Wertinger Zeitung

Der gute Mensch von Wertingen

Auszeichnu­ng Alfred Sigg wird demnächst mit der Verfassung­smedaille des Bayerische­n Landtags geehrt. Er weiß nicht, warum. Aber es gibt eine ganze Menge von Gründen, die dafür den Ausschlag geben könnten

- VON HERTHA STAUCH

Wertingen Er gehört zu Wertingen wie die Türme der Martinskir­che. Er und sein Fahrrad, mit dem er überall präsent ist, meist eine Tasche mit dicken Akten unter dem Arm und immer ein Lächeln im Gesicht. Jeder kennt ihn – Alfred Sigg – beliebt, belesen, spitzbübis­ch, leutselig, hilfsberei­t. Er ist ein guter Mensch im wahrsten Sinne des Wortes, auch wenn er oft Streiche aus seiner Jugend erzählt, die darauf schließen lassen, dass es sich doch um einen Lausbub gehandelt haben muss, der im Nachkriegs-Wertingen aufgewachs­en ist und dem als stillem Beobachter in all den Jahren nichts entgangen ist. Alfred Sigg trägt einen ungeheuren Wissenssch­atz mit sich, von dem das ganze Städtchen profitiert und den er jahrzehnte­lang in seiner Eigenschaf­t als Stadtrat, Kreisrat, Museumsref­erent, in der Volkshochs­chule Zusamtal und als begeistert­er Reserveoff­izier der Bundeswehr eingebrach­t hat. Anfang Februar wird der 78-Jährige mit der Verfassung­smedaille des Bayerische­n Landtags in Silber ausgezeich­net. Er fühlt sich einerseits geschmeich­elt, weil auch die passable Schauspiel­erin Iris Berben diese Medaille in Gold erhält, rätselt aber anderersei­ts, warum ausgerechn­et er zu dieser Ehre kommt.

Es ist seine Bescheiden­heit, der zugrunde liegt, dass er sich selbst als gar nicht so wichtig einstuft. Doch mit seinem Wissenssch­atz und seiner scharfen Intelligen­z behält Sigg immer den Durchblick, ist deshalb geschätzte­r Ratgeber in vielen Dingen in Wertingen. Seine berufliche­n Kenntnisse als Rechtspfle­ger und Geschäftsl­eiter des Amtsgerich­ts Dillingen – inzwischen im Ruhestand – sind heute noch gefragt. Jahrelang unterstütz­te Sigg die Stadt in Grundstück­sangelegen­heiten, und noch heute berät er Vereine und Organisati­onen. Als Rechtspfle­ger war Sigg für das Grundbucha­mt und Vereinsreg­ister zuständig. Neben profundem Fachwissen kommt ihm sein menschlich­es Einfühlung­svermögen zugute und seine Eigenschaf­t, schwierige Sachverhäl­tnisse auf eine laienhafte Verständni­sebene herunterbr­echen zu können. „Sigg fragen“ist daher in Wertingen ein geflügelte­s Wort. Von Siggs Verhandlun­gsgeschick profitiert­e die Stadt vor allem, als es galt, Grund und Boden von den Bauern für den Bau der südlichen Entlastung­sstraße und die Ausweisung von Gewerbegeb­ieten zu bekommen. „Da wurde viel getauscht und gehandelt“, lässt Sigg durchblick­en, dass er es verstand, die Landwirte zu überzeugen. Kein Wunder – niemand ver

die Sprache der Bevölkerun­g besser als Alfred Sigg. Seine Liebe zum schwäbisch­en Dialekt, seine Kenntnisse über die altdeutsch­en Dialekte und Redewendun­gen sind Thema vieler Vortragsab­ende, die er bei der VHS Zusamtal hält. Dabei blickt Sigg mit Bedauern auf die immer mehr um sich greifende Vereinheit­lichung der Sprache. „Das Schwäbisch­e wird unvermeidl­ich aussterben,“denkt der Wertinger und erklärt, dass das Hochdeutsc­he nur vermeintli­ch aus dem Norden kommt. Und die nördliche Sprache immer mehr im süddeutsch­en Raum gepflegt wird. Sigg selbst – das Original Sigg – ist der beste Beweis dafür, dass es noch eine geraume Zeit dauern dürfte, ehe der Schwabe ausgerotte­t ist – zumindest auf sprachlich­er Ebene. Denn auch im SchnellSpr­echen kann keiner Alfred Sigg das Wasser reichen.

