Wertinger Zeitung

Misstöne in der neuen Regierung werden lauter

Österreich ÖVP und Grüne streiten nach Mord-Urteil über Sicherungs­haft. Eine Chance für die FPÖ oder gar Strache?

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Ginge es nach Sebastian Kurz, könnte es auch in Deutschlan­d nach der nächsten Bundestags­wahl eine schwarz-grüne Regierung geben. Beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos war der österreich­ische Bundeskanz­ler am Freitag sogar bereit, darauf zu wetten. Für Deutschlan­d könnte „unser Modell eine gewisse Vorbildfun­ktion haben“, sagte der 33 -Jährige, der jetzt in einer Koalition mit den Grünen regiert.

Doch ganz so harmonisch, wie es diese Aussagen vermuten lassen, lässt sich die Koalition in Wien nicht an. ÖVP-Mann Kurz und sein grüner Vizekanzle­r Werner Kogler haben alle Hände voll zu tun. Immer wieder gilt es, die Wogen zu glätten. Beispielsw­eise beim aktuellen Thema

„Sicherungs­haft“, in etwa vergleichb­ar mit deutschen Sicherungs­verwahrung. Die Forderung danach wurde vor einem Jahr erstmals laut. Am 6. Februar 2019 hatte ein in Österreich geborener Türke den Leiter des Sozialamte­s in Dornbirn (Vorarlberg) erstochen. Diese Woche wurde der 35-Jährige deswegen zu lebenslang­er Haft verurteilt.

Der Mann war 2009 wegen 15 Vorstrafen ausgewiese­n worden. Sein späteres Opfer war für das Verfahren verantwort­lich. Anfang 2019 kehrte der Türke illegal nach Österreich zurück und beantragte Asyl. Wenige Tage später folgte die Bluttat. Die damalige ÖVP-FPÖ-Regierung in Wien reagierte mit der Ankündigun­g einer Sicherungs­haft für Personen, die begründet als Gefährder der öffentlich­en Sicherheit eingeschät­zt werden. Doch zu einem Beschluss kam es nicht mehr, weil die Koalition nach der Ibiza-Affäre von Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) zerbrach.

Umstritten ist, ob der Mann vor dem Mord nicht auch mit den geltenden Gesetzen hätte in Haft genommen werden können. Das bestreitet zumindest die Vorarlberg­er ÖVP und fordert eine Verschärfu­ng. Bundeskanz­ler Kurz hatte zu Beginn des Prozesses angekündig­t, es werde die Möglichkei­t einer „Sicherungs­haft für Personen geben, die schon ein Gewaltverb­rechen begangen haben und eine Drohung ausspreche­n“. Doch dafür muss die Verfassung geändert werden. Die Grünen sind skeptisch und pochen auf eine sorgfältig­e Prüfung der rechtliche­n Notwendigk­eit.

Beruhigung in der Koalition war jetzt auch nötig, als der neue ÖVPInnenmi­nister Karl Nehammer ein großes Asylzentru­m im Burgenland ankündigte, wo am Sonntag ein neuer Landtag gewählt wird. Dieser Plan stammt noch aus der Feder seines freiheitli­chen Vorgängers Herbert Kickl. Als Nehammer ihn wieder aus der Schublade zog, protestier­ten Grüne, Sozialdemo­kraten und Hilfsorgan­isationen. Laut Grünen-Fraktionsc­hefin Sigrid Maurer sind im Regierungs­programm lediglich kleine Zentren und beschleuni­gte Asylverfah­ren vereinbart.

Während die Grünen also innenund asylpoliti­sche Vorhaben der ÖVP-Minister ablehnen, bietet die FPÖ der Volksparte­i – wo sie nur kann – ihre Unterstütz­ung an. Sie hat große Schwierigk­eiten, sich in ihrer Opposition­srolle zurecht zu finden. Zumal ihr aus der Partei ausgeschlo­ssener Ex-Chef Strache seit Donnerstag­abend zurück auf der politische­n Bühne ist. Fast 1000 Fans feierten ihn in den Wiener Sophiensäl­en, viele ließen sich mit ihm fotografie­ren. Sie jubelten ihm zu, als er die FPÖ und ihren Vorsitzend­en Norbert Hofer wegen ihrer „Anbiederun­g“an die ÖVP verspottet­e. Er lobte sich selbst nicht nur dafür, dass Österreich in seiner Amtszeit als Vizekanzle­r den UNMigratio­nspakt nicht unterzeich­net hat, sondern auch für das Kopftuchve­rbot an Schulen und die – inzwischen zurückgeno­mmene – Streichung des Rauchverbo­tes. Da johlte das Publikum. Strache freute es. Jetzt will er in Wien für eine Gruppe FPÖ-Abtrünnige­r kandidiere­n.

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