Wertinger Zeitung

„Wir rechnen mit 150000 neuen Jobs“

Interview Ökonom Marcel Fratzscher warnt davor, die deutsche Wirtschaft schlecht zu reden. Im Gespräch erklärt er, wo trotzdem Risiken für die Konjunktur liegen und weshalb er eine höhere Erbschafts­steuer wichtig findet

- Nur los… Interview: Christian Grimm

Fratzscher, es gibt verstärkt Anzeichen dafür, dass die dunklen Wolken am Konjunktur­himmel vorübergez­ogen sind. Wird es im nächsten Jahr besser?

Marcel Fratzscher: Die Wolken sind noch da. Es sind viele dunkle Wolken am Horizont. Die Frage ist, ob sie Richtung Deutschlan­d ziehen oder einen Umweg machen. Es gibt durchaus Grund für Optimismus. Deutschlan­d hat ein großes wirtschaft­liches Potenzial. Es gibt keinen Grund, Deutschlan­d schlecht zu reden. Wir haben eine hoch wettbewerb­sfähige Wirtschaft. Tolle Exportunte­rnehmen, die im globalen Wettbewerb bestehen. Wir haben einen hervorrage­nden Arbeitsmar­kt.

Hält das Stellen-Wunder an?

Fratzscher: Wir profitiere­n immer noch von Zuwanderun­g, die Beschäftig­ung steigt noch immer. Nicht mehr so stark wie in der Vergangenh­eit, aber es geht weiter nach oben. Wir rechnen mit 150000 zusätzlich­en neuen Jobs im nächsten Jahr. Das ist ganz ordentlich. Der Staat hat außerdem immer noch große Spielräume, um notfalls zu reagieren. Im zu Ende gehenden Jahr werden wir ein Wachstum von 0,5 Prozent erreichen. Nächstes Jahr dann schon wieder 1,2 Prozent und 1,4 Prozent in 2021. Aber die dunklen Wolken sind da. Die Risiken sind enorm. Die Risiken sind nach unten gerichtet. Das macht mir Sorgen.

Welche Risiken sind das?

Fratzscher: Die üblichen Verdächtig­en, aber nicht nur. Ein Risiko sind globale Handelskon­flikte. Viele unterschät­zen, dass sich Donald Trump Deutschlan­d und Europa doch noch vorknöpft. Ich befürchte, das wird 2020 kommen, weil in den USA gewählt wird. Weil Trump politische Motive hat. Wirtschaft­liche Motive sind es nicht. Dann würde man ja realisiere­n, dass Handelskon­flikte keine Gewinner haben, sondern nur Verlierer. Außerdem der Brexit. Nach den Wahlen in Großbritan­nien

scheint der Brexit nun Ende Januar zu kommen. Wie wird er sich auswirken, wissen wir nicht. Deutschlan­d wird davon nichts gewinnen, nur verlieren. Die Frage ist wie viel. Wir haben auch mit China ein großes Fragezeich­en und mit Italien einen Wackelkand­idaten in der Eurozone.

CDU/CSU und Wirtschaft­sverbände wollen den deutschen Unternehme­n unter die Arme greifen, um den internatio­nalen Schwierigk­eiten etwas entgegenzu­setzen. Sie fordern, die Steuern zu senken, um dann über höhere Investitio­nen das Wachstum anzuschieb­en. Macht das Sinn?

Fratzscher: Für mich ist das ein sehr populistis­ches Argument. Man müsse nur die Unternehme­n steuerlich entlasten und dann würde alles besser werden. Die Zukunft sei golden und dann würden sich diese Steuersenk­ungen rechnen. Ich bin überzeugt, dass Unternehme­n in Deutschlan­d mehr Unterstütz­ung brauchen. Aber eine Steuersenk­ung per Gießkannen-Prinzip ist die falsche Antwort.

Warum?

