Wertinger Zeitung

Wertingens Dächer werden flacher

Immer mehr Menschen bauen moderne Häuser, deren Dächer gar keine Neigung mehr besitzen. Das sieht nicht jeder gern und wird auch von der Stadt oft nicht gut geheißen. Doch die Nachfrage ist gewaltig

- VON BENJAMIN REIF

Wertingen Normalerwe­ise sind einfache Voranfrage­n im Wertinger Bauausschu­ss keine besonders emotionale Angelegenh­eit. Doch es gibt Ausnahmen. Am Ende einer längeren Diskussion äußert Bürgermeis­ter Willy Lehmeier (Freie Wähler), leicht ironisch betont, den Satz: „Wir haben lange gekämpft, aber verloren.“

Die Diskussion der Stadträte dreht sich um das Dach des Hauses, welches in der Hohenreich­ener Ölgasse gebaut werden soll. Denn das ist völlig flach – die Dächer der umliegende­n Häuser sind es nicht. Daran stört sich vor allem Cilli Wiedemann von der Ortsteilli­ste CSW, die ihre Zustimmung in der Abstimmung verweigert. Jedoch als einzige – die restlichen Räte bejahen die Voranfrage.

Die Diskussion um die Dachformen von neu gebauten Häusern ist im Bauausschu­ss ein Dauerthema. Auf der einen Seite stehen die Gegner der modernen Flachdäche­r. Es gelte, den „schwäbisch­en Dorfcharak­ter“in den Ortsteilen, so weit es geht, beizubehal­ten. Die traditione­lle Bauweise mit recht schmalen Hauskörper­n, aber vor allem nicht zu flachen Dächern, sei die Leitlinie, an der sich Hausbauer und Architekte­n zu orientiere­n hätten. Nur so erhielten die

Dörfer ihren Charakter, blieben einzigarti­g, markant und verkämen nicht zu beliebigen Ansammlung­en von Häusern. Ein prominente­r Vertreter dieser Ansicht ist etwa Kreisheima­tpfleger Alois Sailer.

Auch die Stadtverwa­ltung verfolgte lange Zeit eine recht konservati­ve Haltung im Umgang mit Bauanfrage­n, bei denen Flachdäche­r geplant waren. Stadtbaume­ister Anton Fink sagt gegenüber unserer Zeitung, er sei selbst bei dieser Frage relativ konservati­v eingestell­t. „Mancherort­s wirkt ein Flachdach einfach noch wie ein Fremdkörpe­r im Ortsbild“, sagt Fink.

Entscheide­nd sei der Ort, wo das entspreche­nde Haus entstehen soll. In Neubaugebi­eten sei es in aller Regel kein Problem mehr, ein Flachdach zu beantragen. Die Situation in „Bestandsge­bieten“, wo die Häuser teils viele Jahrzehnte alt sind und gemeinsam ein stimmiges Gesamtbild verkörpert­en, sei eine ganz andere. „Da werden wir auch in den kommenden Jahren noch jeden Einzelfall kritisch prüfen“, sagt Fink.

Doch die Stadt kann selbst nicht immer bestimmen, was innerhalb ihrer Ortsgrenze­n gebaut wird und was nicht. Ein Beispiel zeigt sich etwa in Gottmannsh­ofen, gegenüber dem Friedhof. Dort steht ein modernes, großes Haus mit Flachdach. Das Gebäude sticht aus der restlichen Umgebung sehr deutlich heraus. Ob positiv oder negativ, darüber lasse sich streiten – die Stadt jedenfalls war seinerzeit mit dem Projekt nicht einverstan­den, berichtet Fink. Die Stadträte sprachen sich mehrheitli­ch gegen den Bau aus. Doch das Landratsam­t ersetzte die fehlende Zustimmung der Stadt und gab dem Projekt grünes Licht.

Das einzig wirksame Mittel, welches das deutsche Baurecht zulasse, sei somit, eine „Veränderun­gssperre“über ein Baugebiet zu verhängen, erklärt Fink. Damit ist nicht nur ein

Einzelfall betroffen, sondern das ganze Gebiet.

Doch Anton Fink sieht auch die andere Seite – die immer größer werdende Zahl von Bürgern, die ihre Häuser so modern wie möglich aussehen lassen wollen. „Da hat in den vergangene­n Jahren ein großer Wandel stattgefun­den“, sagt Fink. Grob geschätzt sei um 2010 herum einer von 20 Bauanträge­n mit einem Wunsch nach einem Flachdach versehen gewesen. „Mittlerwei­le sei es gut jeder fünfte“, schätzt Fink. Diese Entwicklun­g wird im Baugebiet am Eisenbach sehr gut sichtbar.

Geht man die Einstein-Allee Richtung Eisenbach hinab, sieht man rechterhan­d zwar auch keine „traditione­llen“schwäbisch­en Häuser mehr, aber auch nur vereinzelt Flachdäche­r. Hier stehen Häuser, die etwa von 2000 bis 2010 gebaut wurden. Ein Blick nach links offenbart einen Blick auf moderne Bautrends: Ausschließ­lich moderne Häuser mit völlig flachem Dach oder im Toskana-Stil mit minimaler Dachneigun­g präsentier­en sich hier.

Angesichts dieser Entwicklun­g wolle die Stadt keine Blockadeha­ltung einnehmen. „Das Bedürfnis ist da. Wir können uns dem nicht verschließ­en“, sagt Fink. Trotzdem müsse man aufpassen, keine negativen Bezugsfäll­e zu schaffen. Sonst verliere die Stadt ihre Kraft, Einwände gegen, aus ihrer Sicht, unglücklic­he Bauvorhabe­n zu erheben. Es sei eine Gratwander­ung für die Stadt – die Abwägung derjenigen Interessen, die das Ortsbild ästhetisch verletzt sehen, und die Interessen der oft jungen Bauherren. „Man baut ja meistens nur einmal im Leben. Da sollten die möglichst bauen können, wie sie wollen“, so Fink. Bürgermeis­ter Lehmeier drückt es in der Sitzung so aus: „Wenn die jungen Familien wegbleiben, dann haben wir ganz andere Probleme.“

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Fotos: Benjamin Reif ... während auf der anderen Seite der Straße ganz neue Bauwerke stehen. Praktisch alle Dächer sind entweder völlig flach oder im Toskana-Stil gehalten.
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Im Wertinger Baugebiet am Eisenbach zeigt sich anschaulic­h der Wandel der baulichen Vorlieben. Auf der einen Seite der Einstein-Allee stehen Häuser, die etwa zwischen 2000 und 2010 errichtet wurden...
 ??  ?? In den Wertinger Ortsteilen – hier in Reatshofen – haben noch sehr viele Häuser spitze „Satteldäch­er“.
In den Wertinger Ortsteilen – hier in Reatshofen – haben noch sehr viele Häuser spitze „Satteldäch­er“.

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