Wertingens Dächer werden flacher
Immer mehr Menschen bauen moderne Häuser, deren Dächer gar keine Neigung mehr besitzen. Das sieht nicht jeder gern und wird auch von der Stadt oft nicht gut geheißen. Doch die Nachfrage ist gewaltig
Wertingen Normalerweise sind einfache Voranfragen im Wertinger Bauausschuss keine besonders emotionale Angelegenheit. Doch es gibt Ausnahmen. Am Ende einer längeren Diskussion äußert Bürgermeister Willy Lehmeier (Freie Wähler), leicht ironisch betont, den Satz: „Wir haben lange gekämpft, aber verloren.“
Die Diskussion der Stadträte dreht sich um das Dach des Hauses, welches in der Hohenreichener Ölgasse gebaut werden soll. Denn das ist völlig flach – die Dächer der umliegenden Häuser sind es nicht. Daran stört sich vor allem Cilli Wiedemann von der Ortsteilliste CSW, die ihre Zustimmung in der Abstimmung verweigert. Jedoch als einzige – die restlichen Räte bejahen die Voranfrage.
Die Diskussion um die Dachformen von neu gebauten Häusern ist im Bauausschuss ein Dauerthema. Auf der einen Seite stehen die Gegner der modernen Flachdächer. Es gelte, den „schwäbischen Dorfcharakter“in den Ortsteilen, so weit es geht, beizubehalten. Die traditionelle Bauweise mit recht schmalen Hauskörpern, aber vor allem nicht zu flachen Dächern, sei die Leitlinie, an der sich Hausbauer und Architekten zu orientieren hätten. Nur so erhielten die
Dörfer ihren Charakter, blieben einzigartig, markant und verkämen nicht zu beliebigen Ansammlungen von Häusern. Ein prominenter Vertreter dieser Ansicht ist etwa Kreisheimatpfleger Alois Sailer.
Auch die Stadtverwaltung verfolgte lange Zeit eine recht konservative Haltung im Umgang mit Bauanfragen, bei denen Flachdächer geplant waren. Stadtbaumeister Anton Fink sagt gegenüber unserer Zeitung, er sei selbst bei dieser Frage relativ konservativ eingestellt. „Mancherorts wirkt ein Flachdach einfach noch wie ein Fremdkörper im Ortsbild“, sagt Fink.
Entscheidend sei der Ort, wo das entsprechende Haus entstehen soll. In Neubaugebieten sei es in aller Regel kein Problem mehr, ein Flachdach zu beantragen. Die Situation in „Bestandsgebieten“, wo die Häuser teils viele Jahrzehnte alt sind und gemeinsam ein stimmiges Gesamtbild verkörperten, sei eine ganz andere. „Da werden wir auch in den kommenden Jahren noch jeden Einzelfall kritisch prüfen“, sagt Fink.
Doch die Stadt kann selbst nicht immer bestimmen, was innerhalb ihrer Ortsgrenzen gebaut wird und was nicht. Ein Beispiel zeigt sich etwa in Gottmannshofen, gegenüber dem Friedhof. Dort steht ein modernes, großes Haus mit Flachdach. Das Gebäude sticht aus der restlichen Umgebung sehr deutlich heraus. Ob positiv oder negativ, darüber lasse sich streiten – die Stadt jedenfalls war seinerzeit mit dem Projekt nicht einverstanden, berichtet Fink. Die Stadträte sprachen sich mehrheitlich gegen den Bau aus. Doch das Landratsamt ersetzte die fehlende Zustimmung der Stadt und gab dem Projekt grünes Licht.
Das einzig wirksame Mittel, welches das deutsche Baurecht zulasse, sei somit, eine „Veränderungssperre“über ein Baugebiet zu verhängen, erklärt Fink. Damit ist nicht nur ein
Einzelfall betroffen, sondern das ganze Gebiet.
Doch Anton Fink sieht auch die andere Seite – die immer größer werdende Zahl von Bürgern, die ihre Häuser so modern wie möglich aussehen lassen wollen. „Da hat in den vergangenen Jahren ein großer Wandel stattgefunden“, sagt Fink. Grob geschätzt sei um 2010 herum einer von 20 Bauanträgen mit einem Wunsch nach einem Flachdach versehen gewesen. „Mittlerweile sei es gut jeder fünfte“, schätzt Fink. Diese Entwicklung wird im Baugebiet am Eisenbach sehr gut sichtbar.
Geht man die Einstein-Allee Richtung Eisenbach hinab, sieht man rechterhand zwar auch keine „traditionellen“schwäbischen Häuser mehr, aber auch nur vereinzelt Flachdächer. Hier stehen Häuser, die etwa von 2000 bis 2010 gebaut wurden. Ein Blick nach links offenbart einen Blick auf moderne Bautrends: Ausschließlich moderne Häuser mit völlig flachem Dach oder im Toskana-Stil mit minimaler Dachneigung präsentieren sich hier.
Angesichts dieser Entwicklung wolle die Stadt keine Blockadehaltung einnehmen. „Das Bedürfnis ist da. Wir können uns dem nicht verschließen“, sagt Fink. Trotzdem müsse man aufpassen, keine negativen Bezugsfälle zu schaffen. Sonst verliere die Stadt ihre Kraft, Einwände gegen, aus ihrer Sicht, unglückliche Bauvorhaben zu erheben. Es sei eine Gratwanderung für die Stadt – die Abwägung derjenigen Interessen, die das Ortsbild ästhetisch verletzt sehen, und die Interessen der oft jungen Bauherren. „Man baut ja meistens nur einmal im Leben. Da sollten die möglichst bauen können, wie sie wollen“, so Fink. Bürgermeister Lehmeier drückt es in der Sitzung so aus: „Wenn die jungen Familien wegbleiben, dann haben wir ganz andere Probleme.“