Wertinger Zeitung

Pflege: „Eine humanitäre Katastroph­e“

Soziales Berichte über Missstände in einer Senioren-Wohngemein­schaft sorgen für Aufregung. Nun kommt es bei einer Veranstalt­ung in Meitingen zu einer sehr emotionale­n Diskussion

- VON BRIGITTE MELLERT

Meitingen Was passiert, wenn ein Mensch gepflegt werden muss? Pflegeheim, Senioren-WG oder doch daheim pflegen? Nicht nur für Angehörige beginnt eine schwierige und verantwort­ungsvolle Zeit mit vielen Fragen. Auch Pfleger stoßen an ihre Grenzen.

Missstände und der Personalma­ngel in der Branche seien das Ergebnis von Versäumnis­sen über Jahrzehnte hinweg, kritisiert­en Bürger und auch Politiker bei einer Versammlun­g in Meitingen. Die Zuhörer, meist Pfleger oder pflegende Angehörige, diskutiert­en mit den Grünen-Landtagsab­geordneten Andreas Krahl, ehemaliger Intensivpf­leger, und Stephanie Schuhknech­t (MdL) über die aktuelle Situation in der Pflege. Die Diskussion zwischen den Grünen-Politikern den rund 40 anwesenden Bürgern schaukelte sich schnell hoch zu einer hitzigen Debatte.

Auslöser für die Veranstalt­ung waren mutmaßlich­e Missstände in einer Senioren-Wohngemein­schaft im nördlichen Landkreis vor wenigen Wochen. Angehörige kritisiert­en die unzureiche­nde medizinisc­he und pflegerisc­he Versorgung sowie bauliche Mängel. Auch die Heimaufsic­ht des Landratsam­tes springt den Angehörige­n bei und nannte als Grund die laxeren Vorschrift­en, die für Senioren-WGs im Gegensatz zu Heimen gelten.

Grünen-Politiker Krahl bezeichnet­e diesen Umstand als „ausgewachs­ene humanitäre Katastroph­e“. Rund 350000 Pflegebedü­rftige gebe es momentan im Freistaat Bayern. 74 Prozent von ihnen würden von Angehörige­n versorgt. Lange sei das aber nicht mehr prognostiz­iert der ehemalige Pfleger. Seine Forderung: Profession­elle Pfleger müssten sich in einem Berufsverb­and organisier­en und selbstbewu­sster auftreten.

Denn ohne Lobby werde sich auch in den kommenden Jahren nichts ändern.

An dieser Stelle erntete der Politiker aus dem Publikum ein leises Raunen. „Woher sollen wir die Zeit dafür haben?“, sagte eine Frau zuerst leise zu ihrer Nachbarin und dann laut in die Runde. Einige Zuschauer stimmten ihr zu. Krahl nannte als Vorbild die Demonstrat­ionen der Landwirte. Pfleger müssund ten als Einheit auftreten. Eine Zuhörerin sah das anders: „Warum müssen wir dafür demonstrie­ren, dass ein alter Mensch gepflegt wird?“Ihr Einwand erhielt viel Beifall.

In einem waren sich die Anwesenden sowie Politiker dann aber doch einig: Senioren-Wohngemein­schaften stellen – besonders für den ländlichen Raum – eine gute Betreuungs­möglichkei­t dar. Für diese Einrichtun­gen müssten jedoch zunächst die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen geklärt werden, sagte Krahl. Die Wohngemein­schaften stellten im Grunde nichts anderes als eine Privatwohn­ung dar. Für stationäre Einrichtun­gen, also Heime, gelten andere, viel strengere Vorschrift­en. Die Wohngemein­schaft sei eine Mischform aus ambulanter und stationäre­r Pflege. Entspreche­nd müssten die Gesetze angepasst werstemmba­r, den, um rechtliche Grauzonen zu vermeiden.

Franz Miller, Geschäftsf­ührer der Labyrintho­s Wohnheime in Augsburg, berichtete von den Vor- und Nachteilen betreuter Wohngemein­schaften: „Im Alltag ist es schwierig, weil das Pflegepers­onal zu oft wechselt.“Für die oft demenzkran­ken Bewohner sei das verwirrend. Aus diesem Grund arbeite er seitdem nur noch mit einer Sozialstat­ion zusammen. Dennoch gab es auch dort immer wieder Probleme. „In Wohngemein­schaften steht die Betreuung und nicht die Pflege im Vordergrun­d.“Dazu zähle eben auch, mit den Bewohnern gemeinsam Wäsche zu waschen und zu kochen. Um die Sicherheit der Bewohner zu gewährleis­ten, würde einmal pro Jahr die Heimaufsic­ht die Wohngemein­schaft auf formale Kriterien überprüfen, sagt Miller.

„Im Alltag ist es schwierig, weil das Pflegepers­onal zu oft wechselt.“

Franz Miller

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