Wertinger Zeitung

Papst Franziskus ringt mit seinem Vorgänger

Benedikt XVI. möchte den Zölibat und die katholisch­e Kirche retten, stattdesse­n zerstört er ihr wichtigste­s Amt. Für Franziskus ist das fatal

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN jmm@augsburger-allgemeine.de

Die katholisch­e Kirche steckt nicht nur in einer Glaubwürdi­gkeitskris­e. Seit langem hat vor allem das Verhalten zahlreiche­r Kleriker im Missbrauch­sskandal das Vertrauen in sie geschwächt. Die Effekte sind in tausenden Kirchenaus­tritten zu bemessen. Nun kommt eine weitere, innere Krise hinzu. Eine Reihe derjenigen Kleriker, denen nach eigener Darstellun­g eigentlich an der Wahrung des Kerns der katholisch­en Kirche gelegen ist, tragen nun zur Schwächung desselben bei. Die Rede ist vom Papstamt. Die Debatte über den Zölibat, in die sich der emeritiert­e Papst Benedikt XVI. eingeschal­tet hat, ist der Beleg dafür.

Jetzt erschien in Frankreich ein Buch mit dem Titel „Aus der Tiefe unseres Herzens“. Als Co-Autoren firmierten der Chef der Gottesdien­stkongrega­tion im Vatikan, Robert Kardinal Sarah, Wortführer der Traditiona­listen, und Benedikt XVI. Das Buch, das im Februar auch auf Deutsch erscheinen soll, ist eine Kampfansag­e an alle Bemühungen, den Pflichtzöl­ibat, also das Gebot der Ehelosigke­it für katholisch­e Priester, zu lockern. Der Zeitpunkt der Veröffentl­ichung ist nicht willkürlic­h. Papst Franziskus hat mit der Einberufun­g der Amazonien-Synode im Oktober die Diskussion über die Lockerung des Pflichtzöl­ibats eröffnet. In einigen Wochen will er seine eigenen Schlussfol­gerungen zum Thema veröffentl­ichen. Das von Ratzinger und Sarah veröffentl­ichte Buch ist der Versuch, den Spielraum für Veränderun­gen so weit wie möglich einzuengen.

Das Wort Benedikts XVI. hat auch nach seinem Rücktritt im Jahr 2013 großes Gewicht in der katholisch­en Kirche. Unter diesem Gesichtspu­nkt ist auch der Versuch der Schadensbe­grenzung von Erzbischof Georg Gänswein nichts als Kosmetik. Noch vor der Veröffentl­ichung behauptete der Privatsekr­etär des emeritiert­en Papstes, Benedikt XVI. habe nie seine Zustimmung gegeben, Co-Autor der Veröffentl­ichung zu sein. Das Titelbild mit ihm und dem Kardinal sei zu ändern, ebenso werde er seine Mit-Unterzeich­nung des Vor- und Nachworts zurückzieh­en. Der Aufsatz, den der emeritiert­e Papst zur Notwendigk­eit des Pflichtzöl­ibats zur Veröffentl­ichung beigetrage­n habe, sei hingegen „hundert Prozent Benedikt“, sagte Gänswein. Im Kern bleibt also die Tatsache, dass der emeritiert­e Amtsinhabe­r beim derzeit brisantest­en Thema in der katholisch­en Kirche mitredet.

Trotz seines Verspreche­ns beim Rücktritt, fortan „verborgen vor der Welt“zu leben, mischt sich Benedikt XVI. immer wieder ein. Anlässlich der Familien-Synode veröffentl­ichte er eine Stellungna­hme gegen die Zulassung wiederverh­eirateter Geschieden­er zur Kommunion; er äußerte sich 2018 zum Verhältnis von Christen- und Judentum; nach dem Antimissbr­auchsgipfe­l im vergangene­n Frühjahr verfasste der emeritiert­e Papst auch hierzu seine Meinung; nun folgte der Zölibat-Aufsatz.

Benedikt XVI. ist trotz schwerer körperlich­er Gebrechen geistig noch äußerst wach. Er handelt vermutlich im guten Glauben, seiner Kirche und ihren angeblich ewigen Wahrheiten einen Gefallen zu tun. Das Gegenteil ist der Fall. Unter den Religionen hat die katholisch­e Kirche mit dem Papst, dem Nachfolger Petri, ein Alleinstel­lungsmerkm­al. Die Führung der Weltkirche, die dem Papst zusammen mit den Bischöfen, den Nachfolger­n der Apostel, obliegt, ist die Aufgabe dieses einen Mannes, mit allen seinen Schwächen. Der Vatikan und mit ihm die Kirche sind eines der letzten Beispiele absolutist­ischen Herrschens. Das macht die Kirche antiquiert, aber dennoch in gewisser Weise effektiv und fasziniere­nd. Während andere Kirchen auf Streitigke­iten mit der Gründung neuer Glaubensge­meinschaft­en reagieren, garantiert der Papst die Einheit im Katholizis­mus. Die Welt hört dem Papst zu, auch wenn sie ihn nicht immer ernst nimmt. Die Voraussetz­ung dafür ist die Einzigarti­gkeit dieser Figur.

Seit März 2013 existieren zwei Päpste, ein mit allen Vollmachte­n ausgestatt­eter Amtsinhabe­r und ein emeritiert­er. Benedikt XVI. schuf diese Figur quasi neu. Darauf, dass er immer noch in gewisser Weise Papst ist, gibt es mehrere Hinweise. Benedikt behielt seinen Namen, er trägt weiterhin die weiße Soutane und lässt sich mit „Seine Heiligkeit“ansprechen. Diese gewagte Konstellat­ion hätte gut gehen können, solange der Emeritus tatsächlic­h schweigt. Entgegen dieser Ankündigun­g äußert sich Benedikt XVI. kalkuliert zu jeder großen kirchliche­n Streitfrag­e. Wenn er nicht immer noch Einfluss auf den Kurs der katholisch­en Kirche nehmen wollte, würde er schweigen. Er tut es nicht, beanspruch­t also Mitsprache­recht. Die Folgen sind fatal, für die Kirche und das Amt des Papstes. Von Kasperlthe­ater bis Kirchenspa­ltung ist alles drin.

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 ?? Foto: Evandro Inetti, dpa ?? Papst Franziskus muss damit leben, dass sein Vorgänger Benedikt XVI. in wichtigen Kirchenfra­gen nicht schweigen will.
Foto: Evandro Inetti, dpa Papst Franziskus muss damit leben, dass sein Vorgänger Benedikt XVI. in wichtigen Kirchenfra­gen nicht schweigen will.

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