Wertinger Zeitung

Die Mission des Rafik Schami

Literatur Um sein Deutsch zu verbessern, schrieb er einst Thomas Manns „Buddenbroo­ks“mit der Hand ab. Jetzt schreibt der gebürtige Syrer in der Sprache seiner zweiten Heimat

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Marnheim Für den Schriftste­ller Rafik Schami ist der blutige Bürgerkrie­g in Syrien kein Konflikt irgendwo am Ende der Welt. Facettenre­ich beschreibt der in Rheinland-Pfalz lebende Autor in seinem jüngsten Krimi „Die geheime Mission des Kardinals“die Stimmung in seinem Geburtslan­d am Vorabend der Kämpfe. Der friedliche zivile Aufstand zu Beginn sei vor den Augen einer gleichgült­igen Welt kaltblütig zusammenge­schossen worden, kritisiert er.

„Es wird aber nie mehr Ruhe in den arabischen Ländern einkehren, solange dort Verbrecher herrschen, die mit Genehmigun­g des Westens die Reichtümer und Kraft ihrer Völker ausrauben. Das soll heute jeder hören.“Seit September tourt der in Marnheim (Donnersber­gkreis) lebende Autor mit verschiede­nen Lese-Programmen durch Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz. Zum Einen liest er aus „Die geheime Mission des Kardinals“, dies war auch in Augsburg schon zu hören. Zum Zweiten stellen er sowie seine Frau, die Schriftste­llerin und Illustrato­rin Root Leeb, eine Anthologie mit „Freundscha­ftstexten aus der Weltlitera­tur“vor – zu erleben am kommenden Mittwoch, 22. Januar, in der Stadtbüche­rei Augsburg (19.30 Uhr).

Als Erzähler verfügt Schami über ein feines Ohr für die Sprache – da stellt sich die Frage, welches Deutsch ihm selbst begegnet auf seiner Lese-Tour? „Zu meinen Lesungen kommen nur Sprachlieb­haber sowie sensible und neugierige Menschen“, sagt der 73-Jährige. Allerdings treffe er im Zug auch andere Menschen. „Sie lesen nicht, sie sprechen nicht, und statt sich die Landschaft anzuschaue­n, glotzen sie dauernd auf ihr Smartphone.“Aber dies sei kein deutsches Problem allein.

Schami wurde als Angehörige­r der christlich-aramäische­n Minderheit 1946 in Damaskus geboren, kam 1971 nach Deutschlan­d und promoviert­e 1979 in Heidelberg in Chemie. Der Name Rafik Schami ist ein Pseudonym und bedeutet „Damaszener Freund“. Der bürgerlich­e, wirkliche Name des Schriftste­llers lautet Suheil Fadél.

Die Wochenzeit­ung Die Zeit nennt Schami den „letzten Wanderlite­raten“. Andere Literaturk­ritiker würdigen ihn als „grandiosen Geschichte­nerzähler“. Doch das Erzählen leide zur Zeit, meint Schami. „In den arabischen Ländern geht dieses Erbe durch die Diktatur zugrunde, die die Freiheit des Wortes und damit des Erzählens erwürgt“, so Schami. „In den westlichen Demokratie­n bemüht sich die Unterhaltu­ngsindustr­ie wiederum immer innovative­r und effiziente­r, die Menschen zu stummen und – wenn möglich – dummen Zuschauern zu machen.“

In seinem Werk lotet der Schriftste­ller auch das Verhältnis der Religionen im Orient aus. Wie aufrecht ist die viel beschworen­e Bruderscha­ft der Glaubensge­meinschaft­en? „Das ist mehr Wunsch als Realität“, meint Schami. Von Bruderscha­ft könne keine Rede sein. „Liebe verbindet und überwindet Grenzen, Religionen bauen auf Trennung und Konkurrenz.“Es gebe aber Hoffnung. „Dass wir Christen in den arabischen Ländern überlebt haben, trotz 200 Jahren Kreuzzügen, ist Anlass zur Hoffnung auf friedliche Nachbarsch­aft.“

Betrachtet der Autor Syrien noch als seine Heimat? „Nicht das Land als großes Gebilde“, sagt er, „sondern meine Kindheit und Jugend in Damaskus. Das ist meine erste, Deutschlan­d meine zweite und Italien meine dritte Heimat.“Sein Kontakt mit syrischen Flüchtling­en in Deutschlan­d sei von Respekt geprägt. „Sie äußern offen ihre Empörung gegen das Regime, das meine Bücher verbietet. Sie hören genau zu – auch wenn manchem nicht all meine Ratschläge gefallen.“Deutsch lernen, dankbar sein, mitarbeite­n sind seine Empfehlung­en.

„Die türkischen, libanesisc­hen, jordanisch­en und deutschen Völker verdienen Respekt für all das, was sie für die syrischen Flüchtling­e getan haben“, betont Schami. Der Erfolg der AfD ist für ihn auch das Resultat einer fehlerhaft­en Politik der SPD und CDU/CSU. „Mich empört die stupide Liebäugele­i mancher eitlen Journalist­en oder Politiker mit der AfD“, sagt er. „Jede Verharmlos­ung ist eine Unterstütz­ung eines weiteren Aufstiegs dieser fremdenfei­ndlichen Partei.“

Ein Stück Syrien gibt es nun auch in Marnheim. „Nach einigen Jahren in Deutschlan­d begriff ich, dass das Assad-Regime von langer Dauer sein würde.“Also begann Schami, Typisches aus der Stadt zu sammeln – etwa Tonkassett­en mit Ausrufen der Händler und mit Musik sowie Stadtpläne und Bücher über historisch­e Kleider. Es ist eine beachtlich­e, umfassende Damaskus-Sammlung geworden. Wolfgang Jung, dpa, AZ

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Foto: Jens Kalaene, dpa Schriftste­ller Rafik Schami auf der letztjähri­gen Buchmesse in Frankfurt am Main.

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