Wertinger Zeitung

Lehrerin klagt: „Das ist nicht gerecht“

Bildung 42 Jahre lang hat eine Würzburger­in Kinder unterricht­et. Nun will sie in den Ruhestand – darf aber nicht. Grund ist eine Entscheidu­ng des Kultusmini­sters, die nun in Protesten mündet

- VON GISELA RAUCH

Würzburg Sie wollte nach Südamerika fliegen in diesem Herbst. Nach Ecuador, genauer gesagt in ein Land, das sie tief beeindruck­t hat, als sie es vor vielen Jahrzehnte­n schon mal bereist hat. Aber aus der lang ersehnten Reise zum Ruhestands­beginn wird nichts. Renate P. (Name geändert), die dienstälte­ste Lehrerin der Würzburger Graf-zuBentheim-Schule, einem Förderzent­rum mit Schwerpunk­t Sehen, darf nämlich auch nach 42 Dienstjahr­en noch nicht in den Ruhestand gehen. Sie muss weiter unterricht­en, vielleicht ein Jahr noch, vielleicht auch mehr. So will es der bayerische Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler).

Vor rund zehn Tagen hat Piazolo nämlich ein Maßnahmen-Paket gegen Lehrermang­el und zur Sicherung des Unterricht­s vorgestell­t, das unter anderem vorsieht, dass Grundschul­lehrer eine Stunde mehr arbeiten, dass Teilzeitar­beitskräft­e mindestens 24 Stunden pro Woche im Einsatz sind, dass Sabbatjahr­e nicht mehr genehmigt werden und auch Anträge auf einen Beginn des Antragsruh­estands vor Vollendung des 65. Lebensjahr­es nicht mehr genehmigt werden. Abgesehen von der zwangsweis­en Wochenstun­denerhöhun­g treffen die Maßnahmen nicht nur Grundschul­lehrer, sondern auch Mittelschu­llehrer und Förderlehr­er.

„Ich habe im Radio von Piazolos Maßnahmen gehört, hatte gleich ein schlechtes Gefühl, gleich die Angst, dass es mich treffen könnte“, sagt P., die ihren vollen Namen ungern öffentlich machen möchte und ihre Geschichte auch nur deshalb erzählt, weil sie gefragt worden ist. Zwei Tage nach der Piazolo-Ankündigun­g habe die Schulleitu­ng ihr dann tatsächlic­h eröffnet, dass sie aufgrund der neuen Weisungen aus München weitermach­en müsse. „Dabei habe ich noch vor Weihnachte­n den Antrag gestellt, nach Schuljahre­sende aufzuhören. Bisher gab es nämlich eine Übergangsr­egelung, nach der man nach dem 64. Geburtstag in Ruhestand gehen darf. Und ich werde in diesem August 64 Jahre alt.“

Gegen Piazolos Maßnahmen-Paket gehen am Samstag in Würzburg und in Fürth zahlreiche wütende Lehrer auf die Straße, weil sie nicht einsehen, dass sie die „verfehlte Bildungspo­litik des Kultusmini­steriums“ausbaden müssen, wie es in

Pressemitt­eilungen der Initiatore­n heißt.

„Sehr bitter“fühlt sich die Neuregelun­g aus dem Kultusmini­sterium auch für Renate P. an. Das liegt nicht daran, dass sie der Gedanke, weiter vor einer Klasse zu stehen, mit Entsetzen erfüllen würde. „Ich liebe meinen Beruf und ich liebe die Kinder und ich mache den Job immer noch gern und gut“, sagt die Förderlehr­erin, die als äußerst engagierte und beliebte Lehrkraft gilt. Eine, die Eltern und Schülern zufolge vor dem Unterricht von den Kindern umarmt, am Wochenende manchmal angerufen und nach den Ferien mit Freude begrüßt wird. Eine, die in den vielen sehbehinde­rten, blinden und beeinträch­tigten Kindern, die sie unterricht­et hat, immer den wissbegier­igen, kompetente­n, starken Menschen mit Potenzial gesehen hat. Eine, die ihre Schüler gefördert hat und dabei auf jeden Einzelnen eingegange­n ist. Sicher bekomme sie das Zusatzjahr noch hin, meint P. „Aber wenn man über 60 ist, merkt man eben jedes Extrajahr. Man ist einfach nicht mehr so belastbar.“

Und die Arbeit, die sie über vier Jahrzehnte geleistet hat, war fordernd. Sehr früh ist P. ins Berufslebe­n eingestieg­en, schon mit 22 hatte sie ihr erstes Studium, Grundschul­lehramt, abgeschlos­sen, und startete ins Referendar­iat – der Zeitpunkt, ab dem die Dienstjahr­e gezählt werden. Ein Jahr arbeitete sie dann als Mobile Reserve, ein Jahr als Lehrerin für schwer erziehbare Kinder. Sattelte dann noch ein zweijährig­es Aufbaustud­ium als Förderlehr­kraft Sehen drauf. Sie unterricht­ete in den folgenden Jahrzehnte­n blinde Kinder, sehbehinde­rte Kinder, mehrfachbe­hinderte Kinder, taubblinde Kinder, wobei jede Behinderun­g eine neue Herangehen­sweise und neue Förderansä­tze verlangte, die erst mal gelernt werden mussten. Die ganzen 42 Jahre arbeitete P. in Vollzeit, obwohl sie selbst auch zwei Kinder bekam und großzog. „Es war gut. Aber es war auch viel und deshalb finde ich halt jetzt, dass es reicht“, sagt sie.

Als unfair empfindet sie den Umstand, dass in ihrem Fall der bayerische Staat als Dienstherr weniger die 42 in Vollzeit abgeleiste­ten Dienstjahr­e im Blick hat als den Umstand, dass sie im Herbst 2020 noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben wird. „Das ist nicht gerecht.“

Lesen Sie dazu auch den Kommentar auf der ersten Bayern-Seite.

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ?? Aufruhr im Lehrerzimm­er: Kultusmini­ster Michael Piazolo löste mit seinem Maßnahmen-Paket gegen Lehrermang­el einigen Ärger aus.
Foto: Daniel Karmann, dpa Aufruhr im Lehrerzimm­er: Kultusmini­ster Michael Piazolo löste mit seinem Maßnahmen-Paket gegen Lehrermang­el einigen Ärger aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany