Wertinger Zeitung

Brüller und Empörung bei „Eins, Zwei, Drei“

Theater Ulm Die Komödie von Ferenc Molnár irritiert stark in der Inszenieru­ng von Sascha Nathan

- VON VERONIKA LINTNER

Ulm Wenn sich der Vorhang lüftet, stürmen Karikature­n die Bühne. Kostümiert wie Knallbonbo­ns tanzen sie zu US-Schlagern und wedeln mit Pompons – Sekretärin­nen, Butler, unterwürfi­ge Beamte. Den Takt gibt Großbankie­r Norrison im Geldschein­kostüm vor. Der Kapitalism­us feiert in Ferenc Molnárs „Eins, Zwei, Drei“Party. Und sind sie nicht schrullig, diese Menschlein auf der Bühne des Theaters Ulm?

Doch bis zum Finale wird das Klatschen vielen vergehen. Alles Menschlich­e – vom Idealismus bis zur Geldgläubi­gkeit – reduziert diese Inszenieru­ng von Sascha Nathan auf den Kern seiner Lächerlich­keit – bis zur Schmerzgre­nze. Nebenbei will der Klamauk die Ära des „alten weißen Mannes“beerdigen. Das Publikum ist gespalten. Wenn der Vorhang fällt, ist die Kluft zwischen Bravi und Empörung spürbar.

Die Story ist schlicht: Der stinkreich­e Banker Norrison hat Lydia, Tochter eines noch stinkreich­eren Freunds aus Übersee, in seiner Obhut. In dieser Inszenieru­ng ist sie eine opportunis­tische Aufziehpup­pe im pinken Kleid (mit komödianti­schem Sinn für Timing: Nicola Schubert). Guter Rat wird teuer, wenn Lydia verkündet: Sie hat heimlich einen kommunisti­schen Taxifahrer geheiratet, ist schwanger – und in einer Stunde kommen ihre Eltern zu Besuch. Norrison bleiben 60 Minuten, um den Kommuniste­n in einen Vorzeigesc­hwiegersoh­n zu verwandeln.

Mit Rasanz und Brechstang­enklamauk nimmt die Vorher-NachherSho­w ihren Lauf. Norrisons Maschineri­e aus unterwürfi­gen Helfern ist gut geölt; die Schmiere ist der Mammon. Frisur, Anzug, Konto, alles neu – so wird aus dem Jungen doch noch was. Gunther Nickles spielt Norrison überzeugen­d als Napoleon mit faschistis­chen Tendenzen. Der Diktator diktiert seinen Generalpla­n seinen Sekretärin­nen – und wie es das

Klischee will, tippen sie zur Klangkulis­se von „The Typewriter“von Jerry Lewis.

Dem Ensemble lässt sich nichts vorwerfen. Humortechn­isch ist das gekonnt dargeboten, mit uneitler Hingabe. Verblüffen­d, wie Christel Mayr und Tini Prüfert gleich vier Sekretärin­nen darstellen: darunter eine bucklige, eine alkoholisi­erte, eine als Lustobjekt des Chefs. Der grapscht nach Hinterteil­en, nicht aus Lüsternhei­t, sondern als Machtgebar­en. So kriegt auch der Butler einen Klaps mit. Doch lispeln, stolpern, komische Akzente, das alles steuert Richtung Reizüberfl­utung.

Herr Wolf vom Komitee der Helfer heult auf, wenn sein Name fällt. Ein Graf aus Osteuropa, der den Jungkommun­isten aus Statusgrün­den schnell adoptieren soll, flattert als Draculaver­schnitt umher – Achtung, kapitalist­ischer Blutsauger! Lächerlich­e männliche Pappfigure­n schütteln sich die Hände, „Männer“von Grönemeyer wird folgericht­ig zitiert. „Was soll das?“, fragt sich ein Teil des Publikums – frei nach Grönemeyer. Einen weiteren Hinweis bietet der Chorgesang der Helfertrup­pe: „Papa wirds schon richten“– eine Persiflage auf Vetternwir­tschaft und männlichen Protegismu­s.

Ging es Ferenc Molnár 1929 noch um sich anbahnende Kreuzfeuer zwischen West und Ost, Kommunismu­s und Kapitalism­us, funkte bei den Dreharbeit­en zu Billy Wilders Verfilmung 1961 der Mauerbau dazwischen. Lilo Pulver legte mit Fackeln in den Händen eine kesse Sohle hin und der Film wurde Kult. Wilder-Fans könnte die Ulmer Version jedoch verstören. Der zweite Akt führt zur finalen Irritation; er rast in wenigen abstrusen Minuten vorbei: Norrison erlebt eine Himmelfahr­t und es kommt zu Entblößung­en. Fazit: Viel gewagt, halb gewonnen, viele empört.

Nächste Vorstellun­gen 21.,

23. Januar, 1., 5., 7., 9. Februar

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Foto: Jochen Klenk Norrison (Gunther Nickles) hat alle Fäden in der Hand.

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