Brüller und Empörung bei „Eins, Zwei, Drei“
Theater Ulm Die Komödie von Ferenc Molnár irritiert stark in der Inszenierung von Sascha Nathan
Ulm Wenn sich der Vorhang lüftet, stürmen Karikaturen die Bühne. Kostümiert wie Knallbonbons tanzen sie zu US-Schlagern und wedeln mit Pompons – Sekretärinnen, Butler, unterwürfige Beamte. Den Takt gibt Großbankier Norrison im Geldscheinkostüm vor. Der Kapitalismus feiert in Ferenc Molnárs „Eins, Zwei, Drei“Party. Und sind sie nicht schrullig, diese Menschlein auf der Bühne des Theaters Ulm?
Doch bis zum Finale wird das Klatschen vielen vergehen. Alles Menschliche – vom Idealismus bis zur Geldgläubigkeit – reduziert diese Inszenierung von Sascha Nathan auf den Kern seiner Lächerlichkeit – bis zur Schmerzgrenze. Nebenbei will der Klamauk die Ära des „alten weißen Mannes“beerdigen. Das Publikum ist gespalten. Wenn der Vorhang fällt, ist die Kluft zwischen Bravi und Empörung spürbar.
Die Story ist schlicht: Der stinkreiche Banker Norrison hat Lydia, Tochter eines noch stinkreicheren Freunds aus Übersee, in seiner Obhut. In dieser Inszenierung ist sie eine opportunistische Aufziehpuppe im pinken Kleid (mit komödiantischem Sinn für Timing: Nicola Schubert). Guter Rat wird teuer, wenn Lydia verkündet: Sie hat heimlich einen kommunistischen Taxifahrer geheiratet, ist schwanger – und in einer Stunde kommen ihre Eltern zu Besuch. Norrison bleiben 60 Minuten, um den Kommunisten in einen Vorzeigeschwiegersohn zu verwandeln.
Mit Rasanz und Brechstangenklamauk nimmt die Vorher-NachherShow ihren Lauf. Norrisons Maschinerie aus unterwürfigen Helfern ist gut geölt; die Schmiere ist der Mammon. Frisur, Anzug, Konto, alles neu – so wird aus dem Jungen doch noch was. Gunther Nickles spielt Norrison überzeugend als Napoleon mit faschistischen Tendenzen. Der Diktator diktiert seinen Generalplan seinen Sekretärinnen – und wie es das
Klischee will, tippen sie zur Klangkulisse von „The Typewriter“von Jerry Lewis.
Dem Ensemble lässt sich nichts vorwerfen. Humortechnisch ist das gekonnt dargeboten, mit uneitler Hingabe. Verblüffend, wie Christel Mayr und Tini Prüfert gleich vier Sekretärinnen darstellen: darunter eine bucklige, eine alkoholisierte, eine als Lustobjekt des Chefs. Der grapscht nach Hinterteilen, nicht aus Lüsternheit, sondern als Machtgebaren. So kriegt auch der Butler einen Klaps mit. Doch lispeln, stolpern, komische Akzente, das alles steuert Richtung Reizüberflutung.
Herr Wolf vom Komitee der Helfer heult auf, wenn sein Name fällt. Ein Graf aus Osteuropa, der den Jungkommunisten aus Statusgründen schnell adoptieren soll, flattert als Draculaverschnitt umher – Achtung, kapitalistischer Blutsauger! Lächerliche männliche Pappfiguren schütteln sich die Hände, „Männer“von Grönemeyer wird folgerichtig zitiert. „Was soll das?“, fragt sich ein Teil des Publikums – frei nach Grönemeyer. Einen weiteren Hinweis bietet der Chorgesang der Helfertruppe: „Papa wirds schon richten“– eine Persiflage auf Vetternwirtschaft und männlichen Protegismus.
Ging es Ferenc Molnár 1929 noch um sich anbahnende Kreuzfeuer zwischen West und Ost, Kommunismus und Kapitalismus, funkte bei den Dreharbeiten zu Billy Wilders Verfilmung 1961 der Mauerbau dazwischen. Lilo Pulver legte mit Fackeln in den Händen eine kesse Sohle hin und der Film wurde Kult. Wilder-Fans könnte die Ulmer Version jedoch verstören. Der zweite Akt führt zur finalen Irritation; er rast in wenigen abstrusen Minuten vorbei: Norrison erlebt eine Himmelfahrt und es kommt zu Entblößungen. Fazit: Viel gewagt, halb gewonnen, viele empört.
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