Wertinger Zeitung

Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott (15)

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Beide werden eingesperr­t. Adieu Zukunft, lieber Z!

Es sind schon größere Herren über die Liebe gestolpert, über die Liebe, die auch naturnotwe­ndig ist und also ebenfalls gottgewoll­t. Und ich höre wieder den Pfaffen: „Das Schrecklic­hste auf der Welt ist Gott.“Und ich höre einen wüsten Lärm, Geschrei und Gepolter. Alles stürzt zu einem Zelt.

Es ist das Zelt mit dem Kästchen. Der Z und der N raufen, man kann sie kaum trennen.

Der N ist rot, er blutet aus dem Mund.

Der Z ist weiß.

„Der N hat sein Kästchen erbrochen!“ruft mir der Feldwebel zu.

„Nein!“schreit der N. „Ich habs nicht getan, ich nicht!“

„Wer denn sonst?!“schreit der Z. „Sagen Sies selber, Herr Lehrer, wer könnt es denn sonst schon getan haben?!“

„Lüge, Lüge!“

„Er hat es erbrochen und sonst niemand! Er hats mir ja schon angedroht,

daß er es mir zertrümmer­n wird!“

„Aber ich habs nicht getan!“„Ruhe!“brüllt plötzlich der Feldwebel.

Es ist still.

Der Z läßt den N nicht aus den Augen.

Jeder, der sein Kästchen anrührt, stirbt, geht es mir plötzlich durch den Sinn. Unwillkürl­ich blick ich empor. Aber der Himmel ist sanft.

Ich fühle, der Z könnte den N umbringen.

Auch der N scheint es zu spüren. Er wendet sich kleinlaut an mich.

„Herr Lehrer, ich möcht in einem anderen Zelt schlafen. “„Gut.“

„Ich habs wirklich nicht gelesen, sein Tagebuch. Helfen Sie mir, Herr Lehrer!“

„Ich werde dir helfen.“Jetzt sieht mich der Z an. Du kannst nicht helfen, liegt in seinem Blick.

Ich weiß, ich habe den N verurteilt.

Aber ich wollt es doch nur wissen, ob der Z mit den Räubern ging, und ich wollt ihn doch nicht leichtfert­ig in einen Verdacht bringen, drum hab ich das Kästchen erbrochen.

Warum sag ichs nur nicht, daß ich es bin, der das Tagebuch las?

Nein, nicht jetzt! Nicht hier vor allen! Aber ich werde es sagen. Sicher! Nur nicht vor allen, ich schäme mich! Allein werd ichs ihm sagen. Von Mann zu Mann! Und ich will auch mit dem Mädel reden, heut nacht, wenn er sie trifft. Ich werde ihr sagen, sie soll sich nur ja nimmer blicken lassen, und diesem dummen Z werde ich ordentlich seinen Kopf waschen – dabei solls dann bleiben! Schluß!

Wie ein Raubvogel zieht die Schuld ihre Kreise. Sie packt uns rasch.

Aber ich werde den N freisprech­en.

Er hat ja auch nichts getan. Und ich werde den Z begnadigen. Und auch das Mädel. Ich lasse mich nicht unschuldig verurteile­n! Ja, Gott ist schrecklic­h, aber ich will ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Mit meinem freien Willen.

Einen dicken Strich.

Ich werde uns alle retten. Und wie ich so überlege, fühle ich, daß mich wer anstarrt.

Es ist der T.

Zwei helle runde Augen schauen mich an. Ohne Schimmer, ohne Glanz.

Der Fisch! durchzuckt es mich. Er sieht mich noch immer an, genau wie damals beim Begräbnis des kleinen W.

Er lächelt leise, überlegen, spöttisch.

Weiß er, daß ich es bin, der das Kästchen erbrach?

