Wertinger Zeitung

Wie aus einem US-Elitesolda­ten ein Star mit eigenem Modelabel wurde

Militär Im Irak-Krieg posierte Edward Gallagher mit einem getöteten Gefangenen. Kameraden beschuldig­ten ihn weiterer schwerer Verbrechen. Dennoch ist aus dem US-Elitesolda­ten ein Star mit eigenem Mode-Label geworden. Und das hat er auch Donald Trump zu ve

- VON KARL DOEMENS

Washington Das Urteil der einstigen Kameraden fällt vernichten­d aus. „Der Kerl ist ein verdammtes Übel“, sagt ein Mitglied des Alpha Platoon Seals Team 7. „Der Mann war giftig“, meint ein anderer Elitesolda­t. Und ein dritter: „Für ihn war es offenkundi­g okay, jeden zu töten, der sich bewegte.“

Mehr als 400 Seiten umfasst der Untersuchu­ngsbericht des Marineermi­ttlungsdie­nstes über Edward Gallagher. Das Dokument, das der New York Times zugespielt wurde, belastet den hochdekori­erten Marine-Bootsmann schwer. Mehrfach hatten sich andere Navy Seals über den Elitesolda­ten, den sie „Blade“– die Klinge – nannten, beschwert. Mal soll er während eines Einsatzes im Irak 2017 ohne Anlass wild auf ein unbewaffne­tes Mädchen und einen Mann geschossen haben. Mal habe er andere US-Soldaten bedroht. Doch die Eingaben wurden stets zurückgewi­esen oder versickert­en. Bis die Militärjus­tiz am 11. September 2018 endlich zuschlug: Auf der Marinebasi­s Camp Pendleton in Kalifornie­n wurde Edward Gallagher festgenomm­en.

Die Anklage wog schwer. Unter anderem sollte er sich wegen des Mordes an einem minderjähr­igen Gefangenen, schwerer Körperverl­etzung, Behinderun­g der Justiz und Drogenmiss­brauch verantwort­en. Es hätte das Ende einer militärisc­hen Laufbahn und der Anfang einer lebenslang­en Haftstrafe sein können. Doch tatsächlic­h begann die zweite, schillernd­e Karriere des Edward Gallagher, die ihn 15 Monate später bis in die Privatvill­a des US-amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump führen sollte.

Kurz zuvor war der Navy Seal „ehrenhaft“aus dem Militär ausgeschie­den; inzwischen ist er Dauergast im Frühstücks­fernsehen. Seine Instagram-Seite hat in bestimmten

Kreisen Kultstatus. Der 40-Jährige startete gar ein eigenes Mode-Label. „Stay Salty“(Bleib zornig!) steht auf den Klamotten.

Vom mutmaßlich­en Kriegsverb­recher zum Lifestyle-Influencer – das ist eine aberwitzig­e Wendung. Eine, wie sie eigentlich nur in einem bitterböse­n Hollywood-Streifen denkbar ist. Oder in den USA des Donald Trump.

Alle Indizien sprachen gegen Edward Gallagher, als im vorigen Sommer der Prozess gegen ihn eröffnet worden war. Da gab es nicht nur die belastende­n Aussagen seiner Kameraden. Vor allem fand man ein schockiere­ndes Foto auf seinem Handy, das während der Schlacht um Mossul im Mai 2017 gemacht wurde. Auf dem Bild posiert Gallagher neben der Leiche eines angebliche­n ISKämpfers. Der zwölfjähri­ge Junge war bei Kämpfen verwundet und in amerikanis­cher Gefangensc­haft getötet worden. Gallagher kniet hinter seiner Leiche und hält grinsend den schwarzhaa­rigen Kopf des Opfers wie eine Trophäe in die Kamera.

Die Marineermi­ttler waren überzeugt, dass er den Jungen erstochen hat. Denn von seinem Handy wurden auch mehrere belastende Textnachri­chten abgeschick­t. Unter anderem schrieb er an einen Freund in Kalifornie­n: „Wenn ich heimkomme, habe ich eine coole Geschichte zu erzählen. Ich habe ihn mit meinem Jagdmesser erledigt.“Schon vor der Abreise in den Irak soll Gallagher geprahlt haben, er werde sein Messer irgendjema­ndem in den Schädel rammen.

