„Ich bin nah dran, näher muss nicht sein“
Fußball Lothar Matthäus war Weltmeister, Weltfußballer und ist Rekordnationalspieler. Zur ganz großen Trainerkarriere hat es nicht gereicht. Stattdessen erklärt er den Sky-Zuschauern Fußball. Der 58-Jährige ist mit sich im Reinen
Herr Matthäus, Sie sind ab jetzt auch auf einem Podcast Ihres TV-Senders Sky zu hören.
Lothar Matthäus: Man passt sich der Zeit an, würde ich sagen. Ein Podcast hat eine persönlichere Wirkung als eine Kolumne, die ich auch schon schreibe. Da kann ich umfangreicher über Themen sprechen.
Sie sind auch in den sozialen Medien sehr aktiv, haben Profile auf Twitter, Instagram und Facebook. Stammen die Inhalte da alle von Ihnen? Matthäus: Nein, das macht mein zukünftiger Schwiegersohn. Der kennt sich aus und fragt mich, ob ich ihm Bilder schicken kann von meinen Reisen. Da halte ich mich raus.
Sie kommentieren seit 2012 das Geschehen in der Bundesliga für Sky. Haben Sie sich in den letzten Jahren etwas gelangweilt, wenn Bayern sieben Mal in Folge Meister geworden ist? Matthäus: Ach, wir haben doch eine gute und spannende Bundesliga. Natürlich war das ein oder andere Jahr, was die Meisterschaft anging, nicht so spannend, weil gefühlt bereits zu Weihnachten feststand, dass die Bayern es schaffen. Aber es gab auch spannende Begegnungen dahinter, um die Champions League oder den Klassenerhalt. Seitdem ich dabei bin, haben wir eigentlich immer das ein oder andere Endspiel am letzten Spieltag gehabt. Aber ich freue mich natürlich, wenn es so spannend ist wie im vergangenen Jahr. Ich habe selbst einige Meisterschaften gewonnen und weiß, dass es auch für die Spieler emotionaler ist, wenn der Titel am letzten Spieltag gewonnen wird.
Was war Ihre schönste Meisterschaft? Matthäus: Ganz klar die mit Bayern 1986. Wir mussten gegen Gladbach zu Hause gewinnen und darauf hoffen, dass Stuttgart Bremen schlägt, obwohl es für den VfB um nichts mehr ging. Wir waren an 33 Spieltagen nie oben, nur zum Schluss. Das war sehr emotional – wir haben ja selbst nicht mehr daran geglaubt.
Sie haben sich in der aktuellen Meisterfrage kürzlich klar festgelegt: Bayern fängt Leipzig noch ab.
Matthäus: Aber es wird bis zum Schluss eine knappe Sache bleiben, ein Dreikampf zwischen Bayern, Leipzig und Dortmund. Leipzig und Dortmund haben zuletzt auch Rückstände gedreht, sodass der Titel nur über einen dieser drei Klubs führen wird. Es würde mich zwar auch sehr für Gladbach freuen – das ist ein Verein, von dem ich als Kind die Poster in meinem Zimmer hängen hatte. Aber ich glaube, der Kader ist noch nicht ganz so weit. Sie haben in der Hinrunde nie über längere Zeit stabil gespielt.
Ist die jetzige Spannung einmalig oder verschieben sich gerade die Machtverhältnisse zugunsten von Leipzig? Matthäus: Möglicherweise. RB Leipzig hat einen riesen Job gemacht. Ich kenne das Konzept Red Bull aus meiner Zeit in Salzburg. Das ist einfach sensationell, wie die das machen. Sie kaufen ja keine fertigen Spieler, sondern junge talentierte und verkaufen diese mit Gewinn wieder. Keita war so ein Beispiel und Upamecano wird wahrscheinlich der nächste sein: Sein Vertrag läuft in einem Jahr aus und er hat Angebote aus England. Am Anfang musste Red Bull die Vorkasse leisten, aber jetzt lebt der Verein von den aktuellen Erfolgen und ist unabhängiger.
Hasan Salihamidzic ist bei den Bayern für die Kaderplanung zuständig. Muss er zulegen? Matthäus: Hasan ist fleißig... ... aber reicht fleißig sein denn? Matthäus: Er hat es auch nicht einfach. Mit Uli Hoeneß und KarlHeinz Rummenigge waren zwei Alphatiere da, die sich bemerkbar gemacht haben. Max Eberl hat es zum Beispiel in Mönchengladbach einfacher, weil ihm keiner reinredet. Und dann greift Hasan in die ganz obere Schublade rein – dort, wo andere Vereine mit noch mehr Geld auch Interesse haben. Aber ich glaube, dass Hasan absolut zulegen muss, absolut. Manche Dinge werden zu Recht in der Öffentlichkeit kritisiert.
Hat der Trainerwechsel bei Bayern eine Wirkung gezeigt?
Matthäus: Ich glaube, dass es atmosphärisch wieder stimmt bei den Bayern. Ich will Niko Kovac nicht zu nahe treten, weil ich ihn respektiere. Aber irgendetwas hat nicht gestimmt. Man hat Dinge gehört, bei denen sich der Verdacht aufdrängte, dass die Mannschaft nicht mitzieht. Hansi Flick hat das Jupp-HeynckesGefühl wieder zurückgebracht und die Mannschaft vereint. Er ist ein Menschenfänger und hält gute Ansprachen. Bayern spielt jetzt wieder viel dominanter, auch wenn sie zwei Bundesligaspiele knapp verloren haben. Deswegen glaube ich, dass Hansi Flick ein Trainer für die Bayern ist – auch über die Saison hinaus.
Einer Ihrer alten Weggefährten ist Stefan Reuter, der beim FC Augsburg Geschäftsführer Sport ist. Welches Zeugnis stellen Sie ihm aus? Matthäus: Der FCA ist ein fester Bestandteil der Bundesliga und Stefan macht in Augsburg einen super Job – von daher gibt es auf alle Fälle die Schulnote zwei. Die Augsburger haben immer wieder Schwierigkeiten mit Spielern, die dann weg wollen. Deswegen muss der FCA sich neue Spieler holen – das ist nicht so einfach mit diesem Budget.
Beim FCA wird Philipp Max immer wieder mit der Nationalelf in Verbindung gebracht. Wie sehen Sie das? Matthäus: Max spielt auf einer Position, auf der die Nationalelf nicht gerade blendend besetzt ist: Schulz ist bei Dortmund kein Stammspieler mehr, Hector hat ein Jahr in der zweiten Liga gespielt und spielt jetzt in Köln im Mittelfeld. Meiner Meinung nach hätte Max eine Nominierung verdient. Er hat sich stabilisiert, liefert Tore und Vorlagen. Deswegen sollte er die Chance bekommen, die die anderen auch erhalten haben. Andererseits gibt es bis zur Europameisterschaft nur noch eine Länderspielpause Ende März – da will man als Trainer auch nicht mehr allzu viel ausprobieren. Es wird schwierig für ihn, noch auf den EM-Zug aufzuspringen.
Vor einem Jahr unterlief Ihnen auf Sendung mit „Wäre, wäre, Fahrradkette“ein Lapsus, der es fast in den aktiven Sprachgebrauch geschafft hat. Ärgert Sie so etwas oder können Sie über sich lachen?
Matthäus: Da kann ich definitiv über mich lachen. Ich wusste ja eine Sekunde später, was passiert ist. Es ist nichts Verwerfliches, sondern, wie Sie gesagt haben, fast schon aktiver Sprachgebrauch. Das passiert halt in einer Livesendung.
Sprechen Sie manchmal noch von sich selbst in der dritten Person? Matthäus: Das fällt mir nicht wirklich auf, weil ich weniger über mich, sondern mittlerweile um vieles mehr über andere rede. Aber es kann natürlich immer mal wieder vorkommen.
Ihr alter Weggefährte Jürgen Klinsmann ist neuerdings Trainer bei Hertha BSC Berlin. Hat Sie seine Bundesliga-Rückkehr überrascht? Matthäus: Nein. Aufgrund der Position, die er in Berlin hatte und der aufkommenden Trainersuche habe ich damals schon gesagt: Wenn Jürgen gefragt wird, dann wird er es machen. Er ist fußballverrückt, voll in der Materie drin. Er wollte ja eigentlich Nationaltrainer von Ecuador werden, war sich mit dem Verband einig. Für die Bundesliga ist er in jedem Fall eine absolute Bereicherung.
Ihr Verhältnis war früher nicht immer das beste. Ist das besser geworden? Matthäus: Ach, wir haben schon häufig miteinander gesprochen. Ich habe ihn in Kalifornien besucht, wir haben uns bei Länderspielen und bei Bundesligaspielen gesehen. Wir waren auf dem Platz nicht die besten Freunde, aber wir haben gemeinsam viele Erfolge gehabt.
Sie haben Ihre Trainer-Karriere zwar beendet – aber könnten Sie diesen Entschluss nicht rückgängig machen, wenn das richtige Angebot käme? Matthäus: Nein, absolut nicht. Das kommt für mich nicht mehr infrage. Ich bin Experte bei Sky und DFLBotschafter. Ich habe aber auch mein Privatleben. Ich fühle mich wohl und ich kann zum größten Teil entscheiden, wie und was ich mache. Ich habe Zeit für Freunde, Zeit für meine Familie. Ich habe nicht den Stress, kann beruhigt schlafen. Ein Trainer denkt von morgens bis abends an Fußball und träumt auch von Fußball, weil er sich hinterfragen muss. Fußball ist auch von der Seite, von der ich ihn betrachte, sehr interessant. Ich bin nah dran, das ist mir wichtig. Aber näher dran muss ich nicht sein.
Ist Ihr Leben jetzt besser?
