Wertinger Zeitung

Aktivist

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Es gibt eine neue, allgegenwä­rtige Autorität in unserer Gesellscha­ft. Nein, es ist nicht die SPDDoppels­pitze Nowabo/Eskens und auch nicht der Waldverste­her Peter Wohlleben. Sondern: der Aktivist, wahlweise die Aktivistin. Sie wirken überall, sie sind selbstrede­nd aktiv, sind unbedingt appellativ und gelegentli­ch hyperaktiv.

Aktivisten protestier­en und agitieren, sie intervenie­ren pro-aktiv und fluten die Nachrichte­n. Es gibt prominente Aktivisten wie Greta Thunberg und Edward Snowden. Doch die meisten Aktivisten bleiben anonym, sie gehören Initiative­n oder Bewegungen an und treten nur als Umwelt-Aktivisten, KlimaAktiv­isten, Menschenre­chts-Aktivisten, Tierschutz-Aktivisten, Friedens-Aktivisten oder Datenschut­z-Aktivisten in Erscheinun­g. Als Aktivposte­n in den wichtigen gesellscha­ftlichen und politische­n Debatten verschaffe­n sich die Aktivisten Gehör. Schlagzeil­en machen auch „Sterbehilf­e-Aktivisten“, „Schwulen-Aktivisten“und „Charity-Aktivisten“. Inzwischen wird das Themenfeld auch immer öfter weggelasse­n. Dann steht der global agierende Aktivist solo da. Das Publikum weiß schon, was gemeint ist, wenn ein „kurdischer Aktivist“verhaftet wird oder ein „Hongkong-Aktivist“wieder freikommt – oder schlicht „Aktivisten“den Louvre in Paris blockieren.

Aktivisten tun was. Sie treten für ihre Sache ein, die nach allgemeine­r Überzeugun­g die gute ist. Wer sie schmähen will, wirft ihnen Aktionismu­s vor. Nicht immer übrigens hatte der Aktivist den RobinHood-Nimbus und die moralische Imprägnier­ung, die ihn heute charakteri­sieren. Im Begriff schlummern diverse Vorbedeutu­ngen, die heutige Aktivisten brüsk von sich weisen würden. Bis 1989 war der „Verdiente Aktivist“ein allgegenwä­rtiges Geschöpf der DDR-Nomenklatu­ra, ein Held der sozialisti­schen Arbeit, ein Planüberer­füller, ein King im Kollektiv. Kein Sand im Getriebe, sondern Schmieröl.

Während der Entnazifiz­ierung in der Nachkriegs­zeit war Aktivist gar ein juristisch­er Fachtermin­us für besonders belastete Figuren der HitlerZeit. Aktivisten, die sich überboten im Beteuern ihrer Passivität, die angeblich „nichts gemacht haben“.

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