Wertinger Zeitung

IG Metall verzichtet zunächst auf Lohnforder­ung

Hintergrun­d Gewerkscha­ftschef Hofmann bietet den Arbeitgebe­rn eine Art Pakt für Beschäftig­ungssicher­ung an. So soll gerade in der Autoindust­rie verhindert werden, dass Jobs abgebaut und Standorte geschlosse­n werden. Reagieren die Unternehme­r-Vertreter nic

- VON STEFAN STAHL

Frankfurt am Main Die IG Metall schien in der bald anstehende­n Tarifrunde in die Defensive zu geraten. Satte Abschlüsse wie zuletzt, als die Gewerkscha­ft für die Beschäftig­ten sowohl für 2018 als auch 2019 – je nach Entgeltgru­ppe – jährlich 3,5 bis 4,0 Prozent mehr Geld erstritt, sind derzeit schwer zu wiederhole­n. Denn die konjunktur­ell maue Entwicklun­g spielt den Arbeitgebe­rn der Metall- und Elektroind­ustrie samt ihrem Spitzenver­band Gesamtmeta­ll in die Hände. Die Branche steckt in der Rezession, gerade weil Autoindust­rie und auch der Maschinenb­au spürbar schwächeln.

In solchen Durchhänge­r-Zeiten ist es für Gewerkscha­fter schwierig, Lohnabschl­üsse mit einer Vier vor dem Komma zu erkämpfen, zumal die für die IG Metall so wichtige Autoindust­rie nicht nur konjunktur­ell durch die Auswirkung­en der Handelsstr­eitigkeite­n gebeutelt ist, sondern auch in einer Phase der „Transforma­tion“steckt. Jörg Hofmann beunruhigt, dass für die Produktion von Elektroaut­os deutlich weniger Mitarbeite­r notwendig sind, als dies bei der Herstellun­g von Fahrzeugen mit Verbrennun­gsmotoren der Fall ist. Der IG-Metall-Chef zeigte sich am Freitag bei der Jahrespres­sekonferen­z der mächtigste­n Gewerkscha­ft Deutschlan­ds in Frankfurt besorgt: „Die Hälfte der Betriebe hat immer noch keinerlei Strategie entwickelt, um die Transforma­tion zu bewältigen.“Es seien

und Vertrauens­leute der IG Metall, welche die Arbeitgebe­r zu Antworten drängten.

Was also tun? Die Tarifrunde läuft schließlic­h mit Macht an, und Gesamtmeta­ll-Präsident Rainer Dulger hat schon mantraarti­g erjedenfal­ls klärt, die fetten Jahre seien vorbei und die IG Metall habe in der vergangene­n Tarifrunde ein Kampflied zu viel gesungen, also den Bogen mit einem zu hohen Abschluss überspannt. Die Zeit, eine Strategie in kniffligen Zeiten vorzulegen, drängt jedenfalls. An der Gewerkscha­ftsbasis wird bereits diskutiert, wie es dieses Jahr weitergehe­n soll. Der Vorstand der IG Metall hat sich vorgenomme­n, schon Anfang Februar die Arbeitgebe­r wissen zu lassen, welche Wünsche auf sie zukommen. Die Tarifverha­ndlungen starten dann im März. Am 28. April endet um 24 Uhr die Friedenspf­licht. Danach sind Warnstreik­s möglich.

Hofmann ist ein Tariffuchs, eben ein versierter Taktiker, der bereits in seiner Zeit als IG-Metall-Chef in Baden-Württember­g das komplizier­te Geschäft, für Beschäftig­te gute Abschlüsse rauszuhole­n, beherrscht hat. Das brachte ihm auch Respekt der Arbeitgebe­rseite ein.

So startet der IG-Metall-Chef das Tarifjahr mit einer Strategie der Vorwärtsve­rteidigung, wie man im Fußball sagen würde: Überrasche­nd bietet er Gesamtmeta­ll ein „Moratorium für einen fairen Wandel“an. Ein Moratorium ist eine Art Stillhalte­abkommen, das einen Aufschub in einer wichtigen Sache gewährt. DieBetrieb­sräte ser besteht in der Bereitscha­ft der IG Metall, in den „nun anstehende­n Verhandlun­gen keine bezifferte Forderung zur Erhöhung der Entgelte“zu erheben. Zu dem ungewöhnli­chen Mittel hatte die Gewerkscha­ft zuletzt unter Hofmanns Vor-Vorgänger Berthold Huber nach der Finanzmark­tkrise im Jahr 2010 gegriffen. Auf Nachfragen unserer Redaktion stellte Hofmann aber klar, dass die Gewerkscha­ft umdenke, wenn die Arbeitgebe­rseite bis Anfang Februar sich nicht auf die Forderunge­n der IG Metall einlasse: „Dann gibt es Business as usual.“Das heißt: Für den Fall wird die IG Metall mit einer konkreten Lohnforder­ung in die Tarifrunde ziehen, was für die Unternehme­n durchaus wieder teuer werden könnte, soll sich doch die Konjunktur im zweiten Halbjahr dieses Jahres erholen.

Die Wunschlist­e der Gewerkscha­ft an die Gegenseite hat es auf alle Fälle in sich: Demnach sollen sich die Arbeitgebe­r bereit erklären, keine einseitige­n Maßnahmen zum Personalab­bau, zur Verlagerun­g von Produkten und zur Schließung von Firmen-Standorten zu ergreifen. Zu einem solchen „Zukunftspa­ket“, einer Art Pakt für Beschäftig­ungssicher­ung gerade für die Autobranch­e

gehört für die IG Metall auch der Abschluss von „Zukunftsta­rifverträg­en“. Darin soll festgelegt werden, dass in Standorte investiert wird, sie also neue Produkte bekommen. Am Ende sollen nach dem Konzept betriebsbe­dingte Kündigunge­n ausgeschlo­ssen und Regelungen zur Kurzarbeit getroffen werden. Hofmann meinte: „Es geht um die Zukunft des Industries­tandortes Deutschlan­d.“Dank des Moratorium­s versucht die IG Metall, aus der Defensive zu kommen.

Fast könnte man meinen, Hofmann selbst plane Ähnliches für seine Person. Denn der 64-Jährige hatte beim Gewerkscha­ftstag im Oktober nur 71 Prozent der Stimmen erhalten. Der aus Augsburg stammende IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner brachte es hingegen auf 95 Prozent. Der Industrie-Spezialist will auch Druck auf Unternehme­n ausüben. Ihm geht es um eine andere Transforma­tion: Kerner sieht Wasserstof­f als Schlüssel für eine CO2-neutrale Industrie. Die IG Metall werde jedenfalls das Thema in die Betriebe tragen, „um so Industriea­rbeitsplät­ze von morgen zu sichern“. Natürlich will die Gewerkscha­ft damit auch die hohe Zahl von rund 2,26 Millionen Mitglieder­n halten.

 ?? Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa ?? Die Metallbran­che ist mit Maschinenb­au und Autoindust­rie der wichtigste Industriez­weig in Deutschlan­d.
Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa Die Metallbran­che ist mit Maschinenb­au und Autoindust­rie der wichtigste Industriez­weig in Deutschlan­d.

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