Marketing mit dem Grauen
Titel-Thema Ein Lied über die Untaten des aus Günzburg stammenden Auschwitz-Arztes Josef Mengele verhalf der Heavy-Metal-Band Slayer einst zu Weltruhm. Auch Hollywood entdeckte den Kriegsverbrecher für sich
Ein lang gezogener Schrei ertönt, bevor der Gesang einsetzt, brüllend und abgehackt. Bereits das erste Wort macht klar, worum es der Heavy-Metal-Band Slayer in den kommenden viereinhalb Minuten geht: „Auschwitz“. So beginnt das Album „Reign in Blood“, das 1986 zum Welterfolg wurde: Mit dem Song „Angel of Death“. Rasendes Schlagzeugspiel und sägende E-Gitarren bilden die akustische Hintergrundkulisse, davor breitet Sänger Tom Araya eine Aneinanderreihung von Beschreibungen der Gräueltaten Josef Mengeles aus, dem „Engel des Todes“. Dieser war von 1943 bis 1945 Lagerarzt im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, in dem die Nazis über eine Million Menschen ermordeten, größtenteils Juden. Geboren und aufgewachsen war Mengele in Günzburg.
Er entschied in Auschwitz, wer zum Arbeiten geschickt wurde und wer in die Gaskammer. Manche Gefangenen, vor allem Zwillinge, suchte er aus, um an ihnen Experimente durchzuführen. Diese kamen meist Folter gleich, wie Zeugen berichten.
Mengele konnte vor der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee fliehen, er lebte lange Jahre unter falschem Namen in Argentinien, Paraguay und Brasilien, wo er 1979 beim Schwimmen ertrank. Bekannt wurde das erst Mitte der 80er Jahre. Auch durch das einstige Unwissen über seinen Verbleib wurde Mengele zu einer dunklen „Kultfigur“von Büchern, Filmen und Musik. Im Thriller „Der Marathon-Mann“von 1974 wird er als in New York untergetaucht gezeigt. Dort foltert er den Titelhelden, gespielt von Dustin Hoffman. In „The Boys from Brazil“von 1978 klont Mengele Hitler. 1986 erschien der Film „Im Glaskäfig“– die Hauptfigur, ein ehemaliger KZArzt, ist offensichtlich von Mengele inspiriert.
Bücher über Mengele inspirierten auch den mittlerweile gestorbenen Jeff Hanneman, Gitarrist von Slayer – übersetzt: „Mörder“, „Schlächter“–, zum Text für den Song „Angel of
Death“, wie er einst im Decibel-Magazin erzählte. Eine Verherrlichung der Taten Mengeles kann man aus dem Werk nicht herauslesen, ebenso wenig eine Distanzierung. Zuvor hatten Slayer in ihren Texten oft Satanismus und Gewalt thematisiert, gängige Themen im Heavy-Metal der 80er Jahre. Die Schilderung realer Geschehnisse des Holocaust war jedoch etwas völlig Neues. Der Song ist maßgeblich verantwortlich für den Erfolg des Albums „Reign in Blood“, das unter Heavy-Metal
Fans als wegweisender Meilenstein gilt. Doch es wurde auch Kritik laut. So schrieb der Musikjournalist Rich Stim seinerzeit, der einleitende Song sei „eine Betrachtung des Holocaust als Comic-Drama“.
Slayer zog auf Tourneen um den Erdball, zigtausende Fans kamen zu ihren Auftritten. Mehrfach standen sie bei den deutschen Festivals „Rock am Ring“und „Rock im Park“auf der Bühne. „Angel of Death“spielten sie stets als letzten Song. 2019 verkündeten die Kalifornier das Ende der Band.
Dass sie jemals Bedenken hatten, ihre Texte über Mengeles Untaten könnten zynisch sein, ist unwahrscheinlich. Nazi-Symbolik blieb für Slayer seit ihrem Erfolg mit „Reign in Blood“Teil des Marketings. Ein bekanntes Logo der Band zeigt ihren Schriftzug vor einem Reichsadler, ihr offizieller Fanklub heißt „Slatanic Wehrmacht“. Vorwürfe des Rassismus wischte Hanneman einst mit dem Verweis beiseite, dass der Sänger der Band Chilene und der Schlagzeuger Kubaner sei. Da solle man doch bitte „realistisch bleiben“.