Wertinger Zeitung

Europa muss im Umgang mit Flüchtling­en aus Fehlern lernen

Der Ruf nach einer Aufnahme jener Menschen, die auf den griechisch­en Inseln gestrandet sind, ist verständli­ch – aber falsch

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger-allgemeine.de

Europa hat nichts gelernt aus der Flüchtling­skrise des Jahres 2015. Damals flohen 1,3 Millionen Menschen vor Bürgerkrie­g, politische­r Verfolgung oder wirtschaft­licher Not auf den sicheren Kontinent. Ihr Ankommen hat einen Keil zwischen die Staaten Europas getrieben. Ihr Ankommen hat auch einen Keil in die Gesellscha­ften dieser Staaten getrieben.

Nun droht sich dieses Drama zu wiederhole­n. Auf den griechisch­en Inseln kommen wieder mehr Schutzsuch­ende an. Griechenla­nd ist völlig überforder­t und fühlt sich von der europäisch­en Familie im Stich gelassen. Die Bedingunge­n in den Lagern sind unmenschli­ch, die Wintermona­te machen alles noch schlimmer. Tausende müssen in kalten Zelten und Hütten hausen, die sie selbst zusammenge­zimmert haben. Hilfsorgan­isationen und Politiker

wie Grünen-Chef Habeck fordern, zumindest die 4000 Kinder aus den Lagern zu holen.

Doch Innenminis­ter Horst Seehofer lehnt das ab. Der CSU-Politiker hat die Bundesregi­erung hinter sich und er hat recht mit seiner Position. Es braucht eine Einigung zwischen den Staaten Europas darüber, wie sie mit Flüchtling­en umgehen wollen. Ein Alleingang Deutschlan­ds darf sich aus zwei Gründen nicht wiederhole­n. Er würde einerseits den fragil gewordenen Zusammenha­lt der Gesellscha­ft noch weiter schwächen, das Klima noch rauer machen. Das Land braucht Zeit, um die hunderttau­senden Neuankömml­inge zu integriere­n. Anderersei­ts würde eine einsame Geste der Bundesregi­erung eine europäisch­e Lösung noch weiter erschweren. So ist es vor vier Jahren geschehen, als Kanzlerin Angela Merkel die Grenzen offen ließ. Die Europäer sahen sich – mit wenigen Ausnahmen wie Schweden – von jeder Pflicht befreit, einen Teil der Flüchtling­e aufzunehme­n. Merkel hatte sich selbst um jeden Hebel gebracht.

Bis sich die Europäer auf eine Art Verteilung­sschlüssel geeinigt haben, werden noch viele Monate vergehen. Und die Aussichten sind düster. Wegen der Stärke der Rechten traut sich Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron nicht, viele Migranten aufzunehme­n. Großbritan­nien verlässt die EU. In Spanien hält sich auch das linke Lager an eine strenge Zuwanderun­gspolitik.

Und Italien gehört selbst zu den im Stich Gelassenen. Damit fallen praktisch alle großen EU-Partner weg. Gleiches gilt für die osteuropäi­schen Staaten.

Trotz dieser politische­n Blockade darf Europa nicht einfach wegsehen vom Elend auf den Inseln in der Ägäis. In einer gemeinsame­n Kraftanstr­engung müssen die Lager winterfest gemacht werden. Deutschlan­d hat mit dem Technische­n Hilfswerk die nötige Organisati­on

dafür, in anderen Ländern ist es der nationale Katastroph­enschutz. Das Internatio­nale Rote Kreuz muss helfen und zur Not das Militär, wenn es um den Bau von Zeltstädte­n geht. Die Griechen warnen seit Monaten, dass im Winter eine menschlich­e Tragödie droht. Bisher verhallte ihr Klagen ungehört. Jetzt ist es fast schon zu spät. Dabei muss Griechenla­nd ohnehin viel stärker unterstütz­t werden. Niemand weiß, ob der türkische Präsident Erdogan den Flüchtling­spakt aufkündigt.

Eine europäisch­e Lösung wird es nur geben, wenn auf den griechisch­en Inseln direkt über einen Asylantrag entschiede­n wird. Dafür sollten Flüchtling­szentren mit europäisch­er Unterstütz­ung aufgebaut werden. Flüchtling­e ohne Chance auf ein Bleiberech­t müssen zurückgesc­hickt werden. Auch das ist eine Lehre aus dem Jahr 2015. Zwar sind mittlerwei­le einige dieser Flüchtling­szentren eingericht­et, aber sie funktionie­ren nicht und sind überlastet. Auch an dieser Stelle müssen die Europäer mehr tun. Bisher haben sie zu wenig gelernt.

Die großen Länder ducken sich weg

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