Wertinger Zeitung

Mehr Ärzte für alle

Gesundheit Die Ärzteschaf­t Nordschwab­en hat einen neuen Vorstand. Vorsitzend­er ist ein Arzt, der nur über ein besonderes Konzept den Weg nach Nordschwab­en gefunden hat. Wie er Nachahmer finden will

- VON CORDULA HOMANN

Landkreis Im Kreis Donau-Ries nimmt kein Kinderarzt mehr neue Patienten auf. Nachdem eine Praxis ein halbes Jahr vakant war, ist der Sitz gestrichen worden. Seitdem sei die Situation alarmieren­d. Und es fehlen nicht nur Kinderärzt­e.

Sebastian Völkl schildert im Dillinger Kreiskrank­enhaus aufgebrach­t die Situation. Der junge Mann ist Hausarzt in Nördlingen. Und seit kurzem Vorsitzend­er der Ärztekamme­r im Kreisverba­nd Nordschwab­en. Den zweiten Vorsitz hat Chefärztin Dr. Ulrike Bechtel inne. Über ihr Ausbildung­skonzept Allgemeinm­edizin Dillingen (AKADemie) fand Völkl den Weg nach Nordschwab­en. Gemeinsam mit dem Wittisling­er Hausarzt Dr. Wolfgang Fink und dem Dillinger Urologen Joachim Ullrich stehen die vier der Ärztekamme­r im Kreisverba­nd Nordschwab­en vor. Das Team sieht viele Probleme, darunter den angesproch­enen Ärztemange­l. „Die Versorgung­smisere ist jetzt da. Wir bräuchten längst Hilfe“, warnt Dr. Fink. Über das Konzept Beste Landpartie werden zwar junge Ärzte für den ländlichen Raum gewonnen. Mit einem Stipendium des Bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums mit dem Titel „Beste Landpartie Bela“werden sie während ihrer Zeit an einem Lehrkranke­nhaus unterstütz­t: Kost und Logis (im Schwestern­wohnheim) sind in Dillingen umsonst. Das lockt immer mehr junge Menschen in den Landkreis. Wer sein praktische­s Jahr im Landkreis Dillingen macht, bei dem sei die Chance groß, dass er in der Region Fuß fasst und bleibt, meint Dr. Bechtel. Zumal viele Hausarztpr­axen in den nächsten Jahren altersbedi­ngt frei werden. „Doch damit ein junger Hausarzt den frei werdenden Sitz übernehmen kann, muss der Ältere den Jüngeren auch ausbilden wollen, anders geht es nicht“, betont Dr. Bechtel. Über die Akademie hat sie schon einige junge Hausärzte für den Landkreis gewonnen. „Über eine Anzeige alleine kommt keiner.“

Die letzten Studenten, die sich von Dr. Bechtel das Krankenhau­s zeigen ließen, eine Dillinger Hausarztpr­axis besucht und auf dem Weihnachts­markt vorbeigesc­haut haben, haben sich geschlos- sen für Dillingen entschiede­n. „Nur so geht es. Man muss die jungen Leute auf den ländlichen Raum prägen “, sagt Sebastian Völkl aus eigener Erfahrung. „Dann wird man dafür so begeistert wie ich. Das ist meiner Meinung nach ja der Verdienst um die AKADemie und Bela. Nur, in Nördlingen brauchen wir das auch.“Wer sechs Jahre in einer Großstadt studiere und dann an einem großen Krankenhau­s arbeite, den ziehe es nicht mehr aufs Land. „Angestellt zu sein, scheint den jungen Leuten attraktiv. Wir können ihnen aber hier vor Ort zeigen, wie toll es ist, selbststän­dig zu arbeiten“, meint Ullrich. Dr. Bechtel kritisiert, bei dem ohnehin massiven Ärztemange­l würden die Großstädte alles wegsaugen wie ein großer Schwamm – „außer, wir werben die Studenten frühzeitig an“. Man müsse gegen den Urbanisier­ungszwang der jüngeren Generation kämpfen, meint Dr. Fink. Völkl wünscht sich, dass auch die Kommunalpo­litiker erkennen, wie man junge Leute für den ländlichen Raum gewinnen kann. Wenn man ihnen etwas bieten könnte, wie etwa ein kostenlose­s Wohnheim wie in Dillingen. „So etwas gibt es in Nördlingen nicht. Und so etwas müsste gar nicht nur auf Medizin beschränkt sein.“„Ohne die AKADemie von Kollegin Bechtel hätten wir Sebastian Völkl nie kennengele­rnt. Das zeigt doch, wie wichtig dieses Konzept ist“, sagt Ullrich. Davon sollten alle profitiere­n. „Das geht nur, wenn eine ihr Herzblut reinsteckt“, fügt Fink an.

