Tod auf der perfekten Piste
Unglück Zwei Familien wedeln in einem gesicherten, bestmöglich präparierten Skigebiet den Hang hinunter. Dann löst sich eine Lawine. Drei Menschen sterben. Kann das überall passieren?
Bozen/Kempten Zwei Familien fahren bei Sonnenschein eine Skiabfahrt in Südtirol hinunter. Die Piste ist gesichert und perfekt präpariert. Auf einmal löst sich am sogenannten Teufelseck im Schnalstal eine Lawine, ein riesiges Schneebrett – und begräbt die Sportler auf der Piste unter sich. Zwei sieben Jahre alte Mädchen und eine 35-jährige Frau sterben. Dabei war die Piste ganz normal freigegeben, von einer Gefahr nichts zu ahnen.
Die Frau und eines der Mädchen stammen aus Hauteroda im Kyffhäuserkreis in Thüringen, erklärt die italienische Polizei. Die Mutter – eine Soldatin – starb sofort. Ihre Tochter wurde noch mit einem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus in Trient gebracht – dort erlag sie dann ihren Verletzungen.
Wie konnte es zu so einem Unglück mitten auf einer Piste kommen? Wer auf Skitouren abseits der Piste geht, muss mit Lawinen rechnen und ist meist mit Piepsern oder anderen Such- und Ortungsgeräten ausgerüstet. So starb ebenfalls am ein deutscher Tourengänger in einer Lawine in der Schweiz. Der Mann aus Baden-Württemberg hatte mit seinem Sohn auf dem Weg zum Stieltihorn die Skipisten verlassen. Auf einer Höhe von etwa 2700 Metern wurde der Vater von einer Lawine mitgerissen. In den Dolomiten in einer Tourenregion starb am Sonntag ein italienischer Skifahrer in einer Lawine.
Wie sicher sind die Pisten in den Alpen? Diese Frage tauchte am Wochenende immer wieder auf. Im Allgäu etwa herrschte in Hochlagen über 2000 Metern am Sonntag trotz insgesamt weniger Schnee immer noch die zweithöchste Lawinenwarnstufe drei („erheblich“). Aus juristischer Sicht ist die Sache klar: Ein Bergbahnbetreiber, der Pisten für den Wintersport anbietet, hat für die markierten Abfahrten eine Verkehrssicherungspflicht. Das heißt, dass er für die Zeit des angekündigten Betriebs die Benutzer der Anlagen und Abfahrten vor „atypischen Gefahren“zu sichern hat. Das gilt auch für eine mögliche Lawinengefahr. Wenn die für eine Abfahrt besteht, muss der Liftbetreiber die Piste sperren. Klingt einleuchtend, ist in der Praxis aber nicht immer ganz einfach. Eine Spurensuche führt nach München zum Landesamt für Umwelt. Mit der viel beschworenen weißen Gefahr beschäftigt sich der Lawinenwarndienst seit 52 Jahren. Neben der Lawinenwarnzentrale gibt es in 34 Gemeinden am bayerischen Alpenrand örtliche Lawinenkommissionen. Sie bestehen aus erfahrenen Leuten vor Ort, die sich mit der Entstehung von Lawinen und mit den örtlichen Besonderheiten auskennen. Bei kritischen Situationen treten diese Ehrenamtlichen regelmäßig zusammen und beurteilen die Lage. Sie empfehlen bei Gefahr die Sperrung von Skiabfahrten, von Straßen und Wegen oder sogar ganzen Tälern. Im Extremfall kann es sogar erforderlich sein, Häuser zu räumen.
Angeordnet werden Sperrungen aber immer von demjenigen, der verkehrssicherungspflichtig ist – bei einer Straße ist das häufig die Gemeinde, bei Pisten der Bergbahnbetreiber. Bergführer und BergwachtMann Thomas Hafenmair aus Roßhaupten im Ostallgäu bewertet dieSamstag ses System als „sehr gut durchdacht“. Die örtlichen Lawinenkommissionen nennt er „KompetenzExpertenteams“. Fachleute in Sachen Lawinengefahr gebe es natürlich auch bei den Bergbahnen. Sie lösen bei Gefahr Lawinen durch Sprengungen gezielt aus.
Dass sich das System bewährt hat, zeigt ein Blick in die Statistik: Seit es den Lawinenwarndienst gibt – seit 1967 – hat es in Bayern auf freigegebenen Pisten und Abfahrten keinen tödlichen Lawinenunfall gegeben. „Freilich spielte bei dieser erfreulichen Bilanz auch ein bisschen das Glück mit“, heißt es in einer Veröffentlichung des Warndienstes. Denn ein „gewisses Restrisiko“lasse sich nie ganz ausschalten. Auf freigegebenen Pisten und Abfahrten dürfe der Wintersportler natürlich „mit Recht erwarten“, vor Lawinen sicher zu sein. Alpinexperte Hafenmair bezeichnet das Restrisiko eines Lawinenunfalls auf gesicherten Pisten als „verschwindend gering“.
Im Südtiroler Fall ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft Bozen. Gegen wen und weswegen? Niemand weiß es bisher.