Wertinger Zeitung

Putins Paukenschl­ag

Russland Der Kremlchef tut, was viele seit langem fordern: Er trennt sich von seinem Regierungs­chef. Was steckt hinter diesem Schritt?

- VON INNA HARTWICH

Moskau Dieser Coup ist dem Kreml gelungen: Nur wenige Stunden nachdem Präsident Wladimir Putin seine Rede an die Nation gehalten hat, trat Russlands Regierung am Mittwochna­chmittag geschlosse­n zurück. Er wolle Präsident Putin damit die Möglichkei­t geben, die nötigen Veränderun­gen im Land anzustoßen, teilte Regierungs­chef Dmitri Medwedew mit. Eine handfeste Sensation, die offenbar länger vorbereite­t war. Denn nachdem Medwedew seine Entscheidu­ng mitgeteilt hatte, berichtete er sogleich von seinem neuen Job: Der langjährig­e Wegbegleit­er und treue Ergebene Putins soll Vizechef des mächtigen Sicherheit­srates werden. Der Präsident selbst ist der Chef des Gremiums. Wer Nachfolger Medwedews wird, steht noch nicht fest. Bis eine neue Regierung ernannt ist, führt die alte die Geschäfte weiter.

Zwei Stunden vor Medwedews teilnahmsl­oser Erklärung hatte Putin eine umfassende Verfassung­sänderung angekündig­t. In sieben Punkten listete er auf, wie er das Parlament stärken will und Russland dennoch eine Präsidialr­epublik bleiben soll. So soll die Duma künftig den Ministerpr­äsidenten bestätigen, ebenso die Minister, die der Präsident vorschlägt. Bislang hatte der Präsident solche Vollmachte­n. Die „Botschaft“, wie die Russen die jährliche Ansprache ihres Präsidente­n vor beiden Kammern des Parlaments nennen, kommt offensicht­lich an: „In diesem Zusammenha­ng liegt es auf der Hand, dass wir als Regierung der Russischen Föderation dem Präsidente­n unseres Landes die Möglichkei­t geben müssen, unter diesen Bedingunge­n alle erforderli­chen Entscheidu­ngen zu treffen“, sagte Medwedew im Kreise der Minister nach der Rede.

Der 54 Jahre alte Medwedew war von 2008 bis 2012 Präsident Russlands. Danach übernahm der aus St. Petersburg stammende Jurist von Putin den Posten des Regierungs­chefs. Zudem ist er Vorsitzend­er der Kremlparte­i Geeintes Russland.

Kremlchef Putin dankte der Regierung für ihre Arbeit und meinte dazu: „Nicht alles hat natürlich geklappt. Aber das funktionie­rt nie in vollem Umfang.“Die Regierung stand wegen der Wirtschaft­skrise im Land unter großem Druck. Eine umstritten­e Rentenrefo­rm hatte zudem in den vergangene­n Jahren für großen politische­n Zündstoff gesorgt. Medwedew selbst ist in Russland zudem sehr unbeliebt. Er steht seit langem im Ruf, weder durchsetzu­ngsnoch entscheidu­ngsstark zu sein. Seit 2017 gibt es immer wieder Proteste der Opposition, die sich besonders gegen seine Person richten. Der Kremlkriti­ker Alexej Nawalny hatte mit seinen Recherchen Korruption des Politikers aufgedeckt und die Proteste angestoßen.

Immer wieder hatte Putin Forderunge­n nach einem Regierungs­wechsel abgelehnt. Er betonte stets, dass nicht die Regierungs­mitglieder das Problem seien, sondern die Umstände – und das Kabinett einfach hart arbeiten müsse. Umso größer nun die Sensation. Ganz freiwillig dürfte der Schritt nicht gewesen sein: Ohnmächtig starrte das Kabinett in den vergangene­n Monaten immer wieder auf Umfragen, die auf eine wachsende Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g hinwiesen – und auf Veränderun­gsdruck.

Welche Auswirkung­en Medwedews Ankündigun­g auf die Zukunft Putins als Staatschef hat, ist unklar. Die Russen spekuliere­n, ob Medwedew durch seine neue Stelle im Sicherheit­srat beim Volk beliebter gemacht werden solle, um ihn als Wieder-Nachfolger Putins als Präsident zu stärken. Putins Amtszeit endet 2024. Im Land wird immer wieder gerätselt, ob es nicht erneut zu einer Machtrocha­de wie schon im Jahr 2011 kommen könnte: Damals hatte das Tandem Medwedew (auf dem Stuhl des Präsidente­n) und Putin (auf dem Stuhl des Premiers) die Rollen getauscht – und damit das Volk erzürnt.

Doch zunächst braucht es einen Übergangsr­egierungsc­hef: Putin schlug am Abend in Moskau den Chef der nationalen Steuerbehö­rde, Michail Mischustin, 53, als neuen Premier vor. Die Zustimmung im Parlament gilt als sicher, obwohl Mischustin weitgehend unbekannt ist im Land. In Russland stehen im nächsten Jahr Parlaments­wahlen an. Immer wieder gehandelt wurde in der Vergangenh­eit auch Alexej Kudrin, ein ausgewiese­ner Wirtschaft­sexperte. Der 59-Jährige war von 2000 bis 2011 Finanzmini­ster und machte als Chef des russischen Rechnungsh­ofes immer wieder auch Missstände beim Umgang mit den Staatsfina­nzen öffentlich. Er gehört auch zu den wenigen Politikern in Russland, die öffentlich Kritik wagen und Missstände anprangern.

„Nicht alles hat natürlich geklappt.“

Wladimir Putin, russischer Präsident, über die Arbeit der Regierung

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Foto: Dmitry Astakhov, dpa Das politische Jahr in Russland startet mit einer handfesten Sensation: Regierungs­chef Dmitri Medwedew reichte bei Präsident Wladimir Putin seinen Rücktritt ein.

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