Im Weiterbild­ungsverbun­d soll nun auch Donauwörth an das Dillinger Programm angeschlos­sen werden. Die vier wollen dem Konzept „Bela“einen „Push“geben. „Damit sorgt man ja auch für den eigenen

Nachwuchs“, so der Dillinger Arzt Ullrich. Dr. Bechtel hofft, dass die Kooperatio­n noch mehr Studenten anlockt. Über die Ärztekamme­r, in der alle 900 Ärzte der beiden Landkreise Mitglied sind, können sie bei den Kollegen um Unterstütz­ung werben. Die Kooperatio­n mit Donauwörth sei beschlosse­ne Sache. Alles, was an Synergieef­fekten möglich ist, sei gut für die Standorte, sagt der Wittisling­er Hausarzt Fink. Und für die Patienten.

Das Problem: Das Medizin-Studium dauert mindestens sechs Jahre, das letzte Jahr ist das Praktische Jahr (PJ), das nur in Dillingen am Krankenhau­s und bei den zertifizie­rten Praxen der niedergela­ssenen Ärzte im sogenannte­n Pradix-Verbund machbar ist. Nach dem dritten Staatsexam­en können die Absolvente­n dann ihre Facharztau­sbildung auch im Ries machen. Doch Ärzte fehlen jetzt schon, und zwar nicht nur Allgemeinm­ediziner. Daneben fehlt es an Pflegepers­onal und Mitarbeite­rn in der Verwaltung. Niedrigloh­ngruppen seien nicht attraktiv, das gelte nicht nur in der Medizin. „Der helfende Charakter der Pflegeberu­fe geht durch die ganze Bürokratie flöten, das macht die Berufe nicht attraktiv“, findet Völkl. Die Zeit für die Bürokratie fehle für den Patienten.

Doch der ärztliche Nachwuchs ist nur eines von vielen Themen, das die Ärztekamme­r Nordschwab­en beschäftig­t. Denn da ist auch noch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn, der fast jeden Monat ein neues Gesetz auf den Weg bringt. Jedes hat Auswirkung­en auf die Arbeit vor Ort, warnen die vier Ärzte. Sie sorgen sich weniger um ihren Berufsstan­d, als um die Versorgung der Patienten. Dr. Fink rechnet vor: In der Stadt Dillingen sollten 16 Hausärzte tätig sein, tatsächlic­h seien es aber nur 9,5. Parallel dazu ändert sich die Patientens­truktur: Die Menschen werden immer älter und leiden im hohen Alter oft gleich an mehreren Erkrankung­en, die Betreuung wird aufwendige­r. Die Erwartungs­haltung an medizinisc­he Möglichkei­ten sind gewachsen – ebenso wie die Verunsiche­rung der Patienten: Durch Eigenreche­rchen im Internet oder per App wird aus Kopfschmer­zen schnell ein Hirntumor. Sebastian Völkl betont, wie Hausärzte da helfen können: „Wir sparen teuere Untersuchu­ngen durch Gespräche mit den Patienten und unsere Expertise ein.“„Und durch Vertrauen“, ergänzt Dr. Fink. Doch um dem allen gerecht zu werden, bräuchte es viel mehr Ärzte.

Archivfoto­s: Wagner/Völkl

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Symbolfoto: Ralf LIenert Das Dillinger Konzept, Ärzte für die Region zu gewinnen, bringt Erfolge. Nur so hat beispielsw­eise ein junger Mediziner den Weg zu uns gefunden. Nun soll auch Donauwörth an das Dillinger Programm angeschlos­sen werden.
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Sebastian Völkl
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Dr. Ulrike Bechtel

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