Matthäus: Angenehmer und komfortabler. Aber ich nehme meine Aufgaben ernst. Früher habe ich trainiert, heute informiere ich mich über das Topspiel Bayern – Schalke.
Das hört sich so an, als ob Sie diese Freiheit genießen.
Matthäus: Ja, sehr. Wenn mir das nicht bewusst gewesen wäre, dann wäre ich auch nicht vor einigen Jahren noch mal Vater geworden. Da will man ja auch das Kind miterleben – das habe ich bei meinen ersten drei Kindern nicht geschafft, weil ich nur unterwegs war. Ich bin jetzt zwar auch viel unterwegs, kann es aber selbst stark beeinflussen. Mein Sohn ist jetzt fünf Jahre, übernächste Woche gehen wir zum ersten Mal nach München ins Stadion – das sind Momente, die du als Vater gerne erlebst. Das war mir zu meiner aktiven Zeit nicht gegönnt.
Holen Sie jetzt etwas nach? Matthäus: Absolut. Ich hatte einen
Traumjob, habe meine Liebe zum Job gemacht. Andererseits musste ich auf viele Dinge verzichten. Ich hatte Verpflichtungen gegenüber meinem Verein und der Nationalmannschaft. Jetzt mache ich etwas, was ich früher nicht tun konnte.
Leverkusens Spieler Kevin Volland hat kürzlich bemängelt, dass im Fußball jeder Ängste in sich hineinfrisst. Wie sind Sie als Spieler mit Ängsten und Zweifeln umgegangen? Matthäus: Ich habe nie Druck verspürt, sondern immer Freude und Spaß gehabt. Jedes Training war für mich Freude. Natürlich wurde ich auch kritisiert, beschimpft und niedergeschrieben, aber ich habe das nicht an mich rangelassen. Wenn man das nicht kann, kann ich mir schon vorstellen dass das zur Belastung wird. Aber wer hat denn den Druck? Das ist doch eigentlich nicht der Spieler, sondern der Trainer. Der wird als erstes kritisiert. Wenn ein Spieler aus drei Meter das Tor nicht trifft, fällt das doch trotzdem auf den Trainer zurück – obwohl das Unfug ist. Ich habe schon immer gesagt: Auch wenn wegen des Trainers keiner ins Stadion geht, müsste der eigentlich am meisten verdienen. Der trägt auch die Verantwortung, muss sich mit Manager und Präsident abstimmen und im Hinterkopf die Trainingspläne haben. Als ich in Israel war, mussten fünf Spieler eines Morgens zum Militär – da hatte ich auf einmal nicht mehr 20, sondern nur noch 15 Spieler.
Das klingt, als ob Ihnen diese Leichtigkeit, die Sie als Spieler hatten, als Trainer verloren gegangen ist. Matthäus: Als Trainer bist du ganz anders unter Druck. Aber ich hatte keine Ängste. Ich war immer gesund, das ist mein größtes Gut.
Sie leben seit 16 Jahren in Ungarn. Was schätzen Sie an diesem Land? Matthäus: In Ungarn lassen mich die Leute zufrieden. Der Bekanntheitsgrad ist da, weil ich mal Nationaltrainer war, aber die Leute interessieren sich nicht so stark für mein Privatleben, sondern nehmen mich im Restaurant wahr wie jeden anderen Gast.
„Jürgen Klinsmann und ich waren auf dem Platz nicht die besten Freunde, aber wir haben gemeinsam viele Erfolge gehabt.“
Lothar Matthäus
In Ruhe ins Restaurant gehen ist in Deutschland nicht drin, oder? Matthäus: Du fühlst dich vor allem immer beobachtet. In Ungarn merke ich nicht mal, dass mich einer anschaut. Da schaut keiner, ob ich jetzt zwei oder drei Bier trinke. Das ist für mich Leichtigkeit: In Ungarn kann ich ein Leben führen, wie es 99,9 Prozent der Leute in Deutschland machen. Außerdem ist Budapest eine super Stadt. Unser Sohn geht in einen deutschen Kindergarten, es ist alles da. Meine Frau beschwert sich nur immer, dass man da nicht so toll shoppen kann, aber das ist mir ja nicht so wichtig.
Ungarisch soll aber eine schwere Sprache sein.
Matthäus: Ich bin 16 Jahre da und eigentlich müsste ich mich schämen, weil ich keine 20 Wörter spreche. Mein Sohn spricht besser als ich.
Seit sieben Jahren analysieren Sie als Sky-Experte die Bundesliga. Kann es sein, dass Sie mal keine Lust mehr auf Fußball haben?
Matthäus: Es macht mir jetzt noch Spaß. Natürlich werde ich irgendwann mal weniger machen. Da habe ich mir aber keinen Zeitpunkt gesetzt. Aber ich habe gerade große Freude an meiner Arbeit. Diese Top-Spiele wie Bayern gegen Schalke – das ist auch nach all dieser Zeit noch etwas ganz Besonderes.