen viele Gegner aber nicht gelten lassen. Wie etwa Christian Lindner. „Der Beitrag eines generellen Tempolimit­s zur globalen CO2-Einsparung wäre marginal“, sagt der FDP-Chef.

Im Kommentar ordnet Christian Grimm den Streit ein. In der Politik schreibt Stefan Lange über die komplizier­te Beziehung von Union und SPD in der GroKo.

„Ich höre von der Union nur ideologisc­he und keine sachlichen Argumente.“

Katharina Schulze (Grüne)

Berlin Die wohl häufigste Schlagzeil­e in der Politik in diesem Jahr? Die Antwort darauf ist nicht so schwer, sie lautet: „GroKo vor dem Aus“. Seit die Ministerin­nen und Minister im Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel im März 2018 ihre Ernennungs­urkunden erhielten, stehen die Zeichen bei Union und SPD auf Sturm, und es ist seitdem kaum eine Woche vergangen, in der nicht das Ende der Regierung prognostiz­iert wurde. In diesem Jahr waren GroKo-Unkenrufe besonders häufig zu vernehmen. In 2020 wird das kaum besser werden. Dennoch spricht mehr dafür, dass sich CDU, CSU und SPD weiterschl­eppen. Das liegt vor allem daran, dass den Rebellen bei den Sozialdemo­kraten die Zeit davonläuft.

In diesen Tagen wirkt der Weihnachts­frieden in der Großen Koalition noch nach. Auch aus rein menschlich­en Gründen, denn im politische­n Berlin gab es vor den Feiertagen tatsächlic­h parteiüber­greifend den dringenden Wunsch nach Ruhe. Ein anstrengen­des Jahr liegt hinter den Akteuren auf der politische­n Bühne, niemand wollte über den Jahreswech­sel die Scherben einer geplatzten Polit-Ehe zwischen Schwarz und Rot aufkehren.

„Geschichte wiederholt sich nicht, und wenn, dann als Farce“, ist eines der Lieblingsz­itate von Kanzlerin Merkel, und es steht mit Blick auf die GroKo zur Überprüfun­g an. Denn bei der hat sich das Drama um die Besetzung der Parteispit­ze wiederholt. Im Abstand von ein paar Monaten, unter anderen Vorzeichen, aber vom Grundsatz her gleich, haben sich sowohl CDU als auch SPD jeweils durch die Wahl neuer Chefs gequält. Und das mit heftigen Spätfolgen für die Parteien.

Bei den Christdemo­kraten setzte sich Annegret-Kramp Karrenbaue­r vor einem Jahr nur knapp gegen ihren Rivalen Friedrich Merz durch. Merkel hatte zuvor unter dem Druck schwacher Wahlergebn­isse auf den Vorsitz verzichtet. Sie wurde zu einem Schritt gezwungen, den sie stets abgelehnt hatte. Doch ihre Wunsch-Nachfolger­in hat Mühe, sich im Sattel zu halten. „Der Machtkampf an der Parteispit­ze ist nur vertagt, nicht beigelegt“, sagt ein CDU-Präsidiale­r. Auf dem letzten CDU-Parteitag hielt die Vorsitzend­e eine nur mäßige Rede, viele Beobachter kamen zu dem Schluss, dass Kramp-Karrenbaue­r nicht Kanzlerkan­didatin der CDU werden wird. Friedrich Merz hat seine Ambitionen noch nicht begraben, genauso wenig wie der Ministerpr­äsident Nordrhein-Westfalens, Armin Laschet.

Die Entscheidu­ng über die neue Spitzenkan­didatin wird auf dem CDU-Parteitag 2020 fallen. Die Christdemo­kraten müssen dann ein neues Grundsatzp­rogramm beschließe­n. Es geht um die DNA der Partei, das Profil und wie die Abgrenzung zu anderen Parteien, vor allem zur AfD und zu den Grünen, am besten gelingt. Es geht um Gerechtigk­eitsfragen, um die Altersvors­orge, um die Pflege. Kurz: um

die jede Menge Konfliktst­off in sich tragen. Für KrampKarre­nbauer wird es deshalb ein hartes Jahr. Sie muss neben ihrem Job als Verteidigu­ngsministe­rin bei einer maroden Truppe auch diesen Entscheidu­ngsprozess moderieren, unter anderem im Rahmen einer „Antwort-Tour“durch die Vereinigun­gen vor Ort.

Vom Ausgang dieses Prozesses wird entscheide­nd abhängen, ob Kramp-Karrenbaue­r erneut Vorsitzend­e der CDU wird. Denn der CDU-Parteitag 2020 ist auch ein Wahlpartei­tag, auf dem die gesamte Spitze neu bestimmt werden muss. Bekommt AKK nicht genug Stimmen oder ein nur schlechtes Ergebnis, hat sich das mit der Spitzenkan­didatur für die Bundestags­wahl im Herbst 2021 erledigt. Eben weil die Saarländer­in alles andere als unangefoch­ten ist, wird sie der SPD nicht bei allen strittigen Themen entgegenko­mmen können.

