Gabriels Weg geht zur Deutschen Bank
Porträt Viele sahen in dem früheren SPD-Chef eines der größten politischen Talente der SPD. Andere halten ihn für unberechenbar. Nun überrascht er wieder – mit einem umstrittenen Wechsel
Frankfurt am Main Abgeordneter, Ministerpräsident, Bundesminister, Vizekanzler, SPD-Vorsitzender – Sigmar Gabriel hat in seinem politischen Leben allerhand gemacht. Als Bankenfachmann ist er allerdings noch nicht in Erscheinung getreten – bis auf den Vorsitz des Verwaltungsrates der staatlichen Förderbank KfW. Doch ein Alphatier wie der Mann aus Goslar traut sich vieles zu. Die Deutsche Bank holt den ehemaligen SPD-Chef jetzt in ihren Aufsichtsrat.
Es war im vergangenen Herbst, da stellte der Sozialdemokrat in Berlin das neue Buch von Wolfgang Kubicki vor und listete ein paar Beschreibungen des FDPVize auf: „Querulant des Nordens, Quartalsirrer, Enfant terrible, Paradies
Knallfrosch, Selbstdarsteller, Egomane, Zyniker, Abzocker, Windei, Schuft.“Er könnte noch ein paar mehr solcher Beschreibungen über sich selbst hinzufügen, ergänzte Gabriel.
In die Politik fand Gabriel 1976 als Schüler über die sozialistische Jugendorganisation „Die Falken“. Später studierte er Germanistik, Politik und Soziologie für das Lehramt in Gymnasien und saß im Kreistag und Stadtrat seiner Heimatstadt Goslar, wo er bis heute wohnt. 1990 zog er in den niedersächsischen Landtag ein. Als Gerhard Glogowski, der Gerhard Schröder als Ministerpräsident beerbt hatte, über eine Affäre stolperte, wurde Gabriel 1999 Regierungschef. Die nächste Landtagswahl 2003 versiebte der heute 60-Jährige für die SPD allerdings.
Gabriel wechselte die Liga, ging aus Hannover nach Berlin, wurde Umweltminister (2005–2009),
SPD-Vorsitzender (2009–2017) und Wirtschaftsminister (2013–2017). Für Martin Schulz verzichtete er Anfang 2017 auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur und übernahm das Außenministerium, das er nach der Wahl 2017 gern behalten wollte, aber an Heiko Maas abgeben musste. Einfacher Abgeordneter zu sein – das war für Gabriel nichts.
Anfang November vergangenen Jahres legte er sein Bundestagsmandat nieder. Es war das Ende seiner politischen Karriere, was ihn aber nicht davon abhält, sich weiter zu tagespolitischen Fragen zu äußern. Und indem er den Vorsitz der Atlantik-Brücke übernahm, blieb er auch der Politik treu.
Den Wechsel in die Wirtschaft hätte der in zweiter Ehe mit einer Zahnärztin verheiratete Vater dreier Töchter beinahe schon im vergangenen Oktober vollzogen. Gabriel war als neuer Präsident des Verbandes der Automobilindustrie im Gespräch, verzichtete jedoch. Die Deutsche Bank hat sich mit ihm einen Mann an Bord geholt, über den die Meinungen auseinandergehen – von durchsetzungsstark und hochtalentiert bis sprunghaft und unberechenbar reichen die Attribute.
Deutschlands größtes Geldhaus hat am Freitag einen Antrag zur Bevogel, stellung des 60-Jährigen am Amtsgericht Frankfurt eingereicht. Gabriels Nominierung löste bei der Opposition Empörung aus. Die SPD, deren Parteichef Gabriel von 2009 bis 2017 war, äußerte sich ausdrücklich nicht zu der Personalie. Wechsel früherer Spitzenpolitiker in die Wirtschaft sorgen regelmäßig für Kritik. Zustimmung kam aus dem Gewerkschaftslager, das in vielen Aufsichtsräten vertreten ist.
Auf der Deutsche-Bank-Hauptversammlung am 20. Mai soll sich Gabriel den Aktionären zur Wahl stellen. Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Paul Achleitner äußerte sich erfreut, dass die Bank „einen überzeugten Europäer und Transatlantiker“gewonnen habe. Mit rechtlichen Problemen muss Gabriel beim Wechsel in die Wirtschaft nicht rechnen: Das Bundesministergesetz sieht lediglich vor, dass Mitglieder der Regierung „innerhalb der ersten 18 Monate nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt eine Erwerbstätigkeit oder sonstige Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes“anzeigen müssen. Für Gabriel sei die Frist am 14. September 2019 abgelaufen. Die Organisation abgeordnetenwatch.de forderte eine längere Karenzzeit.