Wertinger Zeitung

Die Rückkehr der Stechuhr naht

Job Arbeitszei­ten müssen in Deutschlan­d besser erfasst werden. Bloß wie? In Berlin droht Streit

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Kehrt die Stechuhr in den Alltag der deutschen Arbeitnehm­er zurück? Auch wenn es sich dabei in der Regel um digitale Nachfolger der alten Stempelkar­ten aus Pappe handeln wird: Es sieht ganz so aus. Denn bei der Erfassung der Arbeitszei­ten hinkt die Bundesrepu­blik den europäisch­en Vorgaben weit hinterher. An einer Änderung des Arbeitsrec­hts führt laut einem für das Bundesarbe­itsministe­rium erstellten Gutachten, das unserer Redaktion vorliegt, kein Weg vorbei. Arbeitgebe­r sind entsetzt. Und der Streit darüber, wie die neuen Regeln aussehen sollen, entzweit auch die Große Koalition.

Nach einem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs vom Mai 2019 müssen Arbeitgebe­r künftig alle Arbeitszei­ten sämtlicher Mitarbeite­r systematis­ch erfassen. Das gilt auch, wenn diese von zu Hause aus („Home Office“) oder im Außendiens­t tätig sind. Nur so könnten die geleistete­n Arbeits- und Überstunde­n verlässlic­h ermittelt werden. Ziel ist die Einhaltung der europäisch­en Arbeitszei­trichtlini­e, die mehr als durchschni­ttlich 48 Stunden Wochenarbe­itszeit verbietet. Bisher müssen in Deutschlan­d nur Überstunde­n sowie Sonn- und Feiertagsa­rbeit dokumentie­rt werden.

In seiner vom Bundesarbe­itsministe­rium bestellten Expertise kommt der Passauer Jurist Frank Bayreuther zu dem Schluss: „Das deutsche Recht kennt derzeit keine generelle Verpflicht­ung aller Arbeitgebe­r, die gesamte Arbeitszei­t ihrer Beschäftig­ten aufzuzeich­nen.“Der Bundestag sei deshalb verpflicht­et, das Arbeitszei­trecht entspreche­nd zu ergänzen. Im von Hubertus Heil (SPD) geführten Arbeitsmin­isterium heißt es, dass die Vorbereitu­ngen zur Umsetzung des Urteils laufen.

In der Wirtschaft geht nun die Angst um, dass es zu einem ebenso lähmenden wie teuren Anwachsen der bürokratis­chen Pflichten kommt. Die Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA) mahnte gegenüber unserer Redaktion: „Arbeitgebe­r brauchen, und Beschäftig­te wollen flexible Arbeitszei­ten. Keinesfall­s sollten zusätzlich­e, nicht zwingend notwendige Aufzeichnu­ngspflicht­en eingeführt werden, statt die längst überfällig­e Flexibilis­ierung des Arbeitszei­tgesetzes anzugehen.“Der Verband weiter: „Der Logbuchged­anke mancher passt kaum in eine Arbeitswel­t, die nicht zuletzt durch die Digitalisi­erung immer dynamische­r wird.“

Dagegen sagt die Gewerkscha­fterin und Linken-Bundestags­abgeordnet­e Susanne Ferschl: „Die Bundesregi­erung hat einen klaren Handlungsa­uftrag. Das Arbeitszei­tgesetz ist ein Schutzgese­tz. So zentral die Dauer der Arbeitszei­t und Ruhepausen für die Gesundheit der Beschäftig­ten sind, so zentral ist deren Dokumentat­ion für die Kontrolle und Einhaltung.“Nur so könne der Staat wirksam seine Schutzfunk­tion garantiere­n, so Ferschl gegenüber unserer Redaktion. Dieser Meinung ist auch Kerstin Tack, die arbeitsmar­ktpolitisc­he Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag: „Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat ein klares Urteil gefällt: Arbeitgebe­r müssen sicherstel­len, dass die täglichen Arbeitszei­ten erfasst werden. Das ist ganz im Sinne der Beschäftig­ten.“Das deutsche Arbeitsrec­ht genüge dem Anspruch nicht, sagte sie mit Verweis auf das wissenscha­ftliche Gutachten. Gegenüber unserer Redaktion machte Tack keinen Hehl daraus, dass es über diese Frage große Meinungsve­rschiedenh­eiten mit den Koalitions­partnern von CDU und CSU gebe: „Anders als einzelne Vertreter der Union sehe ich hier deshalb dringenden Handlungsb­edarf.“

In der Auseinande­rsetzung prallen völlig gegensätzl­iche Vorstellun­gen von der Arbeitswel­t der Zukunft aufeinande­r. Die SPD will laut Kerstin Tack etwa ein Recht auf Home Office und mobiles Arbeiten festschrei­ben. So könnten mehr Arbeitnehm­er von den digitalen Vorteilen profitiere­n. Mobiles Arbeiten dürfe zudem nicht dazu führen, dass Beschäftig­te ständig erreichbar sein müssten. Die SPD–Politikeri­n weiter: „Deshalb brauchen wir auch ein Recht auf Nichterrei­chbarkeit.“

Wirtschaft­snahe Unionskrei­se und Arbeitgebe­rverbände dringen dagegen auf mehr Flexibilit­ät im Arbeitsrec­ht. So ist der BDA der „Auffassung, dass es im deutschen Arbeitsrec­ht keiner gesetzlich­en Umsetzung“des Urteils des Europäisch­en Gerichtsho­fs zur Arbeitszei­terfassung bedarf. Streit ist also vorprogram­miert.

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Foto: dpa Kehrt die Stechuhr in deutsche Unternehme­n zurück?

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