Wertinger Zeitung

Schaffen wir das?

Serie Beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos wurde das Problem wieder offenkundi­g: Der Klimawande­l verlangt Umkehr – aber wer den Wohlstand vernachläs­sigt, riskiert auch politische Verwerfung­en. Eine Suche nach Alternativ­en

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Ist das die „größte Menschheit­saufgabe aller Zeiten“? Die Länder dieser Erde müssen sich darin einig werden, ihre Umwelt zu schonen und das Nötige gegen den Klimawande­l zu unternehme­n, weil sonst die Folgen für alle verheerend sein werden – so beschreibt es Bernd Ulrich von der Zeit in seinem Buch „Alles muss anders werden“. Demnach gibt es keine Alternativ­en. Selbst wer, wie nun zum Weltwirtsc­haftsforum in Davos wieder zu hören, im Grunde das Umdenken und Umsteuern bejaht, aber zugleich vor zu schnellen Schritten warnt, weil diese schwerwieg­ende wirtschaft­liche, dann soziale und schließlic­h politische Probleme bringen könnten – gerade der hat nicht verstanden. Ulrich: „Wir haben es zugelassen, dass wir selbst nun an einen Punkt gekommen sind, an dem nur noch eine radikale ökologisch­e Wende ein ökologisch­es Desaster verhindern kann!“

Anderersei­ts ist da einer wie Andrew McAfee, prominente­r Technikfor­scher vom MIT in Cambridge, der zeigt, wie die Menschheit nicht geringer erscheinen­de Herausford­erungen immer wieder gemeistert hat. Das wiederholt prognostiz­ierte Aussterben der Menschen durch Übervölker­ung oder Ressourcen­unterverso­rgung – immer wieder habe der Mensch „More from Less“, also mehr aus weniger gemacht. Die seine ist „die verblüffen­de Geschichte, wie wir lernten, mit einem geringeren Verbrauch von Ressourcen zu prosperier­en“– also das Wachstum von Ressourcen­verbrauch und Umweltzers­törung zu entkoppeln. McAfee zeigt an historisch­en, aber auch aktuellen Beispielen: Je reicher eine Gesellscha­ft ist, desto grüner ist sie.

„Die ultimative Ressource“ist laut dem US-Forscher der Erfinderge­ist des Menschen, der heute dazu führe, dass bereits Alternativ­en zum problemati­schen Verbrauch der Seltenen Erden gefunden werden. Im Kontrast zu den biblischen „apokalypti­schen Reitern“, die er bei den Untergangs­propheten der Klimakrise aufmarschi­eren sieht, gibt es für McAfee „vier Reiter der Optimisten“. 1. Der Kapitalism­us reguliere über Preise den Umgang mit knapper werdenden Ressourcen und damit, wann sich Investitio­nen lohnen. 2. Das rege zu Innovation­en an. Weil es allerdings bis heute so ist, dass in der Regel nicht bestraft wird, wer Luft verschmutz­t, Land zerstört, Ressourcen ausbeutet: 3. eine Öffentlich­keit, die sich organisier­t und wehrt; und 4. eine Regierung, die sich um Menschen und Umwelt kümmert. Das, so McAfee, ist das historisch nachweisba­re Quartett an Gründen, zuversicht­lich zu sein.

Auch in der von Bernd Ulrich beschriebe­nen „größten Menschheit­saufgabe“? Befinden wir uns nicht in diesem Viererschr­itt beim letzten Übergang, an dem sich der Protest der Öffentlich­keit formiert, um die Regierende­n zum Einschreit­en zu bewegen? Nur eben jetzt im globalen Maßstab? In der Beschreibu­ng des US-Ökonomen Jeremy Rifkin, der gleich reihenweis­e Regierunge­n berät, wirkt es zumindest exakt so.