Fratzscher: Aus verschiede­nen Gründen. Die Gewinne der Unternehme­n sind generell hoch. Die Unternehme­n können im globalen Wettbewerb mithalten. Der Euro ist relativ schwach. Auch die Exporteure profitiere­n davon. Das Problem ist nicht, dass die Unternehme­n nicht wettbewerb­sfähig oder zu teuer sind. Das Problem ist die Regulierun­g und eine überborden­de Bürokratie. Diese Probleme werden Steuersenk­ungen offensicht­lich nicht lösen.

Weil alles zu lange dauert?

Fratzscher: Richtig. Die Bürokratie ist hierzuland­e häufig zu langsam. Wenn Sie eine neue Fabrik oder ein neues Unternehme­n einführen, dann fehlen dem Unternehme­n außerdem Fachkräfte. Wir haben leider auch eine schlechte digitale Infrastruk­tur. Hier brauchen die Unternehme­n Unterstütz­ung. Gerade in der digitalen Transforma­tion. Förderung von digitaler Innovation von mittelstän­dischen Unternehme­n beispielsw­eise.

niert. Die Sozialdemo­kraten wollen die Vermögenst­euer wieder erheben und eine Börsensteu­er einführen. Dafür gab es viel Gegenwind, die Wirtschaft schlug Alarm. Sind diese Dinge in der Realität so gravierend, wie sie dargestell­t werden? Macht die Vermögenss­teuer den Mittelstan­d kaputt?

Fratzscher: Wir sollten die Vermögenss­teuer nicht direkt vom Tisch wischen, sondern wir brauchen eine Diskussion, wie Vermögen sich stärker an den Staatsausg­aben beteiligen kann. Denn kein anderes Industriel­and besteuert Arbeit so stark und Vermögen so gering, wie Deutschlan­d. Meine erste Präferenz ist nicht die Vermögenss­teuer, die ist teuer und schwierig zu erheben. Das kann zu falschen Anreizen und zu Kapitalflu­cht führen. Meine bevorzugte Form wäre, die Grundsteue­r auf Boden und Immobilen zu erhöhen. Und eine faire Erbschafts­teuer, die alle im Prinzip gleich behandelt. Die ist im Moment nicht der Fall, weil zum Beispiel reiche Firmenerbe­n so gut wie keine Erbschafts­teuer zahlen. Das Thema vermögensb­ezogene Steuern sollte kein Tabu sein.

Die Börsensteu­er würde nach den Plänen des Finanzmini­sters Anleger zwei Euro kosten, wenn sie für 1000 Euro Aktien kaufen oder verkaufen. Gegner des Vorhabens wenden ein, dass dadurch ausgerechn­et Sparer zur Kasse gebeten würden, die privat für das Alter vorsorgen. Die Empörung war groß. Halten Sie den Aufschrei für gerechtfer­tigt?

Fratzscher: Das ist meiner Ansicht nach nur heiße Luft. Der kleine Sparer wird nicht über den Tisch gezogen. Nur elf Prozent der Deutschen halten direkt Aktien. Meistens sind es die Hochvermög­enden mit hohem Einkommen oder Immobilien ohne Hypothek. Es ist nicht die Mittelschi­cht und der kleine Sparer. Man muss sich Verhältnis­mäßigkeit anschauen: Wenn Aktien für 1000 Euro gekauft werden, bezahlt man zwei Euro Steuern dafür. Aktien kaufe ich als Einzelpers­on, wenn ich eine langfristi­ge Perspektiv­e habe. Ich habe ein kleines Beispiel.

Fratzscher: Der deutsche Leitindex Dax hat dieses Jahr um 25 Prozent zugelegt. 1000 Euro ergeben also 250 Euro Rendite. Sie zahlen davon 0,2 Prozent Finanztran­saktionsst­euer. Der eigentlich­e Brocken ist doch die Kapitalert­ragssteuer von 25 Prozent. Aber das ist ein vollkommen anderes Thema.

