Eine neue Ära sucht ihren Herrscher
Ski alpin Der Januar ist voll gepackt mit Klassikern, vor allem in den technischen Disziplinen. Im Jahr 1 nach Hirscher sind die Rennen spannend wie lange nicht. Nur die Deutschen fahren (noch) hinterher. Etwas überraschender ist, dass es den Österreicher
Augsburg Der Winter ist noch jung, und doch lässt sich schon eine Tendenz erkennen. Der Rücktritt des allgegenwärtigen Marcel Hirscher im vergangenen Sommer hat in den technischen Disziplinen ein Vakuum hinterlassen. Keiner da, der eine auch nur annähernd dominante Rolle spielen könnte. Die ersten fünf Weltcup-Slaloms sahen mit Henrik Kristoffersen (Levi), Alexis Pinturault (Val-d’Isère), Clément Noël (Zagreb) und Daniel Yule (Madonna di Campiglio und Adelboden) vier verschiedene Sieger. Gleiches Bild im Riesenslalom, wo Pinturault (Sölden), Tommy Ford (Beaver Creek), Kristoffersen (Alta Badia) und zuletzt Zan Kranjec (Adelboden) gewannen.
Ganz anders verlief die vergangene Saison. Von den ersten fünf Slaoms hatte Hirscher vier gewonnen, im Riesenslalom waren es drei von fünf. Klar, dass der Österreicher auch den Gesamtweltcup mit großem Vorsprung anführte. Jetzt dagegen herrscht ein munteres Hauen und Stechen um die große Kristallkugel. Kristoffersen (611 Punkte) führt die Gesamtwertung vor Pinturault (533) sowie Aleksander Aamodt Kilde (519) und Dominik Paris (454) an. Zum ersten Mal seit langer Zeit haben auch Speed-Spezialisten – trotz einer geringeren Anzahl an Rennen – wieder Chancen auf den Gewinn des Gesamtweltcups.
Deutsche Techniker können bisher (noch) nicht vom Abschied Hirschers profitieren. Als aussichtsreichster Kandidat dafür galt und gilt Stefan Luitz. Der 27-jährige Riesenslalom-Spezialist aus Bolsterlang im Allgäu tat sich in den ersten vier Rennen seiner Lieblingsdisziplin aber schwer. In Sölden landete er auf Platz 16, in Beaver Creek schied er früh aus. In Alta Badia qualifizierte er sich nicht für den zweiten Lauf, ebenso wenig in Adelboden. Seine Qualitäten zeigte Luitz bisher nur im Parallel-Slalom von Alta Badia, wo er Zweiter wurde.
Deutschlands derzeit bester Skifahrer ist auf den schnellen Brettern unterwegs. Thomas Dreßen gewann die Abfahrt in Lake Louise. Von den deutschen Technikern sorgte bisher nur Linus Straßer für positive Schlagzeilen. Der 27-jährige Slalomspezialist fuhr in Levi (8.) und Zagreb (7.) in die Top-Ten, ehe er in Adelboden mit Platz sechs sein bisher bestes Saisonergebnis schaffte. Der Münchner schickt sich an, in die gewaltigen Fußstapfen Felix Neureuthers zu treten, der seine Karriere ebenfalls beendet hat.
In Österreich hat der Rücktritt Hirschers aber eine deutlich größere Lücke gerissen. Die erfolgsverwöhnte Alpenrepublik hat in dieser Saison in den technischen Disziplinen genau einen Podestplatz vorzuweisen: Marco Schwarz wurde im Slalom von Adelboden Dritter. Das kommt bei unseren Nachbarn einem Totalversagen gleich. Immerhin sind die österreichischen SpeedSpezialisten vorne mit dabei. Im Super-G gewannen Matthias Mayer (Lake Louise) und Vincent Kriechmayr (Gröden) je ein Rennen.
Diese Erfolge können aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Hirschers Rückzug massive Auswirkungen auf das Interesse der Öffentlichkeit hat. Die Wiener Zeitung wertete Ende Dezember die Zuschauerzahlen aller bisherigen Rennen aus und verglich die Daten mit früheren Rennen, bei denen Hirscher am Start war. Das Ergebnis: Zu Spitzenzeiten verlor der ORF 566000 Zuschauer (oder 45 Prozent) gegenüber dem Vorjahr. Die Zeitung zieht aus den Zahlen zudem den Schluss, dass sich der Rücktritt des österreichischen Superstars auch auf die Quoten der Speedrennen auszuwirken scheint und attestiert ein generelles Abflachen des Interesses am alpinen Skisport.
Ganz anders sieht es bei den Frauen aus. Dort regiert Mikaela Shiffrin. Die US-Amerikanerin trat in den vergangenen Jahren ähnlich dominant wie Hirscher auf und ist mit 24 Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. In dieser Saison gewann sie von bisher fünf Slaloms drei. Dazu kommt ein Sieg im Riesenslalom (aus vier Rennen). Für Shiffrins Verhältnisse ist das wenig und führte zu einer ernsten Sinnkrise.
Dazu kommt ein Streit mit dem Betreuerteam von Petra Vlhova. Die Slowakin hat Shiffrin schon zweimal im Slalom geschlagen. Vlhovas Trainer Livio Magoni gab unumwunden zu, dass er regelmäßig Shiffrins Trainingseinheiten filme und auswerte. Gegenüber der Gazzetta dello Sport sagte er: „Wenn du intelligent bist, kannst du viel lernen. Wie Shiffrin denkt, aber auch wie sich das Team während des Trainings präsentiert. Als Cheftrainer ist es für mich wichtig, zu sehen, wie andere ihre Mannschaft führen.“Die Amerikanerin findet das weniger gut, kann aber nicht dagegen unternehmen. Die Pisten, auf denen sie trainiert, sind öffentlich zugänglich. Dort darf gefilmt werden.
Trotz Sinnkrise und Spionageaffäre führt Shiffrin den Gesamtweltcup erneut mit großem Vorsprung an (826 Punkte). Erste Verfolgerin ist Federica Brignone (565) vor Vlhova (513). Beste Deutsche ist Viktoria Rebensburg als Sechste (337).
In Österreich schmelzen die Einschaltquoten dahin