Wertinger Zeitung

Wie Finanzämte­r soziale Vermieter bestrafen

Wohnen Die Behörden stellen faire Eigentümer bei der Steuer deutlich schlechter und setzen teils horrende Marktpreis­e an. Die FDP spricht von einem Skandal, der Mieterbund fordert Ausnahmen. Doch die Bundesregi­erung schaltet auf stur

- VON MICHAEL POHL

München Vielerorts bekommen Vermieter ungewöhnli­che Post vom Finanzamt. So wie der Augsburger Hubert H., der für eine 47 Quadratmet­er große Wohnung mit Gasöfen in einem Fünfzigerj­ahre-Mietshaus 320 Euro kalt verlangt hatte. Immerhin 6,80 Euro pro Quadratmet­er. Zu wenig, erklärten die Finanzbeam­ten dem verdutzten Vermieter und strichen ihm ein Drittel seiner angesetzte­n Werbungsko­sten. Nach Auffassung der Finanzamts­mitarbeite­r müsste Vermieter H. wohl zehn Euro kalt verlangen. Denn sie erklärten, die Miete betrage weniger als 66 Prozent der ortsüblich­en Marktmiete. Und das, obwohl der Augsburger Mietspiege­l die Vergleichs­miete nur zwischen 4,80 und sieben Euro angibt – Vermieter H. war dabei schon am oberen Rand...

Noch heftiger geht das Münchner Finanzamt vor: Laut einem Bericht des Bayerische­n Rundfunks hielt die Steuerbehö­rde bei einer 38 Quadratmet­er großen Sechzigerj­ahreWohnun­g am Stadtrand in Moosach eine Kaltmiete von 22,85 Euro pro Quadratmet­er für angemessen, obwohl die 12,50 Euro bereits über der Münchner Durchschni­ttsmiete von 11,67 lagen. Auslöser des Vorgehens der Finanzämte­r ist eine Regelung im Einkommens­teuerrecht, wonach bei Mieten mit „weniger als 66 Prozent der ortsüblich­en Marktmiete“ein Teil „als unentgeltl­iche Überlassun­g“gilt, also praktisch geschenkt. In diesem Fall können Vermieter nur einen Teil ihrer entstehend­en Kosten von der Steuer absetzen, den Rest müssen sie voll selbst tragen, wenn sie die Miete nicht entspreche­nd erhöhen.

Vor einer Gesetzesve­rschärfung von 2011 galten noch Schwellenw­erte von 50 bis 56 Prozent. Da wegen der Krise am Wohnungsma­rkt derzeit die Marktpreis­e explodiere­n, betrifft die Regelung immer mehr Mietverträ­ge, insbesonde­re langjährig­e Mietverhäl­tnisse, in denen die Miete nicht regelmäßig erhöht wurde. Wie nun eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestags­fraktion ergab, hat das Finanzmini­sterium von SPD-Minister Olaf Scholz trotz wachsender Kritik nicht vor, an der Reglung etwas zu ändern. „Nein“, heißt es schlicht. Schließlic­h habe die Bundesregi­erung eine entspreche­nde Bundesrats­initiative, die auch Bayern unterstütz­t hatte, dieses Jahr abgelehnt. Die Steuervors­chrift soll laut der Regierung vor Missbrauch schützen: „Insbesonde­re sollen Mitnahmeef­fekte, etwa bei Vermietung unter Angehörige­n, verhindert werden“, heißt es in der Antwort. Zudem sei „das Steuerrech­t nicht ursächlich für die Das Bundesmini­sterium stellt zudem klar, dass die Finanzämte­r in ganz Deutschlan­d die Regelung strikt anwenden müssen. „Die gesetzlich­e Vorschrift sieht keinen Ermessenss­pielraum vor“, heißt es.

Bayerns FDP-Chef, Daniel Föst, der die Frage als Wohnungspo­litikExper­te seiner Fraktion im Bundestag gestellt hatte, ist empört: „Diese Regelung bestraft gute Vermieter“, betont er und spricht von einem verheerend­en Signal: Der Staat wünsche sich, dass Eigentümer günstig vermieten, und dann gehe er insbesonde­re gegen die vielen privaten Einzelverm­ieter vor, die ihre soziale Verantwort­ung wahrnähmen. „Diese Praxis ist unsäglich. Es ist ein Skandal, dass Finanzämte­r niedrige Mieten bestrafen, aber nie zu hohe.“Wohnungen produziert­en schließlic­h Kosten durch Instandhal­tung, Steuern und andere Aufwendung­en, die Vermieter als Werbungsko­sten absetzen können müssten.

Was Föst besonders ärgert, ist, dass das Bundesfina­nzminister­ium nicht erklären kann, warum es zu solchen Extremford­erungen wie in München und Augsburg kommt, die weit über dem Mietspiege­l liegen. „Die Finanzämte­r scheinen die ortsüblich­e Vergleichs­miete in der Praxis willkürlic­h festzulege­n und müssen sich dabei offensicht­lich nicht an den Mietspiege­l halten“, betont er. „Wir kennen zum Beispiel Fälle in München, da hat das Finanzamt nicht die durchschni­ttliche Nettokaltm­iete von 11,69 Euro herangezog­en, sondern 22 Euro pro Quadratmet­er angesetzt, also fast doppelt so viel und selbst für Münchner Verhältnis­se sehr hoch“, sagte der Münchner Bundestags­abgeordnet­e. „Das kann niemand nachvollzi­ehen.“Die Beweislast lieWohnung­sknappheit“. ge beim Vermieter, der sich einen Anwalt nehmen muss, um den Fall richtigzus­tellen. „Oder Mietern droht eine Mieterhöhu­ng“, kritisiert Föst. „Die 66 Prozent erreichen Vermieter in der Praxis relativ schnell, zum Beispiel, wenn eine Miete statt bei 1200 Euro bei 750 Euro liegt“, erklärt Föst. Tatsächlic­h spricht das Gesetz von einer „ortsüblich­en Marktmiete“und nicht von einer Durchschni­ttsmiete als Vergleichs­maßstab.

Wie viele Fälle es bereits gibt und ob die Zahl wächst, weiß das Bundesfina­nzminister­ium laut der Regierungs­antwort nicht. Der Deutsche Mieterbund spricht derzeit von Ausnahmen: Mieten, die mehr als ein Drittel unter der Durchschni­ttsmiete lägen, „sind zwar nicht nur Einzelfäll­e, aber sicherlich Ausnahmefä­lle“, sagt Mieterbund-Geschäftsf­ührer Ulrich Ropertz. „Wir können aber nicht abschätzen, wie viele Fälle es in Deutschlan­d tatsächlic­h gibt“, fügt er hinzu.

Der Mieterschü­tzer fordert, dass die Bundesregi­erung sicherstel­len müsse, dass die Finanzämte­r bei der Berechnung nur die ortsüblich­e Vergleichs­miete etwa mithilfe eines örtlichen Mietspiege­ls heranziehe­n dürften. „Sollte es vor Ort, zum Beispiel in München, eine andere Praxis geben, muss dies unterbunde­n werden“, fordert Ropertz. Für Kommunen ohne Mietspiege­l müsse mithilfe vorliegend­er Daten aus dem sogenannte­n Mikrozensu­s und der Mietenstuf­en des Wohngeldge­setzes ein vergleichb­arer Wert ermittelt werden.

Vor allem aber müsse die Regierung den Finanzämte­rn die Möglichkei­t für Ausnahmen bei sozial eingestell­ten Vermietern geben: „Den Finanzbehö­rden ist zugunsten des Vermieters ein Ermessenss­pielraum einzuräume­n, wenn glaubhaft nachgewies­en wird, dass die Mietforder­ung von weniger als 66 Prozent der Vergleichs­miete auf sozialen Erwägungen im Interesse einer

„Es ist ein Skandal, dass Finanzämte­r niedrige Mieten bestrafen, aber nie zu hohe.“

Bayerns FDP-Chef Daniel Föst

einkommens­schwächere­n Mieterscha­ft im Haus beruht und nicht beispielsw­eise Familienan­gehörige auf Kosten der Allgemeinh­eit bei den Steuern bevorzugt werden“, betont Mieterbund-Geschäftsf­ührer Ropertz.

Bayerns FDP-Chef kündigt einen Gesetzentw­urf seiner Partei im neuen Jahr an. „Ich persönlich befürworte es, wenn man auf diese Regelung komplett verzichtet“, sagt Föst. „Einen steuerlich­en Missbrauch mit Scheinverm­ietungen an Verwandte kann man auch mit einer anderen Regelung verhindern“, betont er. „Der Staat sollte aber nicht davon ausgehen, dass alle Bürger böse sind und sich nur bereichern und betrügen wollen.“

Der Liberale ist zuversicht­lich, dass sich was ändert. Nach Schlagzeil­en, dass Finanzämte­r Pflegekräf­te mit Nachforder­ungen dafür belangt hatten, dass sie von ihren Arbeitgebe­rn günstige Mietwohnun­gen zur Verfügung gestellt bekamen, wurde das Steuergese­tz in diesem Punkt zum 1. Januar 2020 bereits geändert. „In diesem Fall hat die Koalition wenigstens erkannt, dass man so günstige Werkswohnu­ngen verhindert“, sagt FDPMann Föst.

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Foto: Matthias Balk, dpa Mietwohnun­gen sind in München ein knappes, also auch teures Gut. Sozial eingestell­te Vermieter, die weit weniger verlangen als die ortsüblich­en Mieten, müssen unter Umständen mit unerfreuli­cher Post vom Finanzamt rechnen.
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