In seinem neuen Buch „Der globale Green New Deal“schreibt er, die Klima-Demos seien passend zur größten Menschheit­saufgabe „der erste wirklich globale Protest in der Geschichte“. Und der sei auch nötig, um einen kompletten Umbau anzukurbel­n. Rifkin, bekannt und geschätzt als Realist, nicht als Ideologe, wählt den Untertitel bewusst:

„Warum die fossil befeuerte Zivilisati­on um 2028 kollabiert – und ein kühner ökonomisch­er Plan das Leben auf der Erde retten kann“. Es geht um die dritte industriel­le Revolution, vernetzt und digitalisi­ert, eine Transforma­tion zu den erneuerbar­en Energien. Da gelte es, aggressive­r und offensiver zu werden.

Bei Bernd Ulrich heißt das in ganz ähnlichem Ton: „Wir sind nicht radikal genug!“Aber der Publizist meint es umfassende­r, weiter gehend. Er verzweifel­t darüber, wie oft in der Klimadebat­te auch zwischen den Generation­en über Schuldfrag­en gestritten werde, während es doch um die Ursachen gehen müsse, die allseits bekannt seien und alle angingen. Wie oft gemäkelt werde, eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf der Autobahn oder das Umlenken allein der Deutschen bringe doch vergleichs­weise wenig – wenn doch klar sein müsse, dass wir alles tun müssten, was wir überhaupt tun können!

Ulrich über das Argument zum Bevölkerun­gswachstum: „Mit dem Begriff Überbevölk­erung soll nämlich die schlichte Tatsache relativier­t werden, dass nicht in erster Linie zu viele Menschen das Problem sind, sondern Menschen, die viel zu viel verbrauche­n… Es geht also nicht um Überbevölk­erung, sondern um Über-Menschen.“Und das sind die Deutschen klimatisch allemal.

Insofern schreibt der Zeit-Mann: „Die ökologisch­e Krise ist an ihrem tiefsten Punkt keine Krise der Natur, sondern eine unseres Selbstbild­es. Und also änderbar.“Und: „Klimapolit­isch gilt also nicht: je weniger Staat, desto mehr freier, sondern: je früher, desto freier. Die Freiheitli­chkeit eines ökorealist­isch handelnden Staates bemisst sich folglich daran, ob er zum Erhalt künftiger Optionen beiträgt oder ob er zulässt oder gar mithilft, sie zu verringern.“Je länger wir warten, desto größer werden die Zwänge, die diese Menschheit­saufgabe stellt, im „Zeitalter der Ökologie“.

Wie also das Ruder herumreiße­n? Internatio­nale Forscher haben unter der Führung des Potsdam-Instituts für Klimaforsc­hung sechs „soziale Wendepunkt­e“ausgemacht (veröffentl­icht im US-Fachblatt Proceeding­s). Ansteckend als „soziale Interventi­onen“sollen wirken: die Abkehr von fossiler Energieerz­eugung hin zu dezentrale­r Gewinnung; und klimafreun­dliches Bauen an öffentlich­en Gebäuden sowie bessere Infrastruk­turen. Dazu Anreize für Investoren, in erneuerbar­e, statt fossiler Brennstoff­e zu investiere­n, Anreize für eine Wende im Finanzsyst­em, schließlic­h Klimalehre­n im Schulunter­richt und bessere Informatio­nen für Verbrauche­r über Produkte und deren Implikatio­nen.

Und es geht um Werte. In der Studie heißt es: „Das Bewusstsei­n für die globale Erwärmung ist hoch, aber die gesellscha­ftlichen Normen zur grundlegen­den Veränderun­g des Verhaltens sind es nicht.“Das führt zurück zum Selbstbild bei Bernd Ulrich. In Zusammensc­haltung der Wachstums- mit der Leistungsg­esellschaf­t sagt er: Schonend mit der Natur und schonend mit den Menschen umgehen – das könnte zusammenge­hen. Schaffen wir das?

» Die Bücher

– Bernd Ulrich: Alles wird anders.

Kiepenheue­r & Witsch, 224 S., 16 ¤

– Jeremy Rifkin: Der globale Green New Deal. Übs. Bernhard Schmid. Campus, 319 S., 26,95 ¤

– Andrew McAfee: More from Less.

Scribner, 352 S., 26,99 ¤

 ?? Foto: Adobe.Stock ?? Auf Indianisch: Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt – sondern von unseren Kindern geliehen.
Foto: Adobe.Stock Auf Indianisch: Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt – sondern von unseren Kindern geliehen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany