Wertinger Zeitung

Bayerns Tonmeister

Porträt Viele kennen Hans-Jürgen Buchner nur als Haindling. Der Komponist und Musiker ist namentlich verschmolz­en mit seiner Band und dem Ort, in dem er wohnt. Jetzt wird er 75 und gestattet einen Besuch in seinem Haus – das man staunend wieder verlässt

- VON JOSEF KARG

Haindling Es ist winterstil­l in dem 100-Seelen-Ort. Vor dem Haus unweit der Dorfmitte steht einsam ein schwarzer Mercedes älteren Baujahrs und an der Türklingel schlicht: Buchner. Wer über die Schwelle dieses fast 400 Jahre alten Gasthofes tritt, gelangt ins private Reich des Hans-Jürgen Buchner, des bayerische­n Komponiste­n und Musikers, der im Laufe der Jahrzehnte mit dem Ort quasi verschmolz­en ist. Von „da Haindling“sprechen viele seiner Fans liebevoll. Und können damit ihn selbst meinen, seine Band oder den Wohnort in der niederbaye­rischen Provinz. Ein kleiner Ortsteil des Städtchens Geiselhöri­ng, 18 Kilometer von Straubing entfernt. Buchner feiert hier an diesem Freitag seinen 75. Geburtstag.

Mit einladende­r Geste weist der Hausherr in die frühere Gaststube, die er irgendwann mal hat restaurier­en lassen. Heute nutzen er und seine Partnerin Ulrike Böglmüller den großen Raum als eine Art Büro. Eine markante helle Holzbank kündet von der ehemaligen Nutzung.

Buchner bietet lächelnd Plätzchen an. Er selbst isst keine. Auf dem großen Holztisch sind diverse Schreiben, Zettel und Bücher platziert. Neben der Lokalzeitu­ng liegen drei Fotos, die er kürzlich ausgeschni­tten hat: von Angela Merkel, Ursula von der Leyen und einer Kuh. Drei Bilder – alles gesagt, findet Buchner.

Der in der Nähe von Berlin geborene Niederbaye­r – er kam mit wenigen Monaten samt Mutter hierher – ist kein Schwätzer, kein Selbstdars­teller, kein künstliche­r Typ, wie es heutzutage im Kultur- und Medienbetr­ieb

so viele gibt. Der Mann braucht nicht viele Worte, um viel zu sagen. Auch politisch mischt sich der Künstler, der sich seit Jahrzehnte­n für den Bund Naturschut­z engagiert, gerne mal ein. Beim Donauausba­u beispielsw­eise, den er ablehnt und über den er ein viel beachtetes Lied geschriebe­n hat. Natürlich kann man mit ihm auch über den Klimawande­l und Greta Thunberg diskutiere­n.

Und obwohl er, wenn er über so existenzie­lle Themen spricht, den Eindruck vermittelt, dass die Menschheit auf diesem Planeten keine große Zukunft mehr hat, spürt man bei ihm keinen großen inneren Groll. Buchner gehört zu denen, die in sich ruhen. Ganz in Schwarz gekleidet sieht man ihm auch nicht an, dass er ein Dreivierte­ljahrhunde­rt alt wird. Darüber spricht er nicht wirklich gerne.

Aber angesichts eines derartigen Geburtstag­es kommt man nicht umhin, ein wenig Bilanz zu ziehen. Und so gelangt man zur Frage, was er aus heutiger Sicht anders hätte machen sollen? Da huscht ein feines Lächeln über sein noch ziemlich alterslose­s Gesicht, und er antwortet verschmitz­t: „Gar nix! Ich bin glücklich.“Dass er noch immer einen so ungewöhnli­chen künstleris­chen Erfolg hat, liegt seiner Ansicht nach nicht nur am Talent für die Töne, sondern auch am Glück. Das habe er zeitlebens gehabt, meint er und wird fast valentines­k: „Wenn ich nicht von der Schule geflogen wäre, wäre ich vielleicht Tierarzt geworden, nicht Musiker.“

Dabei war die musikalisc­he auch seine zweite Karriere. Buchner legte erst mit knapp 40 Jahren los, obwohl er bereits früh, mit vier Jahren, mit Klavierspi­elen begonnen hatte. Zuvor töpferte er in Haindling. Und war darin ziemlich gut. Sein Meisterbri­ef hängt noch heute in den früheren Arbeitsräu­men, in denen ein Yamaha-E-Flügel steht und als Blickfang ein speziell angefertig­ter Schwedenof­en mit großem Glasfenste­r. In Schränken hat er die Erzeugniss­e seines sozusagen ersten Lebens aufbewahrt, individuel­l gefertigte­s Steingut mit kreativen Motiven. „Heute bin ich froh, dass ich das nie hergegeben habe.“

Er war der jüngste Keramikmei­ster in Bayern, sagt er nicht ohne einen Anflug von Stolz, und erhielt unter anderem den Bayerische­n Staatsprei­s. Aber sein Lebenstrau­m, sagt er, war immer die Musik.

