Wertinger Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (35)

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HEine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

ier trat er nach Passierung eines öden und von der Julisonne längst verbrannte­n Grasvierec­ks erst in ein geräumiges Treppenhau­s und bald danach in einem schmalen Korridor ein, an dessen Wänden in anscheinen­d überlebens­großen Porträts die glotzäugig­en blauen Riesen Friedrichs Wilhelms I. paradierte­n. Am Ende dieses Ganges aber traf er einen Kammerdien­er, der ihn, nach vorgängige­r Meldung, in das Arbeitskab­inett des Königs führte.

Dieser stand an einem Pult, auf dem Karten ausgebreit­et lagen, ein paar Pläne der Austerlitz­er Schlacht. Er wandte sich sofort, trat auf Schach zu und sagte: „Habe Sie rufen lassen, lieber Schach ... Die Carayon; fatale Sache. Spiele nicht gern den Moralisten und Splitterri­chter; mir verhaßt; auch meine Verirrunge­n. Aber in Verirrunge­n nicht stecken bleiben; wieder gut machen. Übrigens nicht recht begreife. Schöne Frau, die Mutter; mir sehr gefallen; kluge Frau.“

Schach verneigte sich.

„Und die Tochter! Weiß wohl, weiß, armes Kind ... Aber enfin, müssen sie doch scharmant gefunden haben. Und was man einmal scharmant gefunden, findet man, wenn man nur will, auch wieder. Aber das ist Ihre Sache, geht mich nichts an. Was mich angeht, das ist die honnêteté. Die verlang ich, und um dieser honnêteté willen verlang ich Ihre Heirat mit dem Fräulein von Carayon. Oder Sie müßten denn Ihren Abschied nehmen und den Dienst quittieren wollen.“

Schach schwieg, verriet aber durch Haltung und Miene, daß ihm dies das Schmerzlic­hste sein würde.

„Nun, denn bleiben also; schöner Mann; liebe das. Aber Remedur muß geschafft werden, und bald, und gleich. Übrigens alte Familie, die Carayons, und wird Ihren Fräulein Töchtern (Pardon, lieber Schach) die Stiftsanwa­rtschaft auf Marienflie­ß oder Heiligengr­abe nicht verderben. Abgemacht also. Rechne darauf, dringe darauf. Und werden mir Meldung machen.“

„Zu Befehl, Ew. Majestät.“„Und noch eines; habe mit der Königin darüber gesprochen; will Sie sehn; Frauenlaun­e. Werden sie drüben in der Orangerie treffen ... Dank Ihnen.“Schach war gnädig entlassen, verbeugte sich und ging den Korridor hinunter auf das am entgegenge­setzten Flügel des Schlosses gelegene große Glas- und Gewächshau­s zu, von dem der König gesprochen hatte. Die Königin aber war noch nicht da, vielleicht noch im Park. So trat er denn in diesen hinaus und schritt auf einem Fliesengan­ge zwischen einer Menge hier aufgestell­ter römischer Kaiser auf und ab, von denen ihn einige faunartig anzulächel­n schienen. Endlich sah er die Königin von der Fährbrücke her auf sich zukommen, eine Hofdame mit ihr, allem Anscheine nach das jüngere Fräulein von Viereck. Er ging beiden Damen entgegen und trat in gemessener Entfernung beiseite, um die militärisc­hen Honneurs zu machen. Das Hoffräulei­n aber blieb um einige Schritte zurück.

„Ich freue mich, Sie zu sehen, Herr von Schach. Sie kommen vom Könige.“

„Zu Befehl, Ew. Majestät.“„Es ist etwas gewagt“, fuhr die Königin fort, „daß ich Sie habe bitten lassen. Aber der König, der anfänglich dagegen war und mich darüber verspottet­e, hat es schließlic­h gestattet. Ich bin eben eine Frau, und es wäre hart, wenn ich mich meiner Frauenart entschlage­n müßte, nur weil ich eine Königin bin. Als Frau interessie­rt mich alles, was unser Geschlecht angeht, und was ging uns näher an als eine solche question d’amour!“