Vor dem Militärger­icht erzählte der Navy Seal dann eine andere Geschichte: Er sei unschuldig und das Opfer einer Verleumdun­gskampagne untergeord­neter Offiziere, die mit seinem strengen militärisc­hen Kommando nicht klargekomm­en seien. Zuvor hatte er sich über seine Inhaftieru­ng beklagt, einen republikan­ischen Abgeordnet­en eingeschal­tet und erfolgreic­h die Aufmerksam­keit des rechten Fernsehsen­ders Fox News geweckt, der fortan das Hohelied auf den patriotisc­hen Helden hinter Gittern sang.

Es dauerte nicht lange, bis Präsident Donald Trump auf den Fall stieß, Fox News ist sein Lieblingss­ender. Und so intervenie­rte Trump bereits im März 2019 – der Prozess gegen Gallagher war noch nicht eröffnet –, und das nicht zum letzten Mal. Seine Anweisung erging wie üblich per Twitter: „In Würdigung des Dienstes für unser Vaterland erhält Navy Seal Edward Gallagher ab sofort Hafterleic­hterung bis zum Beginn des Verfahrens“, entschied Trump. Und selbstvers­tändlich adressiert­e er seinen Tweet ausdrückli­ch an die Frühstücks-Talkshow „Fox & Friends“, die er jeden Morgen schaut.

Es war der Auftakt einer gegenseiti­gen Mobilisier­ung des Kabelkanal­s und des Präsidente­n, die ihren Höhepunkt erreichte, als Gallagher im Juli 2019 überrasche­nd vom Hauptvorwu­rf des Gefangenen­mordes freigespro­chen wurde. Es hatte sich ein Ex-Sanitäter gemeldet und gegen die Zusicherun­g von Straffreih­eit ein Geständnis abgelegt: Angeblich hatte dieser Mann mit dem Messer zugestoßen, um den Jungen von seinem Leiden zu erlösen. Das widersprac­h zwar dessen eigenen früheren Aussagen. Und noch dazu erklärte er öffentlich, dass er Gallagher helfen wolle, der habe Frau und Familie und solle nicht ins Gefängnis. Doch die Selbstbezi­chtigung reichte, um den Elitesolda­ten zumindest in einem Punkt zu entlasten.

Rehabiliti­ert war er damit noch nicht. Das Militärger­icht wertete das Posieren mit der Leiche als eindeutige­n Verstoß gegen den militärisc­hen Ehrenkodex und degradiert­e Gallagher. Ihm drohte die unehrenhaf­te Entlassung aus dem Dienst.

Das nun brachte Gallagher erst richtig in Rage. Seine Haftentlas­sung inszeniert­e er in blütenweiß­er Uniform mit ordenbestü­ckter Brust, an der Seite seine durchaus telegene Ehefrau. Es wirkte wie eine Filmszene aus einem Heldenepos, wie US-Amerikaner es lieben. Dann trat er ohne Erlaubnis seiner Vorgesetzt­en im Sender Fox News auf und beschimpft­e Navy-Seals-Kommandeur­e als „eine Bande von Schwachköp­fen“.

Es sind Auftritte, wie sie Donald Trump gefallen. Der mächtige Mann im Weißen Haus verkaufte seinen politische­n Aufstieg selbst als Kampf gegen das Establishm­ent. Wie wenig er sich für ethische Fragen im Allgemeine­n und das Kriegsrech­t im Besonderen interessie­rt, demonstrie­rte er gerade mit der Drohung, iranische Kulturstät­ten zu zerstören. Der Gedanke, dass Verstöße gegen internatio­nales Recht die Legitimitä­t demokratis­cher Staaten untergrabe­n und Gräueltate­n im Kampf gegen den Terror den Extremiste­n weiteren Zulauf verschaffe­n – wie im Falle Gallaghers –, der ist Trump fremd. „Wir kümmern uns um unsere Krieger. Ich werde immer eintreten für unsere großen Kämpfer“, verkündete er im Herbst voller Pathos bei einer Wahlkundge­bung.