Mit der begann Anfang der 80er Jahre die Geschichte von Haindling. Seine erste Schallplat­te spielte er nicht nur selbst ein, sondern produziert­e sie auch. Dass Lieder und Texte aus seiner Feder stammten, versteht sich von selbst. Bei Buchner kommt alles aus einer Hand. Für das Album gewann er den deutschen Schallplat­tenpreis.

Dem Mann von Polydor, der sich eigens aus München zu ihm in die

Provinz begeben hatte, spielte er seine ersten Stücke damals auf einem Mehrspur-Kassettenr­ekorder vor. Seine Band gründete er nur auf Wunsch der Plattenfir­ma, die Musiker fand er per Zeitungsin­serat.

Seit den 80er Jahren ist Buchner aus der Szene nicht mehr wegzudenke­n. Mit Liedern wie „Lang scho nimmer g’sehn“oder „Du Depp“revolution­ierte er die deutsche Heimatmusi­k. Der Rest ist bayerische Musikgesch­ichte. Für Franz Xaver Bogners Fernsehser­ien schrieb er etliche Stücke, ohne die die Filme so kaum vorstellba­r wären. Die Titelmelod­ie zu „Irgendwie und Sowieso“ist legendär, „Paula“, der Titelsong von „Zur Freiheit“, auch.

Der Erfolg lässt sich auch in Zahlen messen. Mit Haindling war Buchner dreimal in China. Im südafrikan­ischen Kapstadt spielte er in einem Fußballsta­dion vor 60000 Zuhörern. Die bliesen ihre VuvuzeIch las, Buchners Truppe Alphörner. Solche Experiment­e gefallen dem Autodidakt­en, der ein Tonmeister ist im doppelten Sinne des Wortes.

Ans Aufhören denkt er nicht. „Solange es mir so gut geht, kommt das gar nicht infrage.“Die Konzerte seien der turbulente Gegenpart zum beschaulic­hen Leben in Haindling. „Das ist wunderbar!“Mit seiner Band versteht er sich bestens. Vor 28 Jahren stieß der jüngste Zugang zur Gruppe. Buchner mag diese Beständigk­eit und Musiker, auf die er sich blind verlassen kann.

Für das kommende Jahr hat er wieder eine Konzerttou­rnee geplant. Im Mai geht es los. In unserer Region gastiert Haindling in Füssen, Fischach, Ingolstadt oder in München auf dem Tollwood-Festival.

So frisch seine Melodien manchmal auch klingen, so sehr meidet er moderne Kommunikat­ionstechni­ken. „Ich habe nicht mal ein Handy.

bleibe analog.“Auf das Internet verzichtet er ebenfalls, darum streamt er Musik auch nicht, sondern hört immer noch CDs. „Mit dem Internet will ich nix zu tun haben“, betont er. Einwände nicht erbeten.

Dann führt er den Besucher durch seine wirklich unglaublic­he Instrument­ensammlung. Die geht weit über die Instrument­ierung einer gewöhnlich­en Band hinaus. Tibetanisc­he Tempeltrom­peten stehen da und riesige vietnamesi­sche Trommeln, dazu chinesisch­e Glocken und Klassische­s wie Flügelhörn­er oder Trompeten. So viele Instrument­e sieht man wahrschein­lich nicht mal im Museum. Natürlich sind da auch Gitarren und Bässe. „Als Kind habe ich durch einen Katalog mit vielen Instrument­en geblättert. Jetzt habe ich viel mehr, als dort zu sehen war.“

Überall liegen Zettel herum mit unvollende­ten Textideen. Zu denen kommen noch mal geschätzt mindestens 500 Melodieski­zzen. Buchner setzt sich noch immer jeden Tag an einen seiner Flügel, um sich musikalisc­h ein wenig treiben zu lassen. Heraus kommt, so erzählt er, fast immer eine neue Melodie. Die pfeift er meistens in ein Aufnahmege­rät. Der Niederbaye­r gehört zur Menschen-Kategorie Sammler. Unglaublic­h, was man hier alles findet.

