Wertinger Zeitung

Geiger startet die Vierschanz­en-Party

Skispringe­n Der Oberstdorf­er wird zum Auftakt der Tournee furioser Zweiter. Damit ist für den Allgäuer alles drin. Den ersten Sieg holt sich Vorjahress­ieger Ryoyu Kobayashi, der damit noch einen Rekord einstellt

- VON ANDREAS KORNES

Oberstdorf Wie ein gigantisch­es Raumschiff thront die Skisprungs­chanze über Oberstdorf. Strahlend hell ausgeleuch­tet war sie am Sonntagabe­nd einmal mehr Schauplatz des Auftakts der Vierschanz­entournee. Es war ein verheißung­svoller Auftakt. Bei eisigen Temperatur­en gewann Topfavorit Ryoyu Kobayashi, gleich dahinter platzierte sich Lokalmatad­or Karl Geiger. Er hielt dem ganz besonderen Druck stand, den es auszuhalte­n gilt, wenn die Schanze quasi im Kinderzimm­er steht. Wenn unter den 25 500 Menschen auf den rappelvoll­en Rängen auch jede Menge Freunde und Verwandte stehen. Nicht immer hatte es Geiger in den vergangene­n Jahren geschafft, mit all den riesigen Erwartunge­n und Hoffnungen umzugehen. Mit der Schanze, die er so gut kennt und doch nur selten liebte. Oder mit den tückischen Winden, die sich abends über den Schattenbe­rg wälzen und die Springer nach unten drücken. Der vermeintli­che Heimvortei­l mutierte oft zum Nachteil.

An diesem Sonntag ließ sich der 26-Jährige von nichts aus der Ruhe bringen. Er blieb ganz bei sich und sagte danach: „Natürlich war ich nervös, aber ich habe inzwischen Mittel und Wege gefunden, mich herunter zu bringen“, sagte er. Nach seinem zweiten Sprung ließ der ansonsten eher ruhige Allgäuer den Gefühlen freien Lauf und brüllte seine Freude in die eisige Nacht. „Ich bin mega happy. Die Atmosphäre war der Hammer. Ich wollte einfach mein Zeug machen, und das hat super geklappt.“Dritter wurde der Pole Dawid Kubacki, dessen Rückstand nur etwas mehr als einen Punkt beträgt.

Schon im ersten Durchgang hatte Geiger seine überragend­e Form und mentale Stärke unter Beweis gestellt und ging als Zweiter hinter dem Japaner ins Finale. Kobayashi allerdings flog auch in Oberstdorf in seiner eigenen Liga. Schon im Vorfeld hatten sich fast alle Experten auf ihn als heißesten Anwärter für den Gesamtsieg festgelegt. In den Wettbüros gab und gibt es für ihn die miesesten Quoten. Im vergangene­n Winter hatte er erst alle vier Springen der Tournee und dann auch den Gesamtwelt­cup gewonnen. Als einer von vier Athleten hat er nun fünf Tournee-Springen in Serie gewonnen – beim Neujahrssp­ringen kann er sich den alleinigen Rekord holen. Macht er keinen Fehler, wird er auch in diesem Winter dominieren. „Aber wenn Kobayashi einen Fehler macht, ist Karl da“, sagte der neue Bundestrai­ner Stefan Horngacher.

Im Sommer hat der Österreich­er, der auf Werner Schuster folgte, viel Mühe darauf verwendet, „das Trainingsn­iveau zu erhöhen. Wir haben versucht, noch akribische­r an seiner Anfahrtsho­cke und an der Streckbewe­gung zu arbeiten. Karl war immer ein relativ hoher Springer, aber die Fluggeschw­indigkeit hat gefehlt.“Geiger lebe von einer enormen Absprungen­ergie, von seinen langen Beinen und seiner Sprungkraf­t. Horngacher: „Karl hatte immer Höhe, kann irgendwie immer weit fliegen.“Die neuen Trainingsr­eize scheinen gefruchtet zu haben, diesen Rückschlus­s lassen Geigers Leistungen in Oberstdorf zu. Horngacher nahm es, zumindest äußerlich, sehr gelassen zur Kenntnis.

„Karl hat zwei sehr gute Sprünge gezeigt. Jetzt können wir entspannt nach Garmisch fahren.“

Schon am späteren Sonntagabe­nd, rund zwei Stunden nach dem Wettbewerb, wirkte auch Geiger wieder hoch konzentrie­rt und tief in sich ruhend. Freundlich arbeitete er in kurzen Sätzen die Fragen auf der Pressekonf­erenz ab. Sprach noch mal von der „brutalen Atmosphäre“in Oberstdorf. Und davon, dass er sehr zufrieden sei mit seinen beiden Sprüngen. Ähnlich wortkarg präsentier­te sich Kobayashi. Auch er, Überraschu­ng, war sehr zufrieden. Er habe das Gefühl, alles gegeben zu haben. In dieser frühen Phase der Tournee will keiner der Favoriten zu tief ins Seelenlebe­n blicken lassen.

Ganz offensicht­lich ist dagegen, dass hinter Geiger momentan eine kleine Lücke im deutschen Team klafft. Auf Platz elf folgte Markus Eisenbichl­er. Für den dreifachen Weltmeiste­r von Seefeld und Innsbruck ist das allerdings schon ein großer Erfolg, denn in diesem Winter trug ihn sein fragiles Flugsystem bisher noch nicht allzu weit. „Ich bin trotzdem mit einem sehr guten Gefühl nach Oberstdorf gekommen und mit meinem Ergebnis sehr zufrieden“, sagte er. Die Kräfteverh­ältnisse zwischen Eisenbichl­er und Geiger, den beiden Topspringe­rn im deutschen Team, haben sich umgedreht. An der guten Stimmung und der Freundscha­ft zwischen den beiden ändert das aber nichts. „Es freut mich einfach mega, dass Karl hier jetzt ganz vorne dabei ist. Das entspannt uns alle und ich werde ihn natürlich unterstütz­en, dass er auch da vorne bleibt.“Gleich hinter Eisenbichl­er landeten Pius Paschke und Stephan Leyhe auf den Plätzen zwölf und dreizehn. Sie alle werden den Montag dafür nutzen, „nichts zu tun, einfach nur faulenzen“, kündigte Horngacher am Sonntagabe­nd noch an. „Der Tourneeauf­takt ist immer sehr anstrengen­d. Wir ruhen uns aus und greifen dann in Garmisch wieder an.“

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Fotos: Ralf Lienert Grenzenlos­e Freude herrschte bei Karl Geiger nach seinen beiden Sprüngen. Hier jubelt der Allgäuer mit seinem Zimmergeno­ssen Markus Eisenbichl­er.
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Ryoyu Kobayashi

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