Kommt eines Tages die Rente mit 70?
Altersvorsorge Der Renten-Ökonom Axel Börsch-Supan verrät, warum er nicht an einen Erfolg der Grundrente glaubt – und ob wir künftig alle bis 70 arbeiten müssen
Augsburg Spätestens seit Norbert Blüms berühmtem Versprechen gehört die Frage zu den politischen Klassikern: Ist die Rente noch sicher? Und müssen die Deutschen eines Tages bis zum 70. Lebensjahr arbeiten? Der Ökonom Axel Börsch-Supan gibt zumindest vorerst Entwarnung. „Wenn wir länger leben, müssen wir auch länger arbeiten. Aktuell sehe ich aber keinen Reformbedarf“, sagte der Experte in unserem Interview. Bis zum Jahr 2030 steigt das Renteneintrittsalter stufenweise auf 67 Jahre. Und danach? „Wenn die Lebenserwartung stagniert oder sogar sinkt wie in den USA, sehe ich keine Notwendigkeit, das Renteneintrittsalter zu erhöhen“, sagt Börsch-Supan. Das ganze Interview finden Sie in der Wirtschaft.
Herr Börsch-Supan, ist die Rente sicher?
Axel Börsch-Supan: Ja. Viele Menschen haben die Vorstellung, dass es sich nicht mehr lohnt, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Dabei wird die Rente auch in Zukunft ansteigen, wenn auch nicht mehr so stark wie die Löhne. Die Generation unserer Kinder wird 30 Prozent mehr Rente bekommen als meine Generation. Die Produktivität unserer Wirtschaft wird weiter steigen, wovon auch die Rentner profitieren, auch wenn ein kleinerer Teil davon dem demografischen Wandel zum Opfer fällt.
Ist der demografische Wandel also gar nicht so schlimm?
Börsch-Supan: Wir profitieren von einem historischen Zufall. Durch den demografischen Wandel entsteht ein Mangel an jungen Arbeitskräften. Gleichzeitig sorgt die Digitalisierung dafür, dass Computer und Maschinen zumindest teilweise die Arbeit für uns machen können.
Wird die Digitalisierung Jobs vernichten? Börsch-Supan: Das weiß niemand so genau. Man kann sicher sagen, dass Arbeitsplätze wegfallen werden. Das betrifft sowohl Industriejobs als auch den Dienstleistungssektor. Selbst einige Rechtsanwälte könnten durch kluge Algorithmen ersetzt werden. Gleichzeitig werden jedoch neue Jobs und Produkte entstehen. Nur welche dies sein werden, kann niemand seriös vorhersagen.
Trotzdem warnen Sozialverbände vor einer steigenden Altersarmut. Ist die Einführung der Grundrente ein Schritt in die richtige Richtung? Börsch-Supan: Grundsätzlich ist es richtig, Menschen zu belohnen, die lange gearbeitet und in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Die Grundrente hat aber nichts mit Altersarmut zu tun. Dazu ist die Grundsicherung da.
Wie beurteilen Sie die politisch-handwerkliche Umsetzung der Grundrente? Börsch-Supan: Man hat mit der Grundrente ein Monstrum geschaffen. Das Gesetz ist voller Details, die noch undurchdacht sind und kein Mensch versteht. Auch die Idee, die Grundrente durch eine Finanztransaktionssteuer gegenzufinanzieren, ist wagemutig. Ich bezweifle, dass dieser Plan aufgeht.
In letzter Zeit wurden Stimmen laut, den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen. Würde das helfen? Börsch-Supan: Das ist zu naiv gedacht. 12 Euro Stundenlohn reichen nicht, um eine auskömmliche Rente zu haben, dazu müsste der Lohn bei etwa 18 Euro liegen. So stark kann man jedoch die Löhne nicht erhöhen, dann würden viele Menschen mit niedrigem Ausbildungsniveau arbeitslos werden. Wenn die Lohnkosten für die Unternehmen zu hoch werden, stellen sie weniger ein und kaufen stattdessen Maschinen.
Welches Konzept schlagen Sie dann zur Bekämpfung von Altersarmut vor? Börsch-Supan: Man muss die Leute besser ausbilden, sodass die Unternehmen ihnen höhere Löhne zahlen. Der Staat müsste also mehr Geld in Bildung investieren. Auch deswegen ist die Einführung der Grundrente problematisch. Sie wird 1,5 bis 2 Milliarden Euro kosten. Dieser Betrag muss aus dem Bundeshaushalt kommen und dieses Geld steht nicht mehr für Bildung zur Verfügung.
Werden wir bald bis 70 arbeiten müssen? Börsch-Supan: Wenn wir länger leben, müssen wir auch länger arbeiten. Aktuell sehe ich aber keinen Reformbedarf. Wir haben ja schon stufenweise bis 2030 das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht. Wenn danach die Lebenserwartung weiter steigt, müssen wir noch mal über das Renteneintrittsalter reden. Aber wenn die Lebenserwartung stagniert oder sogar sinkt wie in den USA, sehe ich keine Notwendigkeit, das Renteneintrittsalter zu erhöhen.
Könnte eine stärkere Verbreitung von Betriebsrenten die Rentenlücke füllen? Börsch-Supan: Ja, da haben wir noch viel Luft nach oben. Gerade im unteren Einkommenssegment haben die wenigsten Menschen eine Betriebsrente. Für die Generation der Babyboomer, die bald in Rente geht, helfen höhere Betriebsrenten allerdings nicht mehr, denn einen solchen Kapitalstock muss man sich über Jahrzehnte aufbauen. Langfristig wäre es wichtig, als zweite Säule eine kapitalgedeckte Rente zu haben, welche die gesetzliche Rente ergänzt.
Sollten auch Beamte und Selbstständige in die Rentenversicherung einzahlen?
Börsch-Supan: Bei den Selbstständigen gibt es tatsächlich Reformbedarf. Diejenigen, die keine berufsständische Versicherung haben, stehen oft mit leeren Händen da. Wer erst mit 50 an die Altersvorsorge denkt, hat keine Chance auf eine auskömmliche Rente mehr. Deshalb sollten diese Selbstständigen auch in die gesetzliche Rente einzahlen oder alternativ vorsorgen. Bei den Beamten wäre ich ebenfalls dafür, sie in die gesetzliche Rentenversicherung einzubinden. Denn dass Beamte nicht in die Rente einzahlen, wird in der Bevölkerung als Ungerechtigkeit wahrgenommen. Die Beamten können dann noch eine Zusatzversorgung ähnlich wie Betriebsrentner haben.
Alte Menschen sind in der Wählerschaft in der Mehrheit. Handelt die Politik daher zulasten der Jungen? Börsch-Supan: Das Problem ist eher, dass die jungen Menschen nicht für ihre Rente auf die Straße gehen. Im Wesentlichen engagieren sich die alten Leute für die Rente. Das gibt der Politik eine Schieflage. Fridays for Future engagiert sich zum Beispiel fürs Klima, aber nicht für die Sozialsysteme. Die Politiker hören deshalb eher auf die Alten, weil sie eine höhere Wahlbeteiligung haben und bei der Rente lauter schreien.