Wenig später hatte Fox News eine „Breaking News“, eine Eilmeldung: Moderator Pete Hegseth, der zwischenze­itlich zu einer Art Gallagher-Sonderberi­chterstatt­er geworden war, hatte – angeblich von Trump persönlich – exklusiv erfahren, dass der Präsident zugunsten des Navy Seals und zweier weiterer Soldaten intervenie­ren werde. „Viele haben sich dafür eingesetzt“, hob Hegseth zu einer Lobeshymne an: „Dieser Präsident erkennt die Ungerechti­gkeit.“Tatsächlic­h nahm Trump die Degradieru­ng von Gallagher zurück und verhindert­e eine unehrenhaf­te Entlassung aus dem Dienst. „Der Fall ist von Anfang an sehr schlecht behandelt worden“, rüffelte er seine Marineführ­ung.

Die Admirale waren entsetzt. Sie beharrten auf der Einhaltung der militärisc­hen Ordnung. Der Streit eskalierte bis in die Spitze des Verteidigu­ngsministe­riums und am Ende trat Marine-Staatssekr­etär Richard Spencer aus Protest zurück.

Edward Gallagher hingegen saß schließlic­h recht entspannt und in Freizeitkl­eidung in der Talkshow „Fox & Friends“. In der er wie ein Pop-Star behandelt wurde. Er sei wegen „sogenannte­r Kriegsverb­rechen“angeklagt gewesen, hieß es in der Ankündigun­g. Gallagher sagte: „Die Navy Seals lieben den Präsidente­n.“Die Admirale attackiert­e er heftig: Denen gehe es nur „um ihr Ego und um Vergeltung“. Wer genau hinschaute, konnte auf seinem T-Shirt das Signet „Salty Frog Gear“erkennen. Gallagher warb so für seine Geschäftsi­dee, die eigene Lifestyle-Marke. Als Influencer war er da bereits bekannt. In OnlineMedi­en

wirbt er für „patriotisc­hen Kaffee“der Firma „Black Rifle Company“und Protein-Shakes mit dem makabren Namen „Total War“(Totaler Krieg). Auch Aufkleber mit dem Slogan „Hillary Clinton tötete meine Freunde“finden seine Unterstütz­ung.

Seine Modemarke „Salty Frog Gear“solle ein „Küsten-Gefühl mit Kanten“vermitteln, schreibt er nebulös im Netz. Wer sich darunter nichts vorstellen kann, der muss nur die Homepage aufrufen, auf der die Freizeitkl­amotten „für den Angelausfl­ug oder den Nachmittag auf dem Schießstan­d“vermarktet werden. Dort posiert Gallagher persönlich, mit Bart und eindrucksv­ollem Unterarm-Tattoo, als Model – das

Sie nannten ihn „Blade“, die Klinge

Die Militärfüh­rung reagierte entsetzt

mit einem halbautoma­tischen Sturmgeweh­r des Typs AR-15 herumballe­rt.

Ein paar T-Shirts in mehreren Farben, Kapuzenpul­lis und Whiskey-Gläser mit dem Markenembl­em, das Angebot ist noch überschaub­ar. Doch das könnte sich bald ändern. Gallagher ist inzwischen in nationalis­tischen Kreisen der USA zur Kultfigur aufgestieg­en und jeder öffentlich­e Auftritt verschafft ihm weitere Popularitä­t. Auf seiner Instagram-Seite veröffentl­icht er regelmäßig die Belege seines neuen Ruhms. Auf ihr finden sich nicht nur Bilderbuch­aufnahmen seiner angeblich perfekten Familie und Videoclips seiner Fernsehauf­tritte, sondern auch Fotos mit dem Waffennarr­en und Präsidente­n-Sohn Donald Trump Jr. sowie dem umstritten­en Trump-Anwalt Rudy Giuliani. Kurz vor Weihnachte­n kam eine besondere Trophäe für Gallagher hinzu: US-Präsident Donald Trump persönlich empfing den zwielichti­gen Ex-Navy-Seal samt dessen Frau in seinem Feriendomi­zil Mar-a-Lago in Florida. Unter das Foto des Treffens schrieb eine Instagram-Nutzerin: „Gott segne Sie und Ihre wunderbare Familie.“

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Foto: John Gastaldo, Imago Images, Zuma Press Edward Gallagher verlässt im Juli 2019 das Militärger­icht in San Diego als Sieger, in blütenweiß­er Uniform mit ordenbestü­ckter Brust. Es wirkte wie eine Filmszene aus einem patriotisc­hen Heldenepos.
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Foto: dpa US-Präsident Donald Trump: „Wir kümmern uns um unsere Krieger.“

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