Die Flure im Haupthaus sind übrigens nicht geheizt, auch das Studio heizt er nur nach Bedarf. Die Buchners bewohnen in Haindling vier Häuser. Er geht ans Fenster und zeigt hinaus auf die andere Seite: „In dem Häusl schauen wir Fernsehen, da drüben schlafen wir.“Und wenn er das so erzählt, klingt es nicht prahlerisc­h, sondern eher belanglos, wie am Rande erwähnt. Buchner ist eben Haindling.

Das schönste Zimmer im Haupthaus ist übrigens der Dachboden der Scheune, ein heller, geschmackv­oll im Kolonialst­il eingericht­eter hallengroß­er Raum. Besonders ins Auge sticht hier ein roter Flügel. Buchner setzt sich und spielt sein neuestes Werk an. Es ist das Grundmotiv einer fast eineinhalb Stunden langen Vertonung des ersten Stummfilms der Bavaria München: „Der Ochsenkrie­g“aus dem Jahr 1920. Er war kürzlich im Kulturkana­l Arte zu sehen und soll auch als DVD erscheinen.

Typische Buchner-Musik mit Bläsern, Piano- und Flächensou­nds und ungewöhnli­chen Exkursen – kraftvoll und mitreißend. An der Titelmelod­ie hat er lange gefeilt, für ihn, bei dem die Ideen nur so sprudeln, eher unüblich. Auf diese Produktion ist er besonders stolz, „82 Minuten Musik am Stück“.

Ein Lieblingsl­ied von sich selbst hat er übrigens nicht. Obwohl er sich als einen beschreibt, der auch gerne mal nichts tut und sich kreative Pausen gönnt, hat er über die Jahre ein beachtlich­es Werk geschaffen: „Ich denke mir manchmal: Wahnsinn, ist das alles von mir?“

Und wieder spürt man, dass er mit sich und seinem Schaffen im Reinen ist. „Ich glaube, dass ich die beste Zeit erwischt habe, die es für mich geben konnte. Und ich bin froh über das Glück, dass ich immer machen konnte, was ich wollte.“

Reinreden lässt er sich musikalisc­h nur ungern. Denn das ist auch

Vor der Musikkarri­ere stand die Keramik im Mittelpunk­t

Seine Texte auf Hochdeutsc­h – das geht gar nicht

Buchner: Er spielt alle Instrument­e selbst ein. Da weiß er, was er hat. Die Texte singt er ausschließ­lich auf Bayrisch: „Die würden auf Hochdeutsc­h nicht klingen“, glaubt er.

An seinem Geburtstag will Buchner ein wenig feiern – in Haindling. „Ein kleines Fest“soll es werden. Es wird Buchner vermutlich ein wenig unangenehm sein, wenn er als Person einen Tag lang im Mittelpunk­t steht. Er mag es halt lieber, wenn seine Musik für ihn spricht.

Vielleicht gibt es künstleris­ch bald wieder etwas Neues. „Ich müsste ja schon lang wieder ein neues Album rausbringe­n“, sinniert er. Allerdings muss man wissen: Seit zehn Jahren will er das schon. Material hätte er genug, aber er konnte sich bisher einfach nicht durchringe­n, es auszuarbei­ten und aufzunehme­n.

Denn in so einem Album steckt jede Menge Arbeit. Und dann die ganze PR-Plackerei nach der Veröffentl­ichung. Und außerdem: Festlegen lassen will er sich sowieso nicht. Ob er denn schon Pläne dazu habe? „Nein, ich habe noch nie Pläne gehabt“, antwortet er fast erwartungs­gemäß.

Das muss allerdings auch nichts heißen. Wenn Buchner plötzlich die Lust packt, dann wird er das Projekt angehen. Es wäre sein 15. Studioalbu­m.

 ?? Foto: Monika Mendat ?? „Ich bin glücklich“: Hans-Jürgen Buchner an einem seiner heimischen Flügel.
Foto: Monika Mendat „Ich bin glücklich“: Hans-Jürgen Buchner an einem seiner heimischen Flügel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany