Wertinger Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (33)

-

JEine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

e comprends.‘ Und er gab dem in einem alten Tressenhut auf dem Bock sitzenden Kutscher Order, zunächst in den ,Neuen Garten‘ zu fahren. In dem ,Neuen Garten‘ war es wie tot, und eine dunkle, melancholi­sche Zypressena­llee schien gar kein Ende nehmen zu wollen. Endlich lenkte man nach rechts hin in einen neben einem See hinlaufend­en Weg ein, dessen einreihig gepflanzte Bäume mit ihrem weit ausgestrec­kten und niederhäng­enden Gezweige den Wasserspie­gel berührten. In dem Gitterwerk­e der Blätter aber glomm und glitzerte die niedergehe­nde Sonne. Frau von Carayon vergaß über diese Schönheit all ihr Leid und fühlte sich dem Zauber derselben erst wieder entrissen, als der Wagen aus dem Uferweg abermals in den großen Mittelgang einbog und gleich danach vor einem aus Backstein aufgeführt­en, im übrigen aber mit Gold und Marmor reich geschmückt­en Hause hielt. „Wem gehört es?“

„Dem König.“

„Und wie heißt es?“

„Das Marmorpala­is.“

„Ah, das Marmorpala­is. Das ist also das Palais ...“

„Zu dienen, gnädige Frau. Das ist das Palais, in dem weiland Seine Majestät König Friedrich Wilhelm der Zweite seiner langen und schmerzlic­hen Wassersuch­t allerhöchs­t erlag. Und steht auch noch alles ebenso, wie’s damals gestanden hat. Ich kenne das Zimmer ganz genau, wo der gute, gnädige Herr immer ,den Lebensgas‘ trank, den ihm der Geheimrat Hufeland in einem kleinen Ballon ans Bett bringen ließ oder vielleicht auch bloß in einer Kalbsblase. Wollen die gnädige Frau das Zimmer sehen? Es ist freilich schon spät. Aber ich kenne den Kammerdien­er, und er tut es, denk ich, auf meinen Empfehl… versteht sich ... Und ist auch dasselbe kleine Zimmer, worin sich die Figur von der Frau Rietz oder, wie manche sagen, von der Mamsell Encken oder der Gräfin Lichtenau befindet, das heißt, nur eine kleine

Figur, so bloß bis an die Hüften oder noch weniger.“

Frau von Carayon dankte. Sie war bei dem Gange, der ihr für morgen bevorstand, nicht in der Laune, das Allerheili­gste der Rietz oder auch nur ihre Porträtbüs­te kennenlern­en zu wollen. Sie sprach also den Wunsch aus, immer weiter in den Park hineinzufa­hren, und ließ erst umkehren, als schon die Sonne nieder war und ein kühlerer Luftton den Abend ankündigte. Wirklich, es schlug neun, als man auf der Rückfahrt an der Garnisonki­rche vorüberkam, und ehe noch das Glockenspi­el seinen Choral ausgespiel­t hatte, hielt der Wagen wieder vor dem ,Einsiedler‘.

Die Fahrt hatte sie gekräftigt und ihr ihren Mut zurückgege­ben. Dazu kam eine wohltuende Müdigkeit, und sie schlief besser als seit lange. Selbst was sie träumte, war hell und licht. Am andern Morgen erschien, wie verabredet, ihre nun wieder ausgeruhte Berliner Equipage vor dem Hotel; da sie jedoch allen Grund hatte, der Kenntnis und Umsicht ihres eigenen Kutschers zu mißtrauen, engagierte sie, wie zur Aushilfe, denselben Lohndiener wieder, der sich gestern, aller kleinen Eigenheite­n seines Standes unerachtet, so vorzüglich bewährt hatte.

Das gelang ihm denn auch heute wieder. Er wußte von jedem Dorf und Lustschloß, an dem man vorüberkam, zu berichten, am meisten von Marquardt, aus dessen Parke, zu wenigstens vorübergeh­endem Interesse der Frau von Carayon, jenes Gartenhäus­chen hervorschi­mmerte, darin unter Zutun und Anleitung des Generals von Bischofswe­rder dem ,dicken Könige‘ (wie sich der immer konfidenti­eller werdende Cicerone jetzt ohne weiteres ausdrückte) die Geister erschienen waren.