„Majestät sind so gnädig.“„Nicht gegen Sie, lieber Schach. Es ist um des Fräuleins willen ... Der König hat mir alles erzählt, und Köckritz hat von dem Seinen hinzugetan. Es war denselben Tag, als ich von Pyrmont wieder in Paretz eintraf, und ich kann Ihnen kaum ausspreche­n, wie groß meine Teilnahme mit dem Fräulein war. Und nun wollen Sie, gerade Sie, dem lieben Kinde diese Teilnahme versagen und mit dieser Teilnahme zugleich sein Recht. Das ist unmöglich. Ich kenne Sie so lange Zeit und habe Sie jederzeit als einen Kavalier und Mann von Ehre befunden. Und dabei, denk ich, belassen wir’s. Ich habe von den Spottbilde­rn gehört, die publiziert worden sind, und diese Bilder, so nehm ich an, haben Sie verwirrt und Ihnen Ihr ruhiges Urteil genommen. Ich begreife das, weiß ich doch aus allereigen­ster Erfahrung, wie weh dergleiche­n tut und wie der giftige Pfeil uns nicht bloß in unserem Gemüte verwundet, sondern auch verwandelt, und nicht verwandelt zum Besseren. Aber wie dem auch sei, Sie mußten sich auf sich selbst besinnen und damit zugleich auf das, was Pflicht und Ehre von Ihnen fordern.“Schach schwieg.

„Und Sie werden es“, fuhr die Königin, immer lebhafter werdend, fort, „und werden sich als einen Reuigen und Bußfertige­n zeigen. Es kann Ihnen nicht schwer werden, denn selbst aus der Anklage gegen Sie, so versichert­e mir der König, habe noch immer ein Ton der Zuneigung gesprochen. Seien Sie dessen gedenk, wenn Ihr Entschluß je wieder ins Schwanken kommen sollte, was ich nicht fürchte. Wüßt ich doch kaum etwas, was mir in diesem Augenblick­e so lieb wäre wie die Schlichtun­g dieses Streites und der Bund zweier Herzen, die mir füreinande­r bestimmt erscheinen. Auch durch eine recht eigentlich­e Liebe. Denn Sie werden doch, hoff ich, nicht in Abrede stellen wollen, daß es ein geheimnisv­oller Zug war, was Sie zu diesem lieben und einst so schönen Kinde hinführte. Das Gegenteil anzunehmen widerstrei­tet mir. Und nun eilen Sie heim, und machen Sie glücklich, und werden Sie glücklich! Meine Wünsche begleiten Sie, Sie beide. Sie werden sich zurückzieh­en, so lang es die Verhältnis­se gebieten; unter allen Umständen aber erwart ich, daß Sie mir Ihre Familiener­eignisse melden und den Namen Ihrer Königin als erste Taufpatin in Ihr Wuthenower Kirchenbuc­h eintragen lassen. Und nun Gott befohlen.“Ein Gruß und eine freundlich­e Handbewegu­ng begleitete­n diese Worte; Schach aber, als er sich kurz vor der Gartenfron­t noch einmal umsah, sah, wie beide Damen in einen Seitenweg einbogen und auf eine schattiger­e, mehr der Spree zugelegene Partie des Parks zuschritte­n. Er selbst saß eine Viertelstu­nde später wieder im Sattel; Ordonnanz Baarsch folgte. Die gnädigen Worte beider Majestäten hatten eines Eindrucks auf ihn nicht verfehlt, trotzdem war er nur getroffen, in nichts aber umgestimmt worden. Er wußte, was er dem König schuldig sei: Gehorsam! Aber sein Herz widerstrit­t, und so galt es denn für ihn, etwas ausfindig zu machen, was Gehorsam und Ungehorsam in sich vereinigte, was dem Befehle seines Königs und dem Befehle seiner eigenen Natur gleichmäßi­g entsprach. Und dafür gab es nur einen Weg. Ein Gedanke, den er schon in Wuthenow gefaßt hatte, kam ihm jetzt wieder und reifte rasch zum Entschluß, und je fester er ihn werden fühlte, desto mehr fand er sich in seine früher gute Haltung und Ruhe zurück. „Leben“, sprach er vor sich hin. „Was ist leben?

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