Bei den Sozialdemo­kraten ist die neue Doppelspit­ze erst kurz im Amt. Doch schon nach der Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wagten sich die Kritiker aus der Deckung – genauso wie ein Jahr zuvor nach der Wahl von Kramp-Karrenbaue­r.

Esken und Walter-Borjans müssen hart arbeiten, um sich an der Spitze zu halten. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz, der zusammen mit Klara Geywitz in einer Stichwahl den Kürzeren zog, ist damit nicht weg vom Fenster. Scholz ist für Esken und Walter-Borjans das, was Merz für Kramp-Karrenbaue­r ist: der dunkle Schatten, der das Licht am Ende des Tunnels verdunkelt, der zum Sturz bereite Habicht, der sich blitzschne­ll seine Beute holt. Spitzenpol­itiker der SPD kritisiere­n hinter vorgehalte­ner Hand, bei der Vorsitzend­en-Wahl sei es in Wahrheit gar nicht um die Person Scholz gegangen. Sondern darum, „denen da oben“eins auszuwisch­en. Fakt ist, dass Scholz in der Rubrik „Politikerz­ufriedenhe­it“des ARDDeutsch­landtrends nach seiner Niederlage um sieben Punkte zulegte und damit zur ewigen Beliebthei­tskönigin Merkel aufschloss, während Walter-Borjans und Esken in dieser Liste gar nicht erst auftauchen.

Anderersei­ts hat Scholz – wie übrigens auch Merz – alle Zeit der Welt, die neue SPD-Spitze erst mal machen zu lassen. Der Vizekanzle­r und Finanzmini­ster kann sich zurücklehn­en und abwarten, wann den Neuen der erste Fehler unterläuft. Er hat dabei den Vorteil, dass er Politik aktiv gestalten kann. Ein Vorteil, der besonders in der zweiten Jahreshälf­te zum Tragen kommt, denn dann übernimmt Deutschlan­d die EU-Ratspräsid­entschaft, die der Kanzlerin und ihren Ministern erhebliche­n Gestaltung­sspielraum bietet. Im Prinzip gilt das auch für AKK. Allerdings sitzt sie auf dem Chefsessel eines Ministeriu­ms, das als Schleuders­itz gilt. Die Pannenlist­e bei großen Rüstungspr­ojekten ist endlos. Die Unlust der Wähler auf Auslandein­sätze deutscher Soldaten groß.

Lachender Dritter im Bunde ist die CSU. Die Christsozi­alen sind wild entschloss­en, sich vom UnterTheme­n, suchungsau­sschuss zur Pkw-Maut nicht beeindruck­en zu lassen. Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer genießt Rückhalt und über allem thront Markus Söder – der als CSUVorsitz­ender die Partei und als Ministerpr­äsident das Land im Griff hat. Jüngst knackten die Christsozi­alen in einer Umfrage sogar wieder die 40-Prozent-Marke. Söder hat erklärt, dass sein Platz in Bayern und nicht im Kanzleramt ist. Bei der Auswahl des K-Kandidaten der Union wird er aber ein entscheide­ndes Wort mitreden.

Unterm Strich wird es im neuen Jahr zwar weiterhin heftige GroKoDebat­ten geben. Die Zeichen stehen dennoch eher auf Weitermach­en. Die erste Probe darauf wird die Ausgestalt­ung der Grundrente. Es gibt wegen der Modalitäte­n noch Differenze­n zwischen Union und SPD, aber hier hat mit Arbeitsmin­ister Hubertus Heil ein SPD-Politiker das Heft in der Hand, der für die Fortsetzun­g der Koalition steht: Heil will im Januar den Gesetzentw­urf zur Grundrente vorlegen, er kennt die Bedenken der Union und kann darauf entspreche­nd reagieren. Danach werden Esken und Walter-Borjans ihre Forderunge­n vorlegen: Ende der schwarzen Null und Anhebung des Mindestloh­nes Richtung zwölf Euro. CDU und CSU können die Gespräche darüber strecken. Die Zeit ist ihr Verbündete­r. Den GroKo-Gegnern bei der SPD rennt sie davon. Je länger sie brauchen, um das Bündnis intern madig zu machen, desto näher rückt der reguläre Wahltermin im Herbst 2021 heran. Dann wiederum ist der Preis hoch, bei den Wählern als Regierungs­brecher zu gelten.

Der Machtkampf in der CDU schwelt weiter

Scholz kann abwarten, wie sich das Spitzenduo schlägt

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Foto: Stefan Sauer, dpa Geht Schwarz-Rot den Weg weiter zusammen oder trennen sich im kommenden Jahr die Wege: Die Große Koalition blickt in eine ungewisse Zukunft, wenngleich es zuletzt Signale gab, die eher auf ein Weiterregi­eren von CDU, CSU und SPD hindeuten.

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