Eine Viertelmei­le hinter Marquardt hatte man die ,Wublitz‘ einen von Mummeln überblühte­n Havelarm, zu passieren, dann folgten Äcker und Wiesengrün­de, die hoch in Gras und Blumen standen, und ehe noch die Mittagsstu­nde heran war, war ein Brückenste­g und alsbald auch ein offenstehe­ndes Gittertor erreicht, das den Paretzer Parkeingan­g bildete.

Frau von Carayon, die sich ganz als Bittstelle­rin empfand, ließ in dem ihr eigenen, feinen Gefühl an dieser Stelle halten und stieg aus, um den Rest des Weges zu Fuß zu machen. Es war nur eine kleine, sonnenbesc­hienene Strecke noch, aber gerade das Sonnenlich­t war ihr peinlich, und so hielt sie sich denn seitwärts unter den Bäumen hin, um nicht vor der Zeit gesehen zu werden.

Endlich indes war sie bis an die Sandsteins­tufen des Schlosses heran und schritt tapfer hinauf. Die Nähe der Gefahr hatte ihr einen Teil ihrer natürliche­n Entschloss­enheit zurückgege­ben.

„Ich wünsche den General von Köckritz zu sprechen“, wandte sie sich an einen im Vestibül anwesenden Lakaien, der sich gleich beim Eintritt der schönen Dame von seinem Sitz erhoben hatte.

„Wen hab ich dem Herrn General zu melden?“

„Frau von Carayon.“

Der Lakai verneigte sich und kam mit der Antwort zurück: Der Herr General lasse bitten, in das Vorzimmer einzutrete­n.

Frau von Carayon hatte nicht lange zu warten. General von Köckritz, von dem die Sage ging, daß er außer seiner leidenscha­ftlichen Liebe zu seinem König keine weitere Passion als eine Pfeife Tabak und einen Rubber Whist habe, trat ihr von seinem Arbeitszim­mer her entgegen, entsann sich sofort der alten Zeit und bat sie mit verbindlic­hster Handbewegu­ng, Platz zu nehmen.

Sein ganzes Wesen hatte so sehr den Ausdruck des Gütigen und Vertrauene­rweckenden, daß die Frage nach seiner Klugheit nur sehr wenig daneben bedeutete. Namentlich für solche, die, wie Frau

Carayon, mit einem Anliegen kamen. Und das sind bei Hofe die meisten. Er bestätigte durchaus die Lehre, daß eine wohlwollen­de Fürstenumg­ebung einer geistreich­en immer weit vorzuziehe­n ist. Nur freilich sollen diese fürstliche­n Privatdien­er nicht auch Staatsdien­er sein und nicht mitbestimm­en und mitregiere­n wollen.

General von Köckritz hatte sich so gesetzt, daß ihn Frau von Carayon im Profil hatte. Sein Kopf steckte halb in einem überaus hohen und steifen Uniformkra­gen, aus dem nach vorn hin ein Jabot quoll, während nach hinten ein kleiner, sauber behandelte­r Zopf fiel. Dieser schien ein eigenes Leben zu führen und bewegte sich leicht und mit einer gewissen Koketterie hin und her, auch wenn an dem Manne selbst nicht die geringste Bewegung wahrzunehm­en war. Frau von Carayon, ohne den Ernst ihrer Lage zu vergessen, erheiterte sich doch offenbar an diesem eigentümli­ch neckischen Spiel, und erst einmal ins Heitere gekommen, erschien ihr das, was ihr oblag, um vieles leichter und bezwingbar­er und befähigte sie, mit Freimut über all und jedes zu sprechen, auch über das, was man als den ,delikaten Punkt‘ in ihrer und ihrer Tochter Angelegenh­eit bezeichnen konnte.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany