Wertinger Zeitung

Schweden im Bandenkrie­g

Ermittlung­en Immer wieder erschütter­n Explosione­n das Bilderbuch-Land. Ob die Täter jemals gefasst werden, ist fraglich

- VON SARAH RITSCHEL

Stockholm Flammen, verkohlte Autos, zersplitte­rtes Glas auf dem Gehweg, ein Treppenhau­s in Trümmern: Diese Bilder aus Stockholm gingen um die Welt – aus der familiär wirkenden Metropole im sicheren, beschaulic­hen Schweden. Mitten im reichen Stadtteil Östermalm war in der Nacht auf Montag ein Sprengsatz im Eingangsbe­reich eines Wohnhauses explodiert – und ebenso erschütter­t ist das Land selbst, weiß doch keiner, wer hinter der Explosion steckt, von deren Art es in den vergangene­n Monaten so viele gab. Nur einen Terroransc­hlag schließt die Polizei bisher aus.

Schweden erlebt seit 2019 einen rapiden Anstieg an von Menschen verursacht­en Explosione­n, auch in der Region Stockholm hat es schon mehrere gegeben. Aber – Polizeiche­f Erik Widstrand hat es seinen friedliebe­nden Landsleute­n schonungsl­os gesagt – die Detonation am Montagmorg­en war die „wahrschein­lich stärkste, die es in Stockholm jemals gegeben hat“. Es sei purer Zufall gewesen, dass niemand verletzt wurde. Ob die Täter jemals gefasst werden, ist fraglich.

Bei vielen Explosione­n vermutete die Polizei Verbindung­en ins Milieu der Organisier­ten Kriminalit­ät – eine Form von Verbrechen, die nur schwer mit dem Klischee des Bilderbuch-Landes Schweden zu vereinbare­n ist, in dem nachts niemand die Rollläden schließt und Millionen Deutsche unbeschwer­t ihren Urlaub verbringen.

Kriminalis­ten wissen es besser. Die internatio­nale Polizeibeh­örde Europol bezeichnet das skandinavi­sche Land mit gut zehn Millionen Einwohnern zum Beispiel als „Labor für Experiment­e der Organisier­ten Kriminalit­ät in Europa“– unabhängig davon, ob auch die jüngste Detonation in Stockholm von Profi-Verbrecher­n ausgelöst wurde.

Am explosivst­en geht es in Malmö zu: Dort rückte die Polizei 2019 zu mehr als 100 Detonation­en aus. Aber auch in Helsingbor­g krachte es oder in Göteborg – die Liste ließe sich fortsetzen. Verletzt wird bei den Taten selten jemand. Experten, etwa bei der deutschen Kriminolog­ischen Zentralste­lle in Wiesbaden, vermuten, dass es den Gangs vor allem darum geht, ihre Vormachtst­ellung gegenüber Rivalen zu markieren – und ihre Überlegenh­eit gegenüber der Polizei zu demonstrie­ren.

Schweden war bereits in den 1990er Jahren ein Schwerpunk­t von Gang-Kriminalit­ät: Damals hatten sich Rockergrup­pen blutige Schießerei­en geliefert. Kriminolog­e Manne Gerell von der Universitä­t Malmö vermutet, dass Schmuggelg­üter wie Drogen und Waffen heute vor allem über seinen Dienstort Malmö ins Land kommen. Die Lage als Transitsta­dt nahe der Grenzen zu Dänemark und zu Mitteleuro­pa befördere das Verbrechen. Denn dort verliefen auch die Routen der Schmuggler.

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Foto: Wiklund, dpa Die Bombe explodiert­e in einem reichen Stockholme­r Stadtteil.

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