Neunzehnte­s Kapitel Der Mann im Mond

Der Tag wurde mir lang. Endlich sank die Sonne. Der Abend kam, und ich wartete auf die Nacht. Die Nacht kam, und ich schlich mich aus dem Lager. Der Feldwebel schnarchte bereits, es hat mich keiner gesehen. Zwar hing noch der Vollmond über dem Lager, aber aus dem Westen zogen die Wolken in finsteren Fetzen vorbei. Immer wieder wurde es stockdunke­l und immer länger währte es, bis das silberne Licht wieder kam.

Dort, wo der Wald fast die Zelte berührt, dort wird er wachen, der Z. Dort saß ich nun hinter einem Baum. Ich sah ihn genau, den Posten.

Es war der G.

Er ging etwas auf und ab. Droben rasten die Wolken, unten schien alles zu schlafen.

Droben tobte ein Orkan, unten rührte sich nichts.

Nur ab und zu knackte ein Ast. Dann hielt der G und starrte in den Wald.

Ich sah ihm in die Augen, aber er konnte mich nicht sehen.

Hat er Angst?

Im Wald ist immer was los, besonders in der Nacht.

Die Zeit verging.

Jetzt kommt der Z.

Er grüßt den G, und der geht. Der Z bleibt allein.

Er sieht sich vorsichtig um und blickt dann zum Mond empor.

Es gibt einen Mann im Mond, fällt es mir plötzlich ein, der sitzt auf der Sichel, raucht seine Pfeife und kümmert sich um nichts. Nur manchmal spuckt er auf uns herab. Vielleicht hat er recht.

Um zirka halb drei erschien endlich das Mädel, und zwar so lautlos, daß ich sie erst bemerkte, als sie bereits bei ihm stand.

Wo kam sie her?

Sie war einfach da.

Jetzt umarmt sie ihn, und er umarmt sie.

Sie küssen sich.

Das Mädel steht mit dem Rücken zu mir, und ich kann ihn nicht sehen. Sie muß größer sein als er.

Jetzt werde ich hingehen und mit den beiden sprechen. Ich erhebe mich vorsichtig, damit sie mich nicht hören. Denn sonst läuft mir das Mädel weg.

Und ich will doch auch mit ihr reden.

Sie küssen sich noch immer.

Es ist Unkraut und gehört vertilgt, geht es mir plötzlich durch den Sinn.

Ich sehe eine blinde Alte, die stolpert und stürzt.

Und immer muß ich an das Mädel denken, wie sie sich reckt und über die Hecke schaut.

Sie muß einen schönen Rücken haben.

Ihre Augen möchte ich sehen. Da kommt eine Wolke und alles wird finster.

Sie ist nicht groß, die Wolke, denn sie hat einen silbernen Rand. Wie der Mond wieder scheint, gehe ich hin. Jetzt scheint er wieder, der Mond.

Das Mädel ist nackt.

Er kniet vor ihr.

Sie ist sehr weiß.

Ich warte.

Sie gefällt mir immer mehr. Geh hin! Sag, daß du das Kästchen erbrochen hast! Du, nicht der N! Geh hin, geh!

Ich gehe nicht hin.

Jetzt sitzt er auf einem Baumstamm, und sie sitzt auf seinen Knien.

Sie hat herrliche Beine.

 ??  ?? Ein Lehrer begleitet seine Schüler ins österliche Zeltlager, das vormilitar­istische Ausbildung zum Ziel hat. Aus dem Verdacht heraus auf mögliche Straftäter, liest er vertrauens­brechend und widerrecht­lich ein Tagebuch, wodurch er in einen Mord verwickelt wird … © Projekt Gutenberg
Ein Lehrer begleitet seine Schüler ins österliche Zeltlager, das vormilitar­istische Ausbildung zum Ziel hat. Aus dem Verdacht heraus auf mögliche Straftäter, liest er vertrauens­brechend und widerrecht­lich ein Tagebuch, wodurch er in einen Mord verwickelt wird … © Projekt Gutenberg

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