Europa muss im Umgang mit Flüchtlingen aus Fehlern lernen
Der Ruf nach einer Aufnahme jener Menschen, die auf den griechischen Inseln gestrandet sind, ist verständlich – aber falsch
Europa hat nichts gelernt aus der Flüchtlingskrise des Jahres 2015. Damals flohen 1,3 Millionen Menschen vor Bürgerkrieg, politischer Verfolgung oder wirtschaftlicher Not auf den sicheren Kontinent. Ihr Ankommen hat einen Keil zwischen die Staaten Europas getrieben. Ihr Ankommen hat auch einen Keil in die Gesellschaften dieser Staaten getrieben.
Nun droht sich dieses Drama zu wiederholen. Auf den griechischen Inseln kommen wieder mehr Schutzsuchende an. Griechenland ist völlig überfordert und fühlt sich von der europäischen Familie im Stich gelassen. Die Bedingungen in den Lagern sind unmenschlich, die Wintermonate machen alles noch schlimmer. Tausende müssen in kalten Zelten und Hütten hausen, die sie selbst zusammengezimmert haben. Hilfsorganisationen und Politiker
wie Grünen-Chef Habeck fordern, zumindest die 4000 Kinder aus den Lagern zu holen.
Doch Innenminister Horst Seehofer lehnt das ab. Der CSU-Politiker hat die Bundesregierung hinter sich und er hat recht mit seiner Position. Es braucht eine Einigung zwischen den Staaten Europas darüber, wie sie mit Flüchtlingen umgehen wollen. Ein Alleingang Deutschlands darf sich aus zwei Gründen nicht wiederholen. Er würde einerseits den fragil gewordenen Zusammenhalt der Gesellschaft noch weiter schwächen, das Klima noch rauer machen. Das Land braucht Zeit, um die hunderttausenden Neuankömmlinge zu integrieren. Andererseits würde eine einsame Geste der Bundesregierung eine europäische Lösung noch weiter erschweren. So ist es vor vier Jahren geschehen, als Kanzlerin Angela Merkel die Grenzen offen ließ. Die Europäer sahen sich – mit wenigen Ausnahmen wie Schweden – von jeder Pflicht befreit, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen. Merkel hatte sich selbst um jeden Hebel gebracht.
Bis sich die Europäer auf eine Art Verteilungsschlüssel geeinigt haben, werden noch viele Monate vergehen. Und die Aussichten sind düster. Wegen der Stärke der Rechten traut sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nicht, viele Migranten aufzunehmen. Großbritannien verlässt die EU. In Spanien hält sich auch das linke Lager an eine strenge Zuwanderungspolitik.
Und Italien gehört selbst zu den im Stich Gelassenen. Damit fallen praktisch alle großen EU-Partner weg. Gleiches gilt für die osteuropäischen Staaten.
Trotz dieser politischen Blockade darf Europa nicht einfach wegsehen vom Elend auf den Inseln in der Ägäis. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung müssen die Lager winterfest gemacht werden. Deutschland hat mit dem Technischen Hilfswerk die nötige Organisation
dafür, in anderen Ländern ist es der nationale Katastrophenschutz. Das Internationale Rote Kreuz muss helfen und zur Not das Militär, wenn es um den Bau von Zeltstädten geht. Die Griechen warnen seit Monaten, dass im Winter eine menschliche Tragödie droht. Bisher verhallte ihr Klagen ungehört. Jetzt ist es fast schon zu spät. Dabei muss Griechenland ohnehin viel stärker unterstützt werden. Niemand weiß, ob der türkische Präsident Erdogan den Flüchtlingspakt aufkündigt.
Eine europäische Lösung wird es nur geben, wenn auf den griechischen Inseln direkt über einen Asylantrag entschieden wird. Dafür sollten Flüchtlingszentren mit europäischer Unterstützung aufgebaut werden. Flüchtlinge ohne Chance auf ein Bleiberecht müssen zurückgeschickt werden. Auch das ist eine Lehre aus dem Jahr 2015. Zwar sind mittlerweile einige dieser Flüchtlingszentren eingerichtet, aber sie funktionieren nicht und sind überlastet. Auch an dieser Stelle müssen die Europäer mehr tun. Bisher haben sie zu wenig gelernt.
Die großen Länder ducken sich weg