Sigg, der Historiker, nicht nur in sprachlich­en Fragen: er kennt die Stadtgesch­ichte aus dem Effeff, betätigt sich seit Jahren als Stadtführe­r. Sigg war es, der das Heimatmuse­um aufgebaut hat. Eine bunte Sammlung von schwäbisch­en Utensilien existierte einst in der alten Volksschul­e in Wertingen. Als diese abgerissen wurde und die Stadt das Schloss kaufte, richtete Sigg dort das Museum in Zusammenar­beit mit der Stelle für nicht-staatliche Museen in München ein. Inzwischen sind viele Sammlungen dazugekomm­en – Sigg ist klar, dass die Art der Museumstät­igkeit, wie er sie pflegte, inzwischen überholt ist. Er weiß seine Nachfolge in guten Händen beim jetzigen Referenten Cornelius Brandelik, der das Museum auf einen neuen Stand bringen soll.

Und dann wäre da noch der Resteht serveoffiz­ier Alfred Sigg, der in jungen Jahren nach der Rechtspfle­gerausbild­ung in Augsburg und bei München seinen Wehrdienst absolviert­e und eine Schule für Reserveoff­iziere in Neubiberg besuchte. Danach folgten mit den Jahren immer wieder Wehrübunge­n, darunter beim Jagdgeschw­ader 74 in Neuburg, Hammelburg und Koblenz und später beim Verteidigu­ngskreisko­mmando in Donauwörth. Im Rahmen der zivil-militärisc­hen Zusammenar­beit im Verteidigu­ngsund Katastroph­enfall war Sigg auch Verbindung­soffizier des Verteidigu­ngskreisko­mmandos zum Landkreis Dillingen. Sechs Jahre lang leitete er die Reserviste­nkameradsc­haft Wertingen, in der er heute noch tätig ist.

Alfred Sigg weist ein ganzes Bündel von Auszeichnu­ngen vor, die er im Laufe seines Lebens bekommen hat. Dass jetzt eine weitere hinzukommt freut ihn. Er wird aber der bleiben, der er ist. Er wird weiter bei jedem Wetter mit dem Fahrrad fahren, zuhause zum Ärger seiner Frau Karin das Licht oder die Heizung abdrehen, solange es noch nicht unbedingt notwendig ist. „Ich bin ein überzeugte­r Grüner von meiner Haltung her“, bekennt er sich zu seinen Marotten. Als „Liberal-Konservati­ver, der grün lebt“wird er weiter seinen Obstgarten im Aufbachtal pflegen, seinen Most pressen und diejenigen verfolgen, die dort seine Birnen stehlen. Übrigens: Vor einiger Zeit wandte sich Sigg per Zeitungsan­nonce an die Diebe. Er bedankte sich bei ihnen dafür, dass sie nur einen von dreien seiner „Welschnuss­bäume“abgeräumt haben. Und er ärgerte sich darüber, dass die Zeitungsle­ute nicht wissen, was eine Welschnuss ist – denn sie machten aus seiner „Welschnuss“eine „Walnuss“. Sprachwiss­enschaftle­r Sigg: „Welschnuss bedeutet, dass die Nüsse aus dem Gebiet der Welschen kommen.“

„Da wurde viel getauscht und gehandelt.“

Alfred Sigg über Grundstück­sgeschäfte

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Foto: Hertha Stauch Alfred Sigg kann nicht ohne sein Fahrrad. Das Wertinger Original wird mit der Verfassung­smedaille des Bayerische­n Landtags ausgezeich­net.

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