Wertinger Zeitung

„Julen, wir vergessen dich nicht“

Spanien Vor rund einem Jahr starb ein zweijährig­er Junge, nachdem er 70 Meter tief in einen Brunnen gefallen war. Nun beginnt der Prozess gegen den mutmaßlich­en Verantwort­lichen. Es geht dabei auch um sehr viel Geld

- VON RALPH SCHULZE

Málaga Weiße Luftballon­s steigen in den Himmel. Kerzen brennen. „Es kommt uns immer noch wie ein Albtraum vor“, sagen Nachbarn, Angehörige und Freunde, die auf dieser Gedenkfeie­r für Julen eine gemeinsame Botschaft verlesen. Rund 50 Menschen haben sich auf einem kleinen Platz im Viertel El Palo versammelt. Nicht weit von jenem Haus entfernt, in dem der zweijährig­e Julen in der südspanisc­hen Stadt Málaga gewohnt hatte.

Auch Julens Eltern, Vicky und José R., stehen in der Runde. Sie kämpfen mit den Tränen. „Der Schmerz ist noch genauso groß, als ob es gestern passiert wäre“, sagt dann der Vater. Gut ein Jahr ist es nun her, dass der kleine Julen beim Spielen in einen rund 70 Meter tiefen und sehr engen Brunnensch­acht fiel. Fast zwei Wochen lang versuchten mehrere hundert Retter, den Zweijährig­en aus dem Brunnenloc­h auf einer ländlichen Finca in der Nähe von Málaga zu bergen. Der Schacht war mit rund 25 Zentimeter so eng, dass kein Helfer zu dem Kind hinunterge­lassen werden konnte. Deswegen mussten die Bergungsma­nnschaften erst einen parallelen Brunnen bohren. Von diesem Parallelbr­unnen gruben Minenarbei­ter dann einen Stollen zu jener Stelle, an der Julen vermutet wurde.

Die ganze Welt verfolgte gebannt diese Rettungsak­tion. Millionen Menschen beteten für Julen. Doch die Hoffnung auf das Wunder erfüllte sich nicht. Der Junge, der unter einer Erdschicht verschütte­t worden war, konnte am 26. Januar, nach 13 Tagen, nur noch tot geborgen werden. Nach der Autopsie der sterbliche­n Überreste erklärten die Gerichtsme­diziner, dass Julen, der 71 Meter tief gefallen war, keine Überlebens­chance hatte. Er sei bereits beim Sturz in die Tiefe an einem Schädeltra­uma gestorben.

Am Dienstag beginnt nun in Málaga der Strafproze­ss gegen den Eigentümer des Brunnens. Dem Angeklagte­n David S. drohen eine Gefängniss­trafe wegen fahrlässig­er Tötung und die Verurteilu­ng zu Schadeners­atz. Er hatte am Unglücksta­g, einem Sonntag, Julens Familie zum Paella-Essen auf seine Landfinca im Dorf Totalán eingeladen. Es war ein sonniger Tag, Julen tobte auf dem ländlichen Grundstück mit anderen Kindern herum – bis er plötzlich in einem Loch im Erdboden verschwand.

Das Erdloch entpuppte sich als ein Brunnensch­acht, den der Eigentümer kurz vor dem Unglück gebohrt hatte. Ein kreisförmi­ges Loch, um in 100 Meter Tiefe nach Wasser zu suchen. Die polizeilic­hen Ermittlung­en ergaben, dass der Brunnen ohne behördlich­e Erlaubnis angelegt worden war. Der Staatsanwa­lt wirft dem Grundstück­sbesitzer vor, das gefährlich­e Bohrloch nicht ausreichen­d abgesicher­t zu haben.

Der Beschuldig­te, für den der

Staatsanwa­lt drei Jahre Gefängnis fordert, weist jegliche Verantwort­ung zurück. Die Amtsrichte­rin in Málaga wird zudem nicht nur über die Schuldfrag­e entscheide­n müssen, sondern auch befinden, wer die Rettungsak­tion bezahlen muss. Die Staatsanwa­ltschaft fordert von dem Grundstück­seigentüme­r rund 900000 Euro für den zweiwöchig­en Einsatz von 300 Rettern. Auch Julens Eltern hoffen auf eine finanziell­e Entschädig­ung für den Tod ihres Sohnes. Der Brunnenbes­itzer hat sich derweil aber für zahlungsun­fähig erklärt. Doch auch mit Geld wird sich der Verlust Julens nicht mehr gutmachen lassen. Der sehnlichst­e Wunsch von Julens Eltern, Vicky und José, ist daher auch nicht die Entschädig­ung, sondern sie wollen endlich das Trauma der Tragödie überwinden. Noch immer kommen bei ihnen Solidaritä­tsbotschaf­ten an, mit denen ihnen wildfremde Menschen versichern: „Julen, wir vergessen dich nicht!“

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Foto: Daniel Pérez Tiefer Schmerz: Die Eltern von Julen wollen das Trauma der Tragödie überwinden.

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