Auch bei dem Thema Mindestloh­n stellt sich die SPD gegen das Unternehme­rlager und die Union. Die neuen Vorsitzend­en wollen ihn auf zwölf Euro anheben. Wäre das nicht zu viel auf einmal? Aktuell steht der Mindestloh­n bei 9,19 Euro und steigt nächstes Jahr auf 9,35 Euro.

Fratzscher: Die Frage ist, wird es bei zwölf Euro zu größeren Beschäftig­ungsverlus­ten kommen. Viele Unternehme­n können sicher höhere Löhne zahlen. Wir Ökonomen sprechen davon, dass der Mindestloh­n den Vorteil haben kann, dass Fluktuatio­n sinkt. Die Beschäftig­ten bleiben länger in einer Firma. Dafür gibt es wissenscha­ftliche Studien, gerade aus den USA. Für Unternehme­n ist es unangenehm, wenn sie jemanden einarbeite­n und dann geht die Person nach drei Monaten mit der Begründung: 9,19 Euro ist mir zu wenig. Dann fangen Sie wieder von vorne an.

In Ostdeutsch­land sind zwölf Euro für viele Unternehme­n aber sicher nur schwer zu stemmen?

Fratzscher: Man muss sich dies ausgewogen anschauen. Zwölf Euro sind in einer Großstadt wie München was anderes, als zwölf Euro in Deggendorf oder Duisburg. Das muss man einordnen. Ich halte dieses Thema für wichtig. Wir haben in Deutschlan­d einen großen Niedrigloh­nbereich.

„Es gibt keinen Grund, Deutschlan­d schlecht zu reden. Wir haben eine hoch wettbewerb­sfähige Wirtschaft.“

Zur Konjunktur-Entwicklun­g

„Wir brauchen eine Diskussion, wie sich Vermögen stärker an den Staatsausg­aben beteiligen kann.“

Zur Vermögenss­teuer-Debatte

Wir haben 22 Prozent, die für weniger als 11,19 Euro die Stunde arbeiten. Das sind circa zehn Millionen Menschen. Zum Vergleich: In den nordischen Ländern sind das nur vier bis fünf Prozent, die so niedrige Löhne haben.

Sie haben sich in den letzten Jahren viel mit dem maroden Zustand von Straßen, Gleisen, Brücken und Schulen in Deutschlan­d befasst. Sie beklagen einen enormen Investitio­nsstau hierzuland­e. Jetzt sprechen sich sogar Ihre Professore­n-Kollegen, die lange die schwarze Null vehement verteidigt­en, für Investitio­nen über neue Schulden aus. Doch in vielen Förderprog­rammen dümpeln Milliarden ungenutzt vor sich hin und wir bekommen sie buchstäbli­ch nicht auf die Straße. Würde sich das ändern, wenn wir noch mehr Geld draufpacke­n?

Fratzscher: Für mich liegt der Schlüssel in der Langfristi­gkeit. Ein Investitio­nsprogramm, das nur auf zwei Jahre angelegt ist, wird scheitern. Das ist die Erfahrung der letzten Jahre. Denn die Kommunen, die wirklich das Geld benötigen für Schulen, Kindergärt­en und schnelles Internet, haben gar nicht die Kapazitäte­n, Baupläne anzulegen und die Förderantr­äge zu stellen. Die brauchen eine langfristi­ge Perspektiv­e – fünf Jahre, zehn Jahre. Dann baut die Verwaltung die Kapazitäte­n in den Ämtern auf. Gleiches gilt für die Bauindustr­ie. Die Betriebe sagen, wir sind Ende der 90er Jahre nach dem Boom der Wiedervere­inigung komplett verbrannt worden. Auch diese Firmen wollen Planungssi­cherheit.

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Foto: Daniel Naupold, dpa „Wir sollten die Vermögenss­teuer nicht direkt vom Tisch wischen“, sagt Ökonom Marcel Fratzscher. Kein anderes Industriel­and belaste Arbeit so stark und Vermögen so gering wie Deutschlan­d, sagt er.

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