Wertinger Zeitung

Eine neue Ära sucht ihren Herrscher

Ski alpin Der Januar ist voll gepackt mit Klassikern, vor allem in den technische­n Diszipline­n. Im Jahr 1 nach Hirscher sind die Rennen spannend wie lange nicht. Nur die Deutschen fahren (noch) hinterher. Etwas überrasche­nder ist, dass es den Österreich­er

- VON ANDREAS KORNES

Augsburg Der Winter ist noch jung, und doch lässt sich schon eine Tendenz erkennen. Der Rücktritt des allgegenwä­rtigen Marcel Hirscher im vergangene­n Sommer hat in den technische­n Diszipline­n ein Vakuum hinterlass­en. Keiner da, der eine auch nur annähernd dominante Rolle spielen könnte. Die ersten fünf Weltcup-Slaloms sahen mit Henrik Kristoffer­sen (Levi), Alexis Pinturault (Val-d’Isère), Clément Noël (Zagreb) und Daniel Yule (Madonna di Campiglio und Adelboden) vier verschiede­ne Sieger. Gleiches Bild im Riesenslal­om, wo Pinturault (Sölden), Tommy Ford (Beaver Creek), Kristoffer­sen (Alta Badia) und zuletzt Zan Kranjec (Adelboden) gewannen.

Ganz anders verlief die vergangene Saison. Von den ersten fünf Slaoms hatte Hirscher vier gewonnen, im Riesenslal­om waren es drei von fünf. Klar, dass der Österreich­er auch den Gesamtwelt­cup mit großem Vorsprung anführte. Jetzt dagegen herrscht ein munteres Hauen und Stechen um die große Kristallku­gel. Kristoffer­sen (611 Punkte) führt die Gesamtwert­ung vor Pinturault (533) sowie Aleksander Aamodt Kilde (519) und Dominik Paris (454) an. Zum ersten Mal seit langer Zeit haben auch Speed-Spezialist­en – trotz einer geringeren Anzahl an Rennen – wieder Chancen auf den Gewinn des Gesamtwelt­cups.

Deutsche Techniker können bisher (noch) nicht vom Abschied Hirschers profitiere­n. Als aussichtsr­eichster Kandidat dafür galt und gilt Stefan Luitz. Der 27-jährige Riesenslal­om-Spezialist aus Bolsterlan­g im Allgäu tat sich in den ersten vier Rennen seiner Lieblingsd­isziplin aber schwer. In Sölden landete er auf Platz 16, in Beaver Creek schied er früh aus. In Alta Badia qualifizie­rte er sich nicht für den zweiten Lauf, ebenso wenig in Adelboden. Seine Qualitäten zeigte Luitz bisher nur im Parallel-Slalom von Alta Badia, wo er Zweiter wurde.

Deutschlan­ds derzeit bester Skifahrer ist auf den schnellen Brettern unterwegs. Thomas Dreßen gewann die Abfahrt in Lake Louise. Von den deutschen Technikern sorgte bisher nur Linus Straßer für positive Schlagzeil­en. Der 27-jährige Slalomspez­ialist fuhr in Levi (8.) und Zagreb (7.) in die Top-Ten, ehe er in Adelboden mit Platz sechs sein bisher bestes Saisonerge­bnis schaffte. Der Münchner schickt sich an, in die gewaltigen Fußstapfen Felix Neureuther­s zu treten, der seine Karriere ebenfalls beendet hat.

In Österreich hat der Rücktritt Hirschers aber eine deutlich größere Lücke gerissen. Die erfolgsver­wöhnte Alpenrepub­lik hat in dieser Saison in den technische­n Diszipline­n genau einen Podestplat­z vorzuweise­n: Marco Schwarz wurde im Slalom von Adelboden Dritter. Das kommt bei unseren Nachbarn einem Totalversa­gen gleich. Immerhin sind die österreich­ischen SpeedSpezi­alisten vorne mit dabei. Im Super-G gewannen Matthias Mayer (Lake Louise) und Vincent Kriechmayr (Gröden) je ein Rennen.

Diese Erfolge können aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Hirschers Rückzug massive Auswirkung­en auf das Interesse der Öffentlich­keit hat. Die Wiener Zeitung wertete Ende Dezember die Zuschauerz­ahlen aller bisherigen Rennen aus und verglich die Daten mit früheren Rennen, bei denen Hirscher am Start war. Das Ergebnis: Zu Spitzenzei­ten verlor der ORF 566000 Zuschauer (oder 45 Prozent) gegenüber dem Vorjahr. Die Zeitung zieht aus den Zahlen zudem den Schluss, dass sich der Rücktritt des österreich­ischen Superstars auch auf die Quoten der Speedrenne­n auszuwirke­n scheint und attestiert ein generelles Abflachen des Interesses am alpinen Skisport.

Ganz anders sieht es bei den Frauen aus. Dort regiert Mikaela Shiffrin. Die US-Amerikaner­in trat in den vergangene­n Jahren ähnlich dominant wie Hirscher auf und ist mit 24 Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. In dieser Saison gewann sie von bisher fünf Slaloms drei. Dazu kommt ein Sieg im Riesenslal­om (aus vier Rennen). Für Shiffrins Verhältnis­se ist das wenig und führte zu einer ernsten Sinnkrise.

Dazu kommt ein Streit mit dem Betreuerte­am von Petra Vlhova. Die Slowakin hat Shiffrin schon zweimal im Slalom geschlagen. Vlhovas Trainer Livio Magoni gab unumwunden zu, dass er regelmäßig Shiffrins Trainingse­inheiten filme und auswerte. Gegenüber der Gazzetta dello Sport sagte er: „Wenn du intelligen­t bist, kannst du viel lernen. Wie Shiffrin denkt, aber auch wie sich das Team während des Trainings präsentier­t. Als Cheftraine­r ist es für mich wichtig, zu sehen, wie andere ihre Mannschaft führen.“Die Amerikaner­in findet das weniger gut, kann aber nicht dagegen unternehme­n. Die Pisten, auf denen sie trainiert, sind öffentlich zugänglich. Dort darf gefilmt werden.

Trotz Sinnkrise und Spionageaf­färe führt Shiffrin den Gesamtwelt­cup erneut mit großem Vorsprung an (826 Punkte). Erste Verfolgeri­n ist Federica Brignone (565) vor Vlhova (513). Beste Deutsche ist Viktoria Rebensburg als Sechste (337).

In Österreich schmelzen die Einschaltq­uoten dahin

 ?? Foto: Getty Images ?? 30 000 Zuschauer kamen zum Slalom nach Adelboden. Als dann auch noch der Schweizer Daniel Yule gewann, war die Begeisteru­ng riesig. Ganz anders sieht es in Deutschlan­d und Österreich aus.
Foto: Getty Images 30 000 Zuschauer kamen zum Slalom nach Adelboden. Als dann auch noch der Schweizer Daniel Yule gewann, war die Begeisteru­ng riesig. Ganz anders sieht es in Deutschlan­d und Österreich aus.
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