Türkei setzt Griechenland unter Druck
Mittelmeer Spannungen zwischen den Nato-Partnern wachsen. Es geht um Gas und eine Pipeline
Athen Dass türkische Militärjets über ihre Insel fliegen, daran haben sich die 750 Einwohner der griechischen Insel Inousses im Lauf der letzten Jahre gewöhnt. Aber so oft? Und so tief? „Es häuft sich“, sagt Giorgos Daniil, der Bürgermeister des kleinen Eilands, das zwischen der Insel Chios und der türkischen Küste liegt. 98 Mal flogen allein am vergangenen Freitag türkische F-16- und F-4-Kampfflugzeuge durch den griechischen Luftraum.
In Inousses donnerten türkische Jets in nur 500 Metern Höhe über die Dächer. „Wir haben keine Angst“, sagte Bürgermeister Daniil der Zeitung Naftemporiki, „wir wollen friedlich mit unseren Nachbarn zusammenleben“.
Aber wollen das die Nachbarn auch? Der Konflikt zwischen Griechen und Türken um die Bodenschätze und die Hoheitszonen im östlichen Mittelmeer spitzt sich gefährlich zu. Droht eine militärische Konfrontation wie 1996 im Streit um die Imia-Inseln?
Seit der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan Ende November im Istanbuler DolmabahcePalast mit dem libyschen Ministerpräsidenten Fajis al-Sarradsch ein Abkommen über die „Abgrenzung der Einflussbereiche auf See“unterschrieb, ist der seit Jahrzehnten zwischen Griechenland und der Türkei schwelende Konflikt um die Hoheitsrechte und Bodenschätze im östlichen Mittelmeer neu aufgebrochen. Mit dem Abkommen eignet sich die Türkei Meeresgebiete an, die nach internationalem Seerecht zur Wirtschaftszone Griechenlands gehören. Die Europäische Union erklärte, die türkisch-libysche Vereinbarung stehe nicht im Einklang mit dem Seerecht und verletze die Rechte von Drittstaaten.
Aber Ankara lässt sich davon nicht beeindrucken. Außenminister Mevlüt Cavusoglu kündigte an, die
Türkei werde ihre Gebietsansprüche, wenn nötig, „selbstverständlich“mit militärischer Gewalt durchsetzen.
Es geht nicht nur um die Bodenschätze. Erdogan will mit dem türkisch-libyschen Abkommen auch die Pläne Israels, Zyperns und Griechenlands zum Bau der EastMedErdgaspipeline durchkreuzen, wie er selbst im Staatsfernsehen TRT sagte. Die Türkei fürchtet wegen des Projekts um ihre Rolle als Transitland für Gaslieferungen aus Russland und Mittelasien nach Europa.
Vor Kreta oder Kastelorizo könnte es nun zum Showdown kommen. Staatschef Erdogan kündigte in einem Interview mit dem Nachrichtensender A Haber bereits Gas-Explorationen bei diesen beiden griechischen Inseln an. Es dürfte nur eine Frage weniger Wochen sein, bis die Türkei in den umstrittenen Seegebieten mit Forschungs- und Bohrschiffen aufkreuzt. Wahrscheinlich ist, dass Erdogan ein Forschungsschiff
von Einheiten der Kriegsmarine, vielleicht auch von Kampfjets eskortieren lässt. Dann bekäme die Konfrontation eine gefährliche Dimension.
Athen setzt vorerst auf diplomatische Initiativen. Die Türkei sei mit ihren Gebietsansprüchen international isoliert, sagt Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. Man glaube nicht, dass die Entwicklung „außer Kontrolle“geraten werde, heißt es in der Umgebung des Premiers.
Aber wie schnell eine solche Krise eine gefährliche Eigendynamik entwickeln kann, zeigte sich Ende Januar 1996 beim Streit um die von der Türkei beanspruchten ImiaFelseninseln. Auf dem Höhepunkt der Konfrontation lagen sich vor den Inseln 15 griechische und 18 türkische Kriegsschiffe gefechtsbereit gegenüber. Erst in letzter Minute konnte der damalige US-Präsident Bill Clinton in nächtlichen Telefonaten mit Ankara und Athen den Konflikt entschärfen.