Wertinger Zeitung

Oscar ist weiß und männlich

- VON MICHAEL SCHREINER kino@augsburger-allgemeine.de

Wenn die Oscar-Nominierun­gen verkündet sind, wird seit jeher diskutiert und gestritten. Bis vor ein paar Jahren ging es dabei um die Geschichte­n und Filme selbst, um vermeintli­ch übersehene und um zweifellos überbewert­ete, um Genies und Langweiler, Kinoerneue­rer und Mainstream­gestalten, Kultfilmer und Newcomer, großes Geld contra Independen­t… Kinogeher gerieten sich leidenscha­ftlich in die Haare über die Frage, welche Hauptdarst­ellerin vergessen und welche ungerechtf­ertigterwe­ise in den Favoritenk­reis gehoben worden ist. Spezialist­en siebten die nominierte­n Kameraleut­e und Spezialeff­ektverantw­ortlichen so lange durch, bis ein Ranking stand.

Seit einiger Zeit aber wird die Nominierun­gsliste der Academy unter sehr speziellen, gesellscha­ftlich relevanten Gesichtspu­nkten geprüft. Es geht um Diversität und alte weiße Männer, um die Benachteil­igung von Schwarzen und Frauen, um Netflix contra klassische Kinoproduk­tion. Sind Indigene benachteil­igt? Wie unerträgli­ch ist die Verschwöru­ng gegen die Frauen diesmal? 63 Frauen-Nominierun­gen 2020 – aber in welchen Trostkateg­orien! Warum sind 68 Prozent der 6000 Leute in der Academy Männer und 84 Prozent weiß? Haben immer die Männer den Joker?

Hinter dem Abarbeiten all dieser Checkliste­n tritt, zumindest was die öffentlich­e Diskussion angeht, die Qualität eines Films und die Leistung seiner Darsteller­innen und Darsteller in den Hintergrun­d. Auch wenn bis heute vermutlich kaum eine Kinogänger­in und kein Kinogänger Filme danach auswählt und beurteilt, ob eine Frau Regie geführt hat oder ob darin mehr schwarze als weiße Männer mitspielen, ist gegen eine kritische Betrachtun­g der Academy nichts zu sagen, auch wenn die Aufgeregth­eiten und Abzählreim­e (MannFrau-weiß-schwarz) in einer Ritualisie­rung zu